Gesine Schwan: Deutsch-polnisches Verhältnis verbesserungswürdig
Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen könnte nach Meinung von Gesine Schwan noch besser sein. So sprächen zwar viele Polen Deutsch, aber nur wenige Deutsche Polnisch, sagte die scheidende Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Dennoch sieht sie Fortschritte vor allem bei ihren Studenten, die zunehmend auf die östliche Seite der Oder zögen und viele deutsch-polnische Initiativen gestartet hätten.
Liane von Billerbeck: Wenn eine Uni-Präsidentin geht, dann wird das üblicherweise regional zur Kenntnis genommen. Nicht so in diesem Fall, da interessiert sich das ganze Land, denn es ist eine besondere Uni-Präsidentin: Gesine Schwan, sie hat Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften studiert, wurde 1977 Professorin in Berlin und war, bevor sie an die Viadrina wechselte, Dekanin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Mit dem Sommersemester verabschiedet sich Gesine Schwan nun aus Frankfurt (Oder), und obwohl sie gerade 65 geworden ist, hat sie nicht vor, in den Ruhestand zu treten - im Gegenteil, sie tritt ja bekanntermaßen zum zweiten Mal an, um Bundespräsidentin zu werden. Mit Gesine Schwan bin ich jetzt im Hauptstadtstudio verbunden. Frau Schwan, ich grüße Sie!
Gesine Schwan: Einen schönen guten Tag!
Billerbeck: "Eine europäische Brückenbauerin will ich sein", das haben Sie bei Ihrem Amtsantritt in Frankfurt (Oder) 1999 gesagt. Sie sind seit den 60er Jahren immer wieder in Polen gewesen, sprechen die Sprache gut und haben auch viele Protagonisten der polnischen Demokratiebewegung kennen gelernt. Am Wochenende ist nun einer von ihnen tödlich verunglückt, auf den dieses Attribut des Brückenbauers ganz gewiss auch zutrifft, der frühere polnische Außenminister und Solidarnosc-Aktivist Bronislaw Geremek. Wie groß ist dieser Verlust?
Schwan: Riesengroß. Für Polen riesengroß, für Europa riesengroß und für seine Freunde riesengroß, denn er ist wirklich ein ganz außergewöhnlicher Mensch gewesen, ungewöhnlich klug, gebildet, friedensorientiert, ein polnischer Patriot, sogleich ganz und gar offen und Europa-orientiert. 1987 habe ich mit ihm ein längeres Gespräch geführt zusammen mit Holzers, die Gastgeber waren und Adam Michnik über eine eventuelle Wiedervereinigung Europas, und er hat sich sofort auch für die Wiedervereinigung Deutschlands ausgesprochen im Rahmen eines wiedervereinigten Europa. Es war auch ein ungemein gütiger Mann. Also ich bin wirklich sehr, sehr tief erschüttert.
Billerbeck: Sie verlassen als europäische Brückenbauerin eine Doppelstadt, die inzwischen auch mit einer offenen Brücke verbunden ist. Wenn man dieses Bild der offenen Brücke nimmt, gilt das auch für das Verhältnis zwischen polnischen und deutschen Professoren und Studenten an der Viadrina auf der einen und im Centrum Polonicum auf der anderen Oderseite?
Schwan: Also die Integration zwischen Deutschen und Polen könnte sich immer noch weiter steigern. Das ist ein altes Problem. Ich kenne das aus meiner Schulzeit, wo ich am französischen Gymnasium war in Berlin, und da haben auch Deutsche und Franzosen in der Pause nicht so sehr viel miteinander zu tun gehabt. Die Sprache ist eine Frage, weil eben doch die Polen deutsch sprechen, aber nicht die Deutschen in der Regel polnisch. Dennoch, also ich sage das, weil ich ganz nüchtern bin auf dem Gebiet und weil ich auch glaube, dass man auch nüchtern sein muss, um des guten Ziels Willen.
Wir haben immerhin auf der anderen Seite enorme Fortschritte gemacht. Wir haben alle Aktivitäten gesteigert und gefördert, die nicht nur Seminar und Vorlesungsbetrieb sind, denn darauf kommt es auch sehr stark an, wir haben hier sehr viele studentische Initiativgruppen. Und wir haben eingeführt seit einigen Jahren Workshops für Neuankömmlinge, neuerdings auch nicht nur für Studierende, sondern auch für Professoren und Mitarbeiter und so weiter.
Billerbeck: Was lernen die da?
Schwan: Das sind gemischte Workshops, in kleinen Gruppen sollen sie sich gegenseitig kennen lernen und mit sehr erfahrenen polnischen und deutschen Mediatoren feststellen, was sie so alles im Gepäck haben an Vorverständnissen, fein ausgedrückt, oder an Vorurteilen, etwas weniger fein ausgedrückt. Und das ist sehr, sehr erfolgreich, es wird auch sehr angenommen.
Billerbeck: Vor einigen Jahren wurde immer wieder festgestellt, dass an der Viadrina einerseits Studenten aus Frankfurt sind, die meist noch zu Hause wohnen bleiben und sich eigentlich gar nicht so richtig für Polen interessieren, andererseits sehr viele Studenten aus Westdeutschland, die sich eben, weil sie sich so sehr für Osteuropa und also auch Polen interessieren, an der Viadrina haben immatrikulieren lassen und meistens auch auf die östliche Oderseite ziehen. Ist das inzwischen ein bisschen anders?
Schwan: Nein, der Zuzug auf die östliche Oderseite nimmt sogar zu gegenwärtig von Deutschen. Wenn ich mal so schaue, weswegen kommen junge Leute aus Bayern, aus Nordrhein-Westfalen, aus Baden-Württemberg zu uns, dann deswegen, weil in der Tat erstens die Universität sehr, sehr international ist, und zweitens weil sie an der Grenze liegt. Das sind die beiden Attraktionspunkte. Und das ist natürlich dann schon eine gewisse Auswahl von westdeutschen Studierenden, die den fernen Osten nicht als fürchterlich fern empfinden, sondern mit großer Neugier dahin kommen. Aber es ist wahr, das Interesse an der Sprache nimmt deutlich zu auf der deutschen Seite für polnisch, und eben auch immer mehr Deutsche wohnen jetzt in Slubice.
Billerbeck: Wie viel Brückenbauertum steckt denn inzwischen in Ihren Absolventen? Könnte man sagen, dass ehemalige Viadrina-Studenten so eine Art Multiplikatoren der Verständigung geworden sind zwischen Ost- und Westeuropa, Deutschland und Polen?
Schwan: Also das denke ich ganz sicher und das erfahre ich auch. Es gibt überall Alumni-Netze, es gibt überall, zum Beispiel in Brüssel, wunderbare deutsch-polnische Initiativen, die auch die ganze Brüssler Umgebung einladen, also die Arbeitsumgebung sozusagen, sich mit dem deutsch-polnischen Verhältnis zu befassen. Ich muss wirklich sagen, ich habe einmal einen Besuch nach Brüssel gemacht, da hat zunächst der Pilot sich bei mir bedankt, weil seine Tochter an der Viadrina studiert hat und sofort einen Job gefunden hat. Dann war ich bei einer solchen Veranstaltung, die 80 Leute - in Brüssel findet ja viel statt - versammelt hat, und dann war ich noch abends bei einer Veranstaltung über Frauen in Europa, da hat mir sofort der deutsche Botschafter gesagt, dass sein Sohn bei uns studiert und auch weiter Brücken baut. Also ich glaube schon, dass das nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, Lateinamerika, auch sogar zum Teil bis Australien, dass die sehr aktiv sind. Und das freut mich.
Billerbeck: Ihre Traumvorstellung war es ja, die Viadrina zu einer trinationalen, also französisch-deutsch-polnischen Stiftungsuniversität nach amerikanischem Vorbild zu entwickeln, damit sie sich, obwohl sie im armen Brandenburg angesiedelt ist, im nationalen und internationalen Wettbewerb behaupten kann. Im Frühjahr fand nun die Umwandlung in eine Stiftungsuniversität statt, nach langem Ringen muss man ja sagen. Sie wirkten immer so ein bisschen so, als seien Sie besessen von dieser Idee der Stiftungs-Uni. Währen Sie mit 65 auch gegangen, wenn Sie dieses Ziel nicht erreicht hätten?
Schwan: Also das hätte ich einfach akzeptieren müssen, weil neun Jahre sind auch genug, und ich bin aber heilfroh, das will ich unumwunden zugeben, dass das Ganze geklappt hat. Vielleicht war ich besessen, vielleicht war ich zumindest sehr davon geprägt, und das ist auch richtig, denn ich glaube in der Tat, dass diese Umwandlung in eine Stiftungsuniversität eine ganz neue Chance bietet für die Viadrina. Das ist auch eine Chance, die inhaltlichen Neuerungen, vor allen Dingen Mehrsprachlichkeit, mehrsprachige Studiengänge und überhaupt Internationalisierung des Lehrkörpers, so dass diese Studiengänge auch von Muttersprachlern unterrichtet werden, dass die alle verwirklicht werden können. Also ich habe Glück gehabt, aber irgendwie ist das in meinem Leben immer ganz gut so gelaufen, dass zumindest in letzter Minute es noch klappt, wenn ich mich vorher jahrelang angestrengt habe.
Billerbeck: Ihre vier Abschiedsvorlesungen, Frau Schwan, die standen ja unter der Überschrift "Good Governance - die Zukunft demokratischer Politik", eines Ihrer Lieblingsthemen. Parteien, das wissen wir, die haben aber abnehmende Wählerschaften. War das eine Art letzter Appell an Ihre Studenten, politische Verantwortung zu übernehmen?
Schwan: Ja, und dieser Appell aber auch, es geistig zu durchdringen, wo wir angesichts der ökonomischen Globalisierung sind und warum die traditionelle Politik, auf die wir nicht verzichten können, weder auf Parteien, noch auf Parlament und Regierung, aber kooperieren müssen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit bürgergesellschaftlichem Engagement und auch mit privaten Unternehmen, die ihrerseits in die Pflicht genommen werden müssen, auch überwacht und kontrolliert, Regelungen für die ökonomische Globalisierung mit auszubilden und dann auch zu beachten. Und demokratische Politik ist in der Tat das, wovon ich meine, dass sie am ehesten die gleiche Würde aller Menschen ermöglichen kann - nicht garantieren, aber ermöglichen kann.
Und ich bin ganz glücklich, dass von studentischer Seite durchaus ein großes Engagement inzwischen entsteht bei uns, das ist ja so eine Entpolitisierung gewesen, die an allen deutschen Universitäten zu beobachten war. Wir hatten neulich Herrn Trittin, der über das Verhältnis von Nationalstaat und Europäischer Union oder die Rolle des Nationalstaates in der Gegenwart sprechen sollte, und da war der Saal rammeldicke voll. Also das ist schon durchaus auch eine Korrespondenz zwischen den sehr initiativereichen Studierenden meiner Universität und dem, was ich da versuche.
Billerbeck: Es gibt ja auch immer die Furcht, je weniger wir zu verteilen haben, desto schwieriger wird es für die Demokratie. Wie lässt sich dagegen halten?
Schwan: Einerseits ist das richtig. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es genügend Vernunft in Deutschland gibt, dass man nicht unendlich viel materiell weiterwachsen kann. Was notwendig ist, ist eine gerechte Verteilung dessen, was wir haben. Wir leben auf sehr hohem Niveau. Wir müssen das, was wir Leistungsgerechtigkeit nennen, überhaupt wieder einführen, denn die besteht ja bei uns gar nicht. Vielfach wird die Leistungsgerechtigkeit einfach durch einen nicht wirklich offenen Markt ersetzt, und das ist keine Möglichkeit, sich gemeinsam weiterzuentwickeln.
Und im Übrigen glaube ich, dass viele die Erfahrung machen, nach einer bestimmten materiellen Sättigung ist das Immaterielle eigentlich viel wichtiger, wenn wir ein wirklich sinnvolles oder ein geglücktes, ein gelungenes Leben führen wollen. Das ist eine Einsicht, die müssen wir nicht, glaube ich, oktroieren, sondern die ist bei vielen schon da. Und in der Tat wachsen müssen wir mit solchen Dingen, die nicht zusätzlich mehr Ressourcen, also materielle Ressourcen nicht zusätzlich mehr, oder möglichst wenig Energie verwenden, oder wir müssen auch viel Energie sparen. Und dann können wir, glaube ich, auch diese Demokratie bewahren. Denn Beteiligung an demokratischer Verantwortung ist zwar durchaus anstrengend, aber letztlich dann auch befriedigend, wenn man sieht, dass man etwas erreicht und geschaffen hat.
Billerbeck: Das klang fast schon wie die Rede einer Bundespräsidentin. Ich danke Ihnen schön. Gesine Schwan war meine Gesprächspartnerin, eine europäische Brückenbauerin, die als Präsidentin die Viadrina in Frankfurt (Oder) verlässt und vielleicht die künftige Bundespräsidentin wird. Ich danke.
Gesine Schwan: Einen schönen guten Tag!
Billerbeck: "Eine europäische Brückenbauerin will ich sein", das haben Sie bei Ihrem Amtsantritt in Frankfurt (Oder) 1999 gesagt. Sie sind seit den 60er Jahren immer wieder in Polen gewesen, sprechen die Sprache gut und haben auch viele Protagonisten der polnischen Demokratiebewegung kennen gelernt. Am Wochenende ist nun einer von ihnen tödlich verunglückt, auf den dieses Attribut des Brückenbauers ganz gewiss auch zutrifft, der frühere polnische Außenminister und Solidarnosc-Aktivist Bronislaw Geremek. Wie groß ist dieser Verlust?
Schwan: Riesengroß. Für Polen riesengroß, für Europa riesengroß und für seine Freunde riesengroß, denn er ist wirklich ein ganz außergewöhnlicher Mensch gewesen, ungewöhnlich klug, gebildet, friedensorientiert, ein polnischer Patriot, sogleich ganz und gar offen und Europa-orientiert. 1987 habe ich mit ihm ein längeres Gespräch geführt zusammen mit Holzers, die Gastgeber waren und Adam Michnik über eine eventuelle Wiedervereinigung Europas, und er hat sich sofort auch für die Wiedervereinigung Deutschlands ausgesprochen im Rahmen eines wiedervereinigten Europa. Es war auch ein ungemein gütiger Mann. Also ich bin wirklich sehr, sehr tief erschüttert.
Billerbeck: Sie verlassen als europäische Brückenbauerin eine Doppelstadt, die inzwischen auch mit einer offenen Brücke verbunden ist. Wenn man dieses Bild der offenen Brücke nimmt, gilt das auch für das Verhältnis zwischen polnischen und deutschen Professoren und Studenten an der Viadrina auf der einen und im Centrum Polonicum auf der anderen Oderseite?
Schwan: Also die Integration zwischen Deutschen und Polen könnte sich immer noch weiter steigern. Das ist ein altes Problem. Ich kenne das aus meiner Schulzeit, wo ich am französischen Gymnasium war in Berlin, und da haben auch Deutsche und Franzosen in der Pause nicht so sehr viel miteinander zu tun gehabt. Die Sprache ist eine Frage, weil eben doch die Polen deutsch sprechen, aber nicht die Deutschen in der Regel polnisch. Dennoch, also ich sage das, weil ich ganz nüchtern bin auf dem Gebiet und weil ich auch glaube, dass man auch nüchtern sein muss, um des guten Ziels Willen.
Wir haben immerhin auf der anderen Seite enorme Fortschritte gemacht. Wir haben alle Aktivitäten gesteigert und gefördert, die nicht nur Seminar und Vorlesungsbetrieb sind, denn darauf kommt es auch sehr stark an, wir haben hier sehr viele studentische Initiativgruppen. Und wir haben eingeführt seit einigen Jahren Workshops für Neuankömmlinge, neuerdings auch nicht nur für Studierende, sondern auch für Professoren und Mitarbeiter und so weiter.
Billerbeck: Was lernen die da?
Schwan: Das sind gemischte Workshops, in kleinen Gruppen sollen sie sich gegenseitig kennen lernen und mit sehr erfahrenen polnischen und deutschen Mediatoren feststellen, was sie so alles im Gepäck haben an Vorverständnissen, fein ausgedrückt, oder an Vorurteilen, etwas weniger fein ausgedrückt. Und das ist sehr, sehr erfolgreich, es wird auch sehr angenommen.
Billerbeck: Vor einigen Jahren wurde immer wieder festgestellt, dass an der Viadrina einerseits Studenten aus Frankfurt sind, die meist noch zu Hause wohnen bleiben und sich eigentlich gar nicht so richtig für Polen interessieren, andererseits sehr viele Studenten aus Westdeutschland, die sich eben, weil sie sich so sehr für Osteuropa und also auch Polen interessieren, an der Viadrina haben immatrikulieren lassen und meistens auch auf die östliche Oderseite ziehen. Ist das inzwischen ein bisschen anders?
Schwan: Nein, der Zuzug auf die östliche Oderseite nimmt sogar zu gegenwärtig von Deutschen. Wenn ich mal so schaue, weswegen kommen junge Leute aus Bayern, aus Nordrhein-Westfalen, aus Baden-Württemberg zu uns, dann deswegen, weil in der Tat erstens die Universität sehr, sehr international ist, und zweitens weil sie an der Grenze liegt. Das sind die beiden Attraktionspunkte. Und das ist natürlich dann schon eine gewisse Auswahl von westdeutschen Studierenden, die den fernen Osten nicht als fürchterlich fern empfinden, sondern mit großer Neugier dahin kommen. Aber es ist wahr, das Interesse an der Sprache nimmt deutlich zu auf der deutschen Seite für polnisch, und eben auch immer mehr Deutsche wohnen jetzt in Slubice.
Billerbeck: Wie viel Brückenbauertum steckt denn inzwischen in Ihren Absolventen? Könnte man sagen, dass ehemalige Viadrina-Studenten so eine Art Multiplikatoren der Verständigung geworden sind zwischen Ost- und Westeuropa, Deutschland und Polen?
Schwan: Also das denke ich ganz sicher und das erfahre ich auch. Es gibt überall Alumni-Netze, es gibt überall, zum Beispiel in Brüssel, wunderbare deutsch-polnische Initiativen, die auch die ganze Brüssler Umgebung einladen, also die Arbeitsumgebung sozusagen, sich mit dem deutsch-polnischen Verhältnis zu befassen. Ich muss wirklich sagen, ich habe einmal einen Besuch nach Brüssel gemacht, da hat zunächst der Pilot sich bei mir bedankt, weil seine Tochter an der Viadrina studiert hat und sofort einen Job gefunden hat. Dann war ich bei einer solchen Veranstaltung, die 80 Leute - in Brüssel findet ja viel statt - versammelt hat, und dann war ich noch abends bei einer Veranstaltung über Frauen in Europa, da hat mir sofort der deutsche Botschafter gesagt, dass sein Sohn bei uns studiert und auch weiter Brücken baut. Also ich glaube schon, dass das nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, Lateinamerika, auch sogar zum Teil bis Australien, dass die sehr aktiv sind. Und das freut mich.
Billerbeck: Ihre Traumvorstellung war es ja, die Viadrina zu einer trinationalen, also französisch-deutsch-polnischen Stiftungsuniversität nach amerikanischem Vorbild zu entwickeln, damit sie sich, obwohl sie im armen Brandenburg angesiedelt ist, im nationalen und internationalen Wettbewerb behaupten kann. Im Frühjahr fand nun die Umwandlung in eine Stiftungsuniversität statt, nach langem Ringen muss man ja sagen. Sie wirkten immer so ein bisschen so, als seien Sie besessen von dieser Idee der Stiftungs-Uni. Währen Sie mit 65 auch gegangen, wenn Sie dieses Ziel nicht erreicht hätten?
Schwan: Also das hätte ich einfach akzeptieren müssen, weil neun Jahre sind auch genug, und ich bin aber heilfroh, das will ich unumwunden zugeben, dass das Ganze geklappt hat. Vielleicht war ich besessen, vielleicht war ich zumindest sehr davon geprägt, und das ist auch richtig, denn ich glaube in der Tat, dass diese Umwandlung in eine Stiftungsuniversität eine ganz neue Chance bietet für die Viadrina. Das ist auch eine Chance, die inhaltlichen Neuerungen, vor allen Dingen Mehrsprachlichkeit, mehrsprachige Studiengänge und überhaupt Internationalisierung des Lehrkörpers, so dass diese Studiengänge auch von Muttersprachlern unterrichtet werden, dass die alle verwirklicht werden können. Also ich habe Glück gehabt, aber irgendwie ist das in meinem Leben immer ganz gut so gelaufen, dass zumindest in letzter Minute es noch klappt, wenn ich mich vorher jahrelang angestrengt habe.
Billerbeck: Ihre vier Abschiedsvorlesungen, Frau Schwan, die standen ja unter der Überschrift "Good Governance - die Zukunft demokratischer Politik", eines Ihrer Lieblingsthemen. Parteien, das wissen wir, die haben aber abnehmende Wählerschaften. War das eine Art letzter Appell an Ihre Studenten, politische Verantwortung zu übernehmen?
Schwan: Ja, und dieser Appell aber auch, es geistig zu durchdringen, wo wir angesichts der ökonomischen Globalisierung sind und warum die traditionelle Politik, auf die wir nicht verzichten können, weder auf Parteien, noch auf Parlament und Regierung, aber kooperieren müssen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit bürgergesellschaftlichem Engagement und auch mit privaten Unternehmen, die ihrerseits in die Pflicht genommen werden müssen, auch überwacht und kontrolliert, Regelungen für die ökonomische Globalisierung mit auszubilden und dann auch zu beachten. Und demokratische Politik ist in der Tat das, wovon ich meine, dass sie am ehesten die gleiche Würde aller Menschen ermöglichen kann - nicht garantieren, aber ermöglichen kann.
Und ich bin ganz glücklich, dass von studentischer Seite durchaus ein großes Engagement inzwischen entsteht bei uns, das ist ja so eine Entpolitisierung gewesen, die an allen deutschen Universitäten zu beobachten war. Wir hatten neulich Herrn Trittin, der über das Verhältnis von Nationalstaat und Europäischer Union oder die Rolle des Nationalstaates in der Gegenwart sprechen sollte, und da war der Saal rammeldicke voll. Also das ist schon durchaus auch eine Korrespondenz zwischen den sehr initiativereichen Studierenden meiner Universität und dem, was ich da versuche.
Billerbeck: Es gibt ja auch immer die Furcht, je weniger wir zu verteilen haben, desto schwieriger wird es für die Demokratie. Wie lässt sich dagegen halten?
Schwan: Einerseits ist das richtig. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es genügend Vernunft in Deutschland gibt, dass man nicht unendlich viel materiell weiterwachsen kann. Was notwendig ist, ist eine gerechte Verteilung dessen, was wir haben. Wir leben auf sehr hohem Niveau. Wir müssen das, was wir Leistungsgerechtigkeit nennen, überhaupt wieder einführen, denn die besteht ja bei uns gar nicht. Vielfach wird die Leistungsgerechtigkeit einfach durch einen nicht wirklich offenen Markt ersetzt, und das ist keine Möglichkeit, sich gemeinsam weiterzuentwickeln.
Und im Übrigen glaube ich, dass viele die Erfahrung machen, nach einer bestimmten materiellen Sättigung ist das Immaterielle eigentlich viel wichtiger, wenn wir ein wirklich sinnvolles oder ein geglücktes, ein gelungenes Leben führen wollen. Das ist eine Einsicht, die müssen wir nicht, glaube ich, oktroieren, sondern die ist bei vielen schon da. Und in der Tat wachsen müssen wir mit solchen Dingen, die nicht zusätzlich mehr Ressourcen, also materielle Ressourcen nicht zusätzlich mehr, oder möglichst wenig Energie verwenden, oder wir müssen auch viel Energie sparen. Und dann können wir, glaube ich, auch diese Demokratie bewahren. Denn Beteiligung an demokratischer Verantwortung ist zwar durchaus anstrengend, aber letztlich dann auch befriedigend, wenn man sieht, dass man etwas erreicht und geschaffen hat.
Billerbeck: Das klang fast schon wie die Rede einer Bundespräsidentin. Ich danke Ihnen schön. Gesine Schwan war meine Gesprächspartnerin, eine europäische Brückenbauerin, die als Präsidentin die Viadrina in Frankfurt (Oder) verlässt und vielleicht die künftige Bundespräsidentin wird. Ich danke.