Bogenschießen ist viel mehr als Sport
Teilnehmer eines Seminars zum meditativen Bogenschiessen greifen im Park des Klosters Maria Laach zu Pfeil und Bogen, um innerlich zur Ruhe zu kommen. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Gespannte Sehne
23:35 Minuten
Zu viel Stress macht krank. Manche Ärzte raten zu Yoga oder Meditation. Doch vielen ist das zu langweilig. Dann lieber meditatives Bogenschießen. Ein Selbstversuch.
Los gehts mit zwei Stunden Meditation und Bogenschießen. Das heißt: Zwei Mal 25 Minuten sitzen, dazwischen meditatives Gehen und erst danach wird geschossen, erklärt Gerhard Wiedemann. Er ist professioneller Bogenbauer. Einmal die Woche bietet er meditatives Bogenschießen an.
Die Achtsamkeitsübung aus der Meditation soll helfen, im Sitzen mithilfe des Atems ganz in seinem Körper anzukommen. Und diese Übung nehmen wir jetzt mit in die bewegte Meditation, weil wir uns dann eben besser auf den Bewegungsablauf des Bogenschießens konzentrieren können.
Zur Vorbereitung Soto-ZEN
Wir befinden uns auf einem nicht mehr genutzten Gelände der Deutschen Bahn in Berlin. Bäume und Sträucher haben die Brache zurückerobert. Lokschuppen und Baracken sind als Ateliers an Künstler vermietet. In einem der Gebäude hat auch Gerhard Wiedemann seine Bogenbauwerkstatt. Doch jetzt geht es erst mal auf die Knie; nach der Soto-ZEN-Tradition mit dem Gesicht nach außen. Nach etwa zehn Minuten machen meine Knie nicht mehr mit. Auch meine Lendenwirbel machen sich bemerkbar. Doch am schlimmsten ist, dass ich vorher nicht auf der Toilette war.
Der Schuss wird ganz bewusst aufgebaut. Erst mal kommt das achtsame, aufrechte, präsente Stehen. Dann nehme ich mir einen Pfeil. Den versuche ich auch mit aller Aufmerksamkeit aus meinem Köcher zu ziehen. Und dann stecke ich achtsam den Pfeil auf die Sehne und komme dann noch mal im Körper an.
Verbeugung vor dem Ziel
Und diese einzelnen Schritte bis zum Spannen des Bogens, bis zum Loslassen soll ich bewusst wahrnehmen, mit jedem Atemzug den nächsten Schritt folgen lassen. Unsere Scheiben sind etwa 10 Meter entfernt. Vor jeder Runde mit jeweils vier Pfeilen verbeugen wir uns vor dem Ziel: Ich genieße jeden Schritt des Schussaufbaus, um dann zu spüren, mit welcher Kraft der Pfeil den Bogen verlässt und ins Ziel stößt.
Die Vorbereitung auf diesen Bruchteil einer Sekunde, wenn sich die Sehne entspannt, die Lust am gesamten Ablauf des Geschehens, ohne allein den Höhepunkt im Auge zu haben – das kommt mir bekannt vor.
Neandertaler jagten mit Pfeil und Bogen
Um mehr über die Geschichte von Pfeil und Bogen zu erfahren, besuche ich das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Mit dieser Waffe gingen schon die Neandertaler auf die Jagd. Die länglichen oder dreieckigen Projektile fertigte man aus Knochen, Feuerstein oder Elfenbein.
Sie wurden mit Harz oder gekochter Birkenrinde an die Pfeile geklebt und mit Bast umwickelt. 12 000 Jahre alte Pfeilschaftglätter aus Stein zeigen, wie man versuchte, die Zielgenauigkeit auch durch die Bearbeitung der Pfeile zu optimieren. Mit Reichweiten um die 50 Meter war der Bogen wesentlich effektiver als Speer, Steinschleuder oder das Werfen mit Steinen.
Die ideale Distanzwaffe für die Jagd, aber auch, um Feinde abzuwehren. Schon in der Steinzeit gingen die Menschen damit aufeinander los, wie auf Höhlenzeichnungen aus dieser Zeit zu sehen ist. Über Jahrtausende experimentierte man am Bogenaufbau, um die Durchschlagskraft immer weiter zu erhöhen.
Beim Kompositbogen klebte man Hornstreifen auf die Innenseite des Holzes, während außen Schichten von Tiersehnen geleimt wurden. Man laminierte, würde man heute sagen. Auch wurden verschiedene Innovationen miteinander kombiniert, wie eine Grabzeichnung von vor etwa 5000 Jahren zeigt.
Jeder zweite Schuss daneben
Auch ich habe mir unter professioneller Anleitung einen Bogen gebaut. Beim Einschießen meines Langbogens in der Brandenburger Heidelandschaft habe ich einen enormen Pfeilverbrauch. Meine improvisierte Zielscheibe steht zwar nicht sehr weit entfernt, doch fast jeder zweite Schuss geht daneben.
Die Pfeile graben sich in bis zu 100 Metern Entfernung tief in den Märkischen Sand und bleiben unauffindbar. Vielleicht werden Archäologen in 1000 Jahren zumindest die stählernen Pfeilspitzen freilegen und daraus schlussfolgern, dass der Mensch so etwa im 21. Jahrhundert immer noch wusste, er mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gehen musste.