Gesichtserkenner bei der Polizei

Schau mir auf die Nase, Kleines!

Biometrische Erfassung von Körpermerkmalen, durch einen Scanner. Umwandlung von Körper- und Kopfform in digitale Daten.
Kenn ich die? Ein Scanner tastet ein Gesicht ab. Auf solche Hilfsmittel sind "Super Recognizer" nicht angewiesen. © imago / Jochen Tack
Von Andi Hörmann |
"Super-Recognizer" nennt man Leute, die jeden wiedererkennen, den sie auf verschwommenen Bildern oder bei einer flüchtigen Begegnung gesehen haben. Diese seltene Fähigkeit macht sich auch die Polizei bei ihren Ermittlungen zunutze.
Köln, Domplatte, ein ganz normaler Wochentag. Blick auf den Bahnhofsplatz. Eine undefinierbare Masse an Passanten: Reisende mit Rollkoffern, Businessleute in Anzug und Kostüm, verlotterte Flaschensammler. Ein Meer aus Gesichtern - undefinierbar wie die Geräuschkulisse. Nicht für Jan Doppelfeld:
"Das ist halt bei mir eher so das Aha-Erlebnis. Also mir kommt einer entgegen und dann sage ich: Aha, kenne ich."
Aha, das klingt erst mal banal! Doch der 37-jährige Polizeibeamte Jan Doppelfeld hat die besondere Fähigkeit, sich Gesichter extrem gut zu merken. "Super Recognizer" nennt die Wissenschaft das: Meister der Gesichtserkennung, so könnte man es übersetzen.

"Super Recognizer" sind Gold wert bei der Ermittlung

Nur ein paar hundert Meter vom Kölner Hauptbahnhof entfernt liegt das Gebäude der "Kriminalinspektion 4": Ein kubischer Betonbau mit einer Eingangstür aus Panzerglas, die sich nur für Verbrecher öffnet - oder angemeldete Journalisten. In der Projektgruppe "Taschen- und Trickdiebstahl" ist Jan Doppelfeld der Spezialist für Gesichtserkennung: Draußen auf der Straße als unauffälliger Zivilbeamter den Langfingern auf der Spur, aber auch hinterm Schreibtisch beim Abgleichen der Bilder von Überwachungskameras mit Fotos von Geldautomaten, an denen Diebe gerade mit einer geklauten EC-Karte ein fremdes Konto leer räumen. Dienststellenleiter Günther Korn schätzt die besondere Gabe seines Ermittlers:
"Sie müssen sich vorstellen: Sie gehen durch die Hohestraße, da laufen 10.000 Menschen an ihnen vorbei, und er geht da eine Stunde durch und sucht genau die Person raus, die er irgendwann vor drei Monaten hier gesehen hat. Und das finde ich schon absolut beeindruckend. Das ist für die Polizei super, so jemanden zu haben, der dann die Täter, die ja ein Interesse daran haben, sich zu verstecken, innerhalb dieser Menge, herausfiltert und sagt: Den nehmen wir jetzt fest. So jemand wie der Herr Doppelfeld ist Gold wert für unsere Dienststelle. So, jetzt habe ich ihn ordentlich beweihräuchert."

Besuch von Scotland Yard

2016 ist Jan Doppelfeld nach der verheerenden Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof in die "EG Neujahr", die Ermittlungsgruppe Neujahr, rekrutiert worden - zusammen mit einer Spezialeinheit an Super Recognizern aus Großbritannien.
"Ich saß in meinem Büro, hatte meinen Turnschuhe an, und dann kamen auf einmal zehn Leute rein in Armani-Anzügen und stellten sich vor als Scotland Yard. Ich dachte: Wo ist die versteckte Kamera? Aber es war so."
Nun sitze ich Jan Doppelfeld im Interview gegenüber. Die Pausen zwischen seinen Worten geben mir das Gefühl, dass er mit seinen wachen Augen gerade mein Gesicht mustert.
"Ich kann nicht sagen: Ich achte auf die Augen. Klar, jeder hat irgendwie was Besonderes im Gesicht."

Ausschau nach weiteren "Super Recognizern"

Die Software für Gesichtserkennung analysiert das Gesicht in Tangenten: Augen, Nase, Mundwinkel. Wie das Gehirn des "Super Recognizer" funktioniert, ist für die Wissenschaft noch ein Fragezeichen:
"Jetzt ist man halt gerade in der Forschung noch dabei zu definieren: Was ist denn diese überdurchschnittliche Leistung?"
Lara Aylin Petersen, Diplom-Psychologin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, erforscht das Phänomen "Super Recognizer".
"Momentan ist die Definition: Zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert einer Kontrollprobandengruppe. Also das ist schon erheblich groß, das ist jetzt ein statistischer Begriff, aber es ist wirklich weit überdurchschnittlich. Mal ein Beispiel: Wenn man in so einem Test 102 Punkte erreichen kann, dann haben Super Recognizer so 90 Punkte."
Wissenschaftliche Studien über "Super Recognizer" gibt es kaum: In einer Online-Studie macht sich Lara Aylin Petersen gerade auf die Suche nach den "Meistern der Gesichtserkennung" - gut 700 hat sie schon ausfindig gemacht. Angeblich sind es drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, die sich Gesichter besonders gut merken können. Erlernbar ist die Fähigkeit wohl nicht. Aber "Super Recognizer" schauen wohl auffällig oft auf die Nase.
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