Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz

Gesicht zeigen

Menschen gehen durch den Bahnhof Südkreuz in Berlin, indem ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung installiert ist.
Am Berliner Südkreuz läuft ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung. © Wolfgang Kumm/dpa
Von Ernst-Ludwig Aster |
Am Berliner Bahnhof Südkreuz testet die Bundespolizei ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung. Zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. Doch viele Bürger fühlen sich in ihrer Privatsphäre beschnitten.
"Bitte nicht hier rübergehen, stopp, stopp, stopp, stopp stopp"
Eine junge Frau in orangener Warnweste stoppt einen Rentner, der gerade den Bahnhof Südkreuz betreten will. Ihr Kollege klebt einen großen blauen Infoteppich aufs Pflaster. "Pilotprojekt Gesichtserkennung – Erkennungsbereich" steht da über dem Logo der Bundespolizei.
Kopfschüttelnd nimmt der Rentner den anderen Eingang. Über dem steht "Keine Erkennung". Weiße und blaue Pfeile führen durch die Bahnhofshalle. Blau steht für "Erkennungsbereich". Weiß für "keine Erkennung". In der Mitte der Halle aber kreuzen sich die Wege.
Auf Gleis 8 steigt Marian Wendt aus dem ICE 1616. Weißes Hemd, dunkelblauer Anzug, eine Deutschlandfahne am Revers. Wendt ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen. Und folgt den blauen Pfeilen. Wendt will überwacht werden. Hat sein Konterfei von der Bundespolizei biometrisch erfassen und abspeichern lassen. So wie auch 274 andere Versuchspersonen. In der Tasche trägt Wendt einen kleinen Sender, einen sogenannten Transponder. Der soll anzeigen, wann er im Bahnhof ist.
"Ich finde es wichtig, dass wir der Polizei alle Instrumente an die Hand geben, die sie brauchen, um Straftäter und Terroristen zu fassen."
Gesicht zeigen. Für mehr Sicherheit. Im Wahlkampf. Und bei der Videoüberwachung.
"Wir wollen die Terroristen, die in einer Datenbank hinterlegt sind, die Straftäter, Terroristen, Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder, die gesucht werden. Die will ich einfach schnellstmöglich festnehmen."
In einem unscheinbaren Raum über dem Reisezentrum lässt Thomas Striethörster drei Laptops nicht aus den Augen. Der oberste Berliner Bundespolizist koordiniert die Test-Fahndung. Hier laufen die Bild-Daten der Kameras zusammen, fahnden drei Programme nach Gesichtern von Testpersonen in der Masse der Reisenden.
"Da sind insgesamt drei Kameras eingesetzt, von den 77, die hier verbaut worden sind."
Briefmarkengroß ist das Konterfei des Abgeordneten Wendt auf den Bildschirmen zu erkennen. Alle drei Systeme haben ihn erfasst. Oben auf der Treppe erscheint jetzt eine junge Frau, Mitarbeiterin der Bundespolizei. Auch ihr Profil ist gespeichert:
"Jetzt sehen sie, wie die Dame die Treppe runterkommt und sie ist schon erkannt worden, also ein sehr schnelles System."
Zuerst reagiert das linke System, dann das rechte, zum Schluss das in der Mitte. Eine hundert prozentige Trefferquote. Der Bundespolizist nickt zufrieden. Doch er weiß: Wenn die Testperson einen Hut und eine große Sonnenbrille tragen würde, wäre das Erkennen schwieriger. Unterdessen setzt sich ein Mann Mitte fünfzig in der Bahnhofshalle auf eine Bank, mustert die Überwachungskameras.

Datenschützer eingeschleust als Testperson

"Ich bin natürlich brav die Rolltreppe runtergegangen, ich bin ja Testperson in diesem wunderbaren environment, da will ich natürlich auch erkannt werden."
Nennen Sie mich "Padeluun", sagt der Mann, der seinen bürgerlichen Namen schon lange abgelegt hat. Er ist Mitbegründer des Vereins "Digitalcourage", kämpft seit fast drei Jahrzehnten für mehr Datenschutz. Darum hat er sich auch als Testteilnehmer gemeldet. Um an die Daten zu kommen. Als erstes untersuchte er mit seinen Kollegen den kleinen Sender, den Transponder.
"Naja, und dann sahen wir da, man kann Temperatur messen, es hat 'nen Beschleunigungssensor drin, es hat ´'en Neigungswinkel drin."
Mehr Funktionen, und mehr Sendeleistung als zuvor angekündigt. Und nebenbei auch noch mehr Überwachungsmöglichkeiten. Zuviel Überwachung, zu wenig Information für die Testteilnehmer urteilte dann auch die Bundesdaten-schutzbeauftragte nach den Berichten von "Digitalcourage". Sie forderte eine Aussetzung des Pilotprojektes. Ohne Erfolg. Also wird weiter überwacht. Und gemessen.
"Jeder, die hier langläuft, die werden erfasst von einer Kamera, die werden abgescannt und werden halt aussortiert, aber die sind Teil des Versuchs, aber da hat keiner zugestimmt, und das ist völlig illegal."
Das sieht auch eine junge Frau so, die den weißen Pfeilen folgt.
"Ich bin hier am Tag, weiß ich nicht wie oft, ich pendele, ich komme hier nicht drumrum, ich fühle mich nicht nur in meiner Privatsphäre eingeschränkt, sondern veräppelt, ja."

Die Rolltreppe gibt's nur mit Gesichtserkennung

Wer oben vom Bahnsteig kommt und nicht erfasst werden will, muss 60 Treppenstufen laufen. Oder lange auf den Fahrstuhl warten. Die Rolltreppe abwärts gibt's nur mit Gesichtserkennung. Und nicht nur die:
"Is 'ne Verarschung. In dem Augenblick, wo ich runtergehe, in dem Augenblick, wo ich mir ein Ticket kaufen muss, wo ich zum Bahnzentrum gehen muss, ist das alles ein Witz, ich fühle mich megamäßig veräppelt."
Die junge Frau deutet auf die Kameras. Und auf die Ticketautomaten. Dort hat ihre Mutter vor einem halben Jahr einen Fahrschein gekauft, mit EC-Karte gezahlt. Trickbetrüger beobachteten sie, spähten die Geheimzahl aus, und stahlen die Karte. Alles vor laufender Kamera:
"Alles wurde auf Video aufgenommen, die Polizei war nicht in der Lage die Videoaufnahmen zu nutzen. Und sie hat nen Schaden von 3000 Euro. Dafür wird es nicht genutzt, interessant, für was es dann genutzt wird. Ich glaube mit Worten wie Terrorismus und Sicherheit kann man einfach Dinge tun, die sonst nicht durchgehen würden."
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