Sprödes Text-Sampling
Die Mischung macht's - aber offenbar doch nicht immer. Am Deutschen Theater Berlin mischt Regisseur Sebastian Hartmann Ibsen, Strindberg und Heinrich Heine zu einer rätselhaften "Gespenster"-Collage.
Nein, an Handlung sei er so gar nicht interessiert, sagt Regisseur Sebastian Hartmann. Das Publikum soll sich nur nicht vorschnell mit den Figuren identifizieren, stattdessen zum weltanschaulichen Gehalt vorstoßen. Tatsächlich muss er sich diesbezüglich keine Gedanken machen bei seiner Premiere am Deutschen Theater Berlin, denn lange Zeit kann von Identifikation keine Rede sein. Hier bleibt erstmal alles im Dunkeln. Nicht nur, weil wenig Licht auf die karge Bühne fällt, sondern vor allem, weil die aufeinanderfolgenden Szenen kaum Zusammenhang erkennen lassen.
Hartmann betätigt sich als Texte-Sampler, mischt Henrik Ibsens Familiendrama "Gespenster" von 1881 mit Strindbergs kurz drauf entstandener Tragödie "Der Vater" und gibt noch etwas von Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen" hinzu. Es ist vor allem Darstellerin Linda Pöppel, die, live begleitet von den Musikern Ben Hartmann und Philipp Thimm, einige Verse aus dem satirischen Epos von 1844 zum Besten gibt, die schnoddrig und rauchig vom Nachhausekommen singt und vom alten, piefigen Deutschland.
Kopftheater, das nicht so recht zündet
Verbindendes Glied ist die Vergangenheit, die nicht zur Ruhe kommt, die Geister, die in den Köpfen der Figuren spuken, die finsteren Familiengeheimnisse ebenso wie die politischen Untoten, auf die Heines lyrisches Ich immer wieder trifft. Reibung gibt es dabei reichlich, Verwirrung auch, Klarheit selten. Die Textcollage ist sprödes Kopftheater, das sich allerdings auf teilweise betörende Weise auf der Bühne entfaltet. Flirrende Schwarz-Weiß-Animationen erfüllen den schmucklosen Raum, in dem sich eine schwarze Rampe dreht, auf der die Darsteller wie verwirrte Alptraumfiguren hin und her huschen und immer wieder in einzelne Szenen hineinfallen, sie in unterschiedlicher Besetzung wiederholen, neu anstimmen, musikalisch variieren.
Eine brillante Verdichtung stellt sich nicht ein
Die brillante existentielle Verdichtung, die dem Regisseur im vergangenen Jahr mit seiner aufregenden Version von Döblins "Berlin Alexanderplatz" am selben Haus so spektakulär gelang, will sich diesmal nicht einstellen, statt wilder Verlebendigung, herrscht im Gespensterreigen düstere Ziellosigkeit. Erst gegen Ende scheint der Schleier aufzureißen und endlich lässt Hartmann die großen dramatischen Ausbrüche vom fabelhaften Ensemble ausspielen. Katrin Wichmann und Felix Goeser tragen den Strindberg’schen Ehekrieg mit Witz und Verzweiflung aus, und Edgar Eckert und Almut Zilcher werden noch einmal zu Mutter und Sohn, die in einer zitternden, tränenüberströmten Tour de Force von einander Abschied nehmen.
Auf den letzten Metern: großes Schauspieltheater
Großes, aufwühlendes Schauspielertheater präsentiert sich auf den letzten Metern dieses "Gespenster"-Abends, in dem es um Eltern und Kinder, um Paare, Ehen, Liebe und Hass geht. Es ist eine Collage, die jede Menge Rätsel aufwirft und noch mehr Fragen, die fasziniert und überfordert. Zugleich aber macht sie eben doch klar, dass wir in den Dramen des Realismus keinen Halt finden ohne Handlung, ohne Identifikation. Hier, im zerstückelten Texte-Reigen können wir nur fremden Menschen mit fremden Problemen beim Greinen, Zetern, Zittern zuschauen, ohne ihre Motive zu begreifen. Und das ist dann doch zu viel und zu wenig zugleich.