"Gespenstische Veranstaltung"

Andres Veiel im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Als Christian Wulff noch Bundespräsident war, am letzten Samstagabend, hat er anlässlich der Berliner Filmfestspiele 250 Filmschaffende ins Schloss Bellevue eingeladen. Nur gut 100 sind auch gekommen - und haben einen bereits am Boden liegenden Präsidenten erlebt, sagt Andres Veiel.
Klaus Pokatzky: Viele hatten sicherlich andere Termine, einige wollten aber nicht mehr bei und mit Christian Wulff gesehen werden. Der Regisseur Andres Veiel, der für seinen Dokumentarfilm "Black Box BRD" über die Rote-Armee-Fraktion vielfach ausgezeichnet wurde, ist zum Empfang gegangen. Guten Tag, Herr Veiel!

Andres Veiel: Ja, hallo!

Pokatzky: Wie war’s denn auf diesem Empfang? Hatten Sie den Eindruck, hier steht ein Bundespräsident auf Abruf?

Veiel: Ja. Also, es war schon eine sehr gespenstische Veranstaltung. Das lag jetzt nicht nur daran, dass viele Kollegen nicht gekommen waren und der Saal da nur ungefähr zu einem Drittel gefüllt war, sondern das war vor allem der Eindruck, den der Bundespräsident selbst gemacht hat. Da war jemand, der sehr gerungen hat, um überhaupt eine Präsenz zu zeigen. Das heißt, der hat eine ganz matte, eigentlich schon müde, bemühte Ansprache gehalten und alle Anzeichen haben schon darauf hingedeutet, da liegt jemand am Boden und die Stunden sind gezählt, dass er zurücktritt.

Pokatzky: Sie haben gesagt, dass Sie aus ethnografischem Interesse dort hingegangen sind. Was heißt das?

Veiel: Das heißt ja erst mal, als Dokumentarfilmer. Mein Hauptmotor ist die Neugierde. Ich interessiere mich ja für diese Bereiche von Macht und vor allem dann, wenn eine Macht sich auflöst, wenn sie verfällt, wie sie sich dann noch repräsentiert. Das ist ja Thema in ganz vielen meiner Filme: Wie drückt sich auch in einem demokratischen Staat Repräsentanz von Macht aus? Das kann innerhalb des Finanzwesens sein, das kann innerhalb der Politik sein. Und an diesen Brüchen, wenn eine Macht einen Raum verliert, da wird es ja interessant, weil man dann an diesen kleinen Rissen tiefer in die innere Mechanik von Macht – wie stellt sie sich dar, wie reagieren die Adjutanten darum herum, was sagen die in kleinen Nebensätzen –, und da wird es ja dann interessant, weil man dann über das eigentlich Inszenatorische hineinblickt in das, was dahintersteht.

Pokatzky: Also, Sie haben nach Stoff gesucht. Haben Sie auch was gefunden, was jetzt so im Kopf hängengeblieben ist, wo Sie denken, Mensch, also, wenn der nicht schon so am Boden gelegen hätte, dann wäre diese ganze Veranstaltung anders gewesen, weil die Adjutanten anders was gemacht hätten oder so?

Veiel: Ja, das sind ja diese Gespräche am Rande. Wenn mir Mitarbeiter sagen mit Achselzucken, sie sind auf die Verfassung vereidigt und nicht auf einen Bundespräsidenten, nicht auf die Person eines Bundespräsidenten …

Pokatzky: … dann sagt das schon was aus …

Veiel: … dann sagt das sehr aus, dass im Prinzip auch aus der Perspektive der Mitarbeiter die Uhr läuft und dass wir alle praktisch in einem Moment, einem historischen Moment anwesend sind, nämlich die letzten Tage oder vielleicht sogar Stunden eines Bundespräsidenten, der aus sehr persönlichen Gründen zurücktreten muss. Ich meine, die Tatsache, dass ein Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren einleitet, das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Und das war schon, das war noch nicht absehbar, wann es passiert, aber dass es passieren kann, war ja angesichts der Vorgeschichte der letzten Wochen und Monate auf jeden Fall, damit musste man rechnen.

Pokatzky: Aber das könnte jetzt auch fast so ein wenig nach Voyeurismus klingen, so nach dem Motto, wer weiß, wie lange man den Wulff noch als Bundespräsidenten sehen kann. Wie fließend sind denn die Übergänge von Interesse an der Situation oder ihrem professionellen Nach-Stoff-Suchen oder am Menschen Wulff und Voyeurismus?

Veiel: Also, Voyeurismus heißt ja, dass ich sozusagen durchs Schlüsselloch gucke und mir etwas greife, was mir nicht zusteht. Bei so einer Einladung kann ich ja ganz offen beobachten, also insofern glaube ich, stimmt da der Begriff Voyeurismus nicht. Ich glaube, dass es sogar ganz wichtig ist, dass wir als Filmemacher, als Künstler uns mit Macht und Machterscheinung und Machtrepräsentanz sehr genau beschäftigen, dass wir uns eben nicht fernhalten und sagen, das sind Bereiche, die erst mal öde oder langweilig sind oder wo es emotional nicht besonders prickelnd wird. Weil, gerade in dieser Auseinandersetzung, in der Feinmechanik, wie sich eben Macht darstellt, damit wird ja auch die Frage gestellt, in welcher Demokratie leben wir eigentlich, was für Repräsentanten haben wir, mit welcher Lebensgeschichte natürlich auch? Also, insofern ist es schon interessant, die Treibsätze eines Christian Wulff, wie er aufgestiegen ist, aus welchen Milieus er stammt, wie er sich dann in diesen Widersprüchen verheddert, das dann in einem größeren Kontext zu sehen, nämlich seines Amts und auch seiner Amtsführung.

Pokatzky: Aber Herr Veiel, welche Frage nach Demokratie in Deutschland hat Christian Wulff wie beantwortet?

Veiel: Ja, das ist halt das Traurige. Ich meine, er hätte ja ganz viele Vorlagen gehabt, die mich auch interessiert hätten oder die ich von einem Bundespräsidenten erwartet hätte, wo er Stellung nimmt. Wir sind in einem ganz … in einer Gefährdung der Demokratie aus meiner Sicht, wir sind getrieben von Finanzmärkten, die Frage ist, wie die Politik da überhaupt noch ein Primat jeweils zurückerobern kann. Und das wären ja auch genau die Felder, wo ein Bundespräsident mit einem etwas nach außen verlagerten geometrischen Messpunkt diese Sorgen oder diese Unruhe hätte wahrnehmen können und auch sich da in vorderster Front mit spannenden Sichtweisen positionieren können. Das alles ist ja unterblieben. Also, insofern war das in diesen letzten Eineinvierteljahren, dieser Zeit mit Christian Wulff, jetzt nicht eine Zeit großer Überraschungen.

Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur der Regisseur Andres Veiel, der auch Psychologe ist. Deshalb, Herr Veiel, lassen Sie uns mal über die psychologischen Komponenten dieses Rücktritts sprechen beziehungsweise hören wir doch erst mal einen Ausschnitt aus Christian Wulffs Rücktrittserklärung heute Vormittag:

O-Ton Christian Wulff: Ich habe in meine Ämtern stets rechtlich korrekt mich verhalten. Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig. Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt. Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern, die sich für unser Land engagieren. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundespräsidialamt und allen anderen Behörden, die ich als exzellente Teams erlebt habe. Ich danke meiner Familie, vor allem danke ich meiner Frau, die ich als eine überzeugende Repräsentantin eines menschlichen und eines modernen Deutschland wahrgenommen habe.

Pokatzky: Wie fand der Psychologe Andres Veiel diese Passage aus der Rücktrittserklärung? War das glaubwürdig?

Veiel: Ich glaube, dass er tatsächlich in einer Not ist. Das spürt man auch an seiner Stimme, dass das eine schlaflose Nacht bestimmt war. Die Frage ist trotzdem, ob er mit der nötigen Selbstkritik an seine Geschichte herangeht, ob er dazu in der Lage ist. Vielleicht ist er das jetzt nicht. Wenn er sagt, er wäre immer aufrichtig gewesen … Er war eben in vielem ein Winkeladvokat. Er hat scheibchenweise Dinge zugegeben, er hat im Parlament von Niedersachsen eben dann doch verschwiegen, dass es diese geschäftlichen Beziehungen gab. Das heißt, mit dieser Vorgeschichte, dieses langsame, wenn er gezwungen war, Zugeben von kleinen Wahrheiten … Er hat sich so in ein Aus manövriert, dass er natürlich jetzt erst mal die Schuld bei der Presse sieht, die diese Kampagne gefahren hat, dass er sagt, er hat sich nichts vorzuwerfen. Das werden jetzt die weiteren Ermittlungen ja dann zeigen, aber … Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass jemand noch, nachdem er so kleinschrittig vorgegangen ist in den letzten Wochen, dass jemand jetzt am Ende noch mal einen großen Wurf macht und tatsächlich das, was er bislang eben nicht zeigen konnte, ein wirklicher Staatsmann, der jetzt mit einer Größe auch zurücktritt und mit einer Klarheit und Umsicht, auch tatsächlich die eigenen Fehler benennt. Dazu war er nicht in der Lage und das finde ich …

Pokatzky: … wie hätte das ausgesehen, Herr Veiel? Also, wirklich mit staatsmännischer Größe sich hinzustellen und zu sagen, ich trete zurück? Inszenieren Sie das! Jetzt frage ich die Mischung aus Psychologe und Regisseur.

Veiel: Ja, der Regisseur hätte von seinem Schauspieler gefordert, dass er genauer ist auch mit sich, mit seinen Fehlern. Dass er eben nicht sagt, ich war aufrichtig, sondern, da bin ich geleitet worden auch von persönlichen Interessen.

Pokatzky: Also, ich war unaufrichtig?

Veiel: Ich war unaufrichtig in dem Sinne, dass ich in Teilen persönliche Interessen vor denen des Amts gestellt habe, und meinen Wunsch, in diesem Amt zu bleiben. Was ja auch durchaus menschlich ist, weil ein Christian Wulff anders als andere, wenn ihm der Ehrensold dann noch abgesprochen werden soll, er fällt ja wirklich in ein tiefes, schwarzes Loch. Und dass jemand mit dieser Geschichte dann besonders am Amt klebt, weil eben danach jetzt nichts Großes mehr kommen kann – der Mann ist 51 –, von daher ist es ja alles naheliegend. Und gerade deshalb hätte ich mir eben gewünscht, dass jemand dann sagt, jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren und jetzt lege ich all das, was ich, um im Amt zu bleiben, vielleicht halbherzig, vielleicht etwas retuschiert habe, das lege ich auf und offen. Und dadurch entsteht ja Größe, indem man eben auch zur Kleinschrittigkeit steht. Und dazu war er eben dann nicht in der Lage.

Pokatzky: Und jetzt frage ich nur noch nach einem Namen, wen hätten Sie gerne als Nachfolger oder Nachfolgerin?

Veiel: Also, ich hätte … Ich habe mehrere Namen. Ich meine, …

Pokatzky: … einen …

Veiel: … ich könnte mir Herrn Gauck vorstellen, das ist jetzt nicht besonders originell, aber zumindest …

Pokatzky: … ein origineller noch!

Veiel: Muss ich sagen, das Amt ist ein schwieriges und da müsste ich wirklich noch mal in mich gehen, weil es ja eben ein repräsentatives ist. Ich würde mir jemanden wünschen, ich kann es vielleicht so beschreiben: Ich würde mir jemand wünschen, der erkennt, welche Notwendigkeiten im Moment brennen, und der in der Lage ist, das eben nicht nur taktisch in Parteigrenzen zu formulieren, sondern weit über alles hinaus denkt. Und ich glaube, dass auf uns in den nächsten Jahren ganz große Herausforderungen zukommen, dass die Demokratie im Kern gefährdet sein wird durch die weiteren Entwicklungen, und da brauchen wir jemand, der den Mut hat, das zu erkennen, auch der aktuellen Politik zu widersprechen. Da gibt es nicht viele in dem Land. Ich muss noch mal nachdenken, ich melde mich noch mal, wenn mir ein richtig guter Name einfällt.

Pokatzky: Großartig, dann rufen Sie an, dann rufen Sie an!

Veiel: Ja gut, das mache ich doch glatt!

Pokatzky: Das wird der Regisseur Andres Veiel tun, bei dem ich mich herzlich bedanke für dieses Gespräch, zum Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff und wer vielleicht folgen wird.