Gespräch der Generationen
Im Buch "Kinder in Uniform", herausgegeben vom Schulmuseum Leipzig, interviewen Jugendliche ihre Eltern- und Großelterngeneration über deren Erlebnisse im Dritten Reich und in der DDR. In den Gesprächen treten Gemeinsamkeiten zwischen Kindheitsbiografien aus zwei Diktaturen zutage.
Systemvergleiche zwischen dem Dritten Reich und der DDR sind spannend und gefährlich zugleich. Spannend, weil es den Mechanismen und Strukturen nachzuspüren gilt, die Diktaturen zu eigen sind, die sie zum Beispiel befähigen, Kinder und Jugendliche in ihren Bann zu ziehen. Gefährlich, weil zu gerne mit Blick auf die DDR die Grausamkeit und die Verbrechen des Dritten Reiches verharmlost werden können.
Der NS-Rassismus aber und die Entschlossenheit zum Krieg, der Wahn von der Schaffung eines großdeutschen Reiches und die beispiellose Brutalität, diesen Zielen nicht nur das Leben von Millionen "Feinden" und "Artfremden" zu opfern, sondern letztlich auch das eigene Volk, ist und bleibt singulär. Dergleichen findet sich in dem DDR-ideologischen Popanz von der Herrschaft der Arbeiterklasse nicht, trotz der Unterdrückung aller "Klassenfeinde" und der bedenkenlos eingesetzten diktatorischen Repression zur Aufrechterhaltung der SED-Macht.
Und dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die auf erschreckende Weise sowohl der NS-Zeit, wie der einheitssozialistischen Herrschaft zueigen sind. Dazu zählt in erster Linie, dass diejenigen, die sich unterordneten, anpassten und mitmachten, subjektiv betrachtet die besten Jahre ihres Lebens in eben diesen Systemen verbrachten. Und das waren nicht zuletzt Kinder und Jugendliche.
Das "Schulmuseum - Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig" hat es unternommen, ihre Zielgruppe, also heutige Jugendliche im geeinten Deutschland, in ein Gespräch der Generationen zu führen, "über Kindheit und Jugend in zwei deutschen Diktaturen". Kinder und Enkel befragen "die Alten", wie es war, wie es kam, was sie empfunden haben, als sich die einen den Organisationen der Hitler-Jugend und die anderen - eine Generation später - der Freien Deutschen Jugend und ihren Unterabteilungen anschlossen.
In zahlreichen, klar strukturierten Gesprächen, ergänzt durch viele private Fotos und Dokumente, entsteht ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das in seiner Offenheit und Ehrlichkeit beeindruckt. Das aber zugleich den Leser auch tief traurig stimmt: Wie leicht es doch war, die Kinder zu verführen, wie groß die suggestive Sogwirkung auf Heranwachsende, dazu gehören zu wollen, Teil eines großen Ganzen zu werden, sich voll jugendlicher Inbrunst einer angeblich besseren Zukunft zu verschreiben.
In den Gesprächen werden die Tricks der Verführung in immer neuen Varianten benannt, die Sehnsucht nach Uniformität, nach Ritualen, Abenteuer und dem Gefühl, auserwählt zu sein, einem hehren Ziel zu dienen, dem Volk, der Rasse, der Klasse, der Partei. Tausende Sechszehnjährige wollten 1944/45 den Fall des Dritten Reiches mit ihrem Leben aufhalten. Und wie viele wurden zu Verrätern und Denunzianten, die selbst für die eigenen Eltern zur Gefahr werden konnten.
Zu den Verdiensten dieses Bandes zählt auch, dass er wie nebenbei die oftmals verwerfliche Rolle von Schulen und einem Großteil der Lehrerschaft offen legt. Sie waren allzu oft die treibende Kraft in beiden Systemen, die Kinder verführten, Eltern gegebenenfalls unter Druck setzten. Und nebenbei bemerkt: Sie dienten nach den jeweiligem Zusammenbrüchen der dann herrschenden Weltanschauung, in der sie nunmehr als verwerflich anprangerten, was sie gestern noch als unumstößliche Wahrheit ihre Schutzbefohlenen gelehrt hatten.
So gilt es, ein Lesebuch zu empfehlen, das falsche Vergleiche vermeidet und dennoch zutreffende Gemeinsamkeiten aufzeigt. Ein notwendiges Buch, das verstört, weil es die Möglichkeiten von Diktaturen schildert, Kinder zu verführen - und ganz aktuell die Frage aufwirft, was unsere Gesellschaft in jenen Regionen zu leisten imstande ist, wo beträchtliche Teile der Jugend den Rechtsextremisten zuneigen.
Besprochen von Günther B. Ginzel
Kinder in Uniform - Generationen im Gespräch über Kindheit und Jugend in zwei deutschen Diktaturen
Hrsg. vom Schulmuseum - Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig
Passage-Verlag, Leipzig 2008
352 Seiten, 19,80 Euro
Der NS-Rassismus aber und die Entschlossenheit zum Krieg, der Wahn von der Schaffung eines großdeutschen Reiches und die beispiellose Brutalität, diesen Zielen nicht nur das Leben von Millionen "Feinden" und "Artfremden" zu opfern, sondern letztlich auch das eigene Volk, ist und bleibt singulär. Dergleichen findet sich in dem DDR-ideologischen Popanz von der Herrschaft der Arbeiterklasse nicht, trotz der Unterdrückung aller "Klassenfeinde" und der bedenkenlos eingesetzten diktatorischen Repression zur Aufrechterhaltung der SED-Macht.
Und dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die auf erschreckende Weise sowohl der NS-Zeit, wie der einheitssozialistischen Herrschaft zueigen sind. Dazu zählt in erster Linie, dass diejenigen, die sich unterordneten, anpassten und mitmachten, subjektiv betrachtet die besten Jahre ihres Lebens in eben diesen Systemen verbrachten. Und das waren nicht zuletzt Kinder und Jugendliche.
Das "Schulmuseum - Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig" hat es unternommen, ihre Zielgruppe, also heutige Jugendliche im geeinten Deutschland, in ein Gespräch der Generationen zu führen, "über Kindheit und Jugend in zwei deutschen Diktaturen". Kinder und Enkel befragen "die Alten", wie es war, wie es kam, was sie empfunden haben, als sich die einen den Organisationen der Hitler-Jugend und die anderen - eine Generation später - der Freien Deutschen Jugend und ihren Unterabteilungen anschlossen.
In zahlreichen, klar strukturierten Gesprächen, ergänzt durch viele private Fotos und Dokumente, entsteht ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das in seiner Offenheit und Ehrlichkeit beeindruckt. Das aber zugleich den Leser auch tief traurig stimmt: Wie leicht es doch war, die Kinder zu verführen, wie groß die suggestive Sogwirkung auf Heranwachsende, dazu gehören zu wollen, Teil eines großen Ganzen zu werden, sich voll jugendlicher Inbrunst einer angeblich besseren Zukunft zu verschreiben.
In den Gesprächen werden die Tricks der Verführung in immer neuen Varianten benannt, die Sehnsucht nach Uniformität, nach Ritualen, Abenteuer und dem Gefühl, auserwählt zu sein, einem hehren Ziel zu dienen, dem Volk, der Rasse, der Klasse, der Partei. Tausende Sechszehnjährige wollten 1944/45 den Fall des Dritten Reiches mit ihrem Leben aufhalten. Und wie viele wurden zu Verrätern und Denunzianten, die selbst für die eigenen Eltern zur Gefahr werden konnten.
Zu den Verdiensten dieses Bandes zählt auch, dass er wie nebenbei die oftmals verwerfliche Rolle von Schulen und einem Großteil der Lehrerschaft offen legt. Sie waren allzu oft die treibende Kraft in beiden Systemen, die Kinder verführten, Eltern gegebenenfalls unter Druck setzten. Und nebenbei bemerkt: Sie dienten nach den jeweiligem Zusammenbrüchen der dann herrschenden Weltanschauung, in der sie nunmehr als verwerflich anprangerten, was sie gestern noch als unumstößliche Wahrheit ihre Schutzbefohlenen gelehrt hatten.
So gilt es, ein Lesebuch zu empfehlen, das falsche Vergleiche vermeidet und dennoch zutreffende Gemeinsamkeiten aufzeigt. Ein notwendiges Buch, das verstört, weil es die Möglichkeiten von Diktaturen schildert, Kinder zu verführen - und ganz aktuell die Frage aufwirft, was unsere Gesellschaft in jenen Regionen zu leisten imstande ist, wo beträchtliche Teile der Jugend den Rechtsextremisten zuneigen.
Besprochen von Günther B. Ginzel
Kinder in Uniform - Generationen im Gespräch über Kindheit und Jugend in zwei deutschen Diktaturen
Hrsg. vom Schulmuseum - Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig
Passage-Verlag, Leipzig 2008
352 Seiten, 19,80 Euro