Fulbert Steffensky: Das Haus, das die Träume verwaltet. Von der Schönheit tradierter Glaubensformen
Topos Taschenbuch, 176 Seiten, 9,95 Euro.
Tradition, Glaube, Engagement - Was wollen wir weitergeben?
Ist Tradition wichtig? Welcher Glaube hilft weiter im Leben? Wofür lohnt sich politisches Engagement? - Ein Generationengespräch mit der Religionspädagogin Samuela Schmid und dem emeritierten Theologieprofessor Fulbert Steffensky.
"Jede Zeit hat ihr eigenes Weihnachten" sagt der 83-jährige Fulbert Steffensky. In seinen Augen gehört Weihnachten nicht der Kirche allein, sondern auch der Gegenwart mit all ihren anderen Auffassungen. Es sei doch interessant, dass ausgerechnet die Menschen, die als "Zaungäste" an Weihnachten in die Kirche kämen, oft die traditionellsten Erwartungen an den Gottesdienst hätten.
Für die 28-jährige Samuela Schmid bleiben die alten Weihnachtslieder und der traditionelle Gottesdienst wichtig: "Da kann sich die Weihnachtsbotschaft entfalten und wird spürbar im gemeinsamen Singen und Feiern." Neuere Weihnachtslieder ertrage er geduldig, erklärt Fulbert Steffensky:
"Ich bin in den Kleidern der alten Weihnachtslieder groß geworden und habe darin auch glauben gelernt. Wir Alten sind ja sowieso schon ein bisschen aus der Zeit gefallen, und dann kann man mit Humor und Heiterkeit sich selbst gegenüber in die neuen Kleider der Jungen schlüpfen."
Die Sprache junger Menschen ernst nehmen
Um für junge Menschen attraktiv zu sein, müsse die Kirche deren Sprache ernst nehmen, fordert die katholische Theologin Schmid. In ihrem Schweizer Kanton ist sie als Vertrauensperson in der kirchlichen Jugendarbeit tätig. Es komme ihr darauf an, ein offenes Verständnis des Christseins zu vermitteln:
"Dass es nicht nur darum geht, irgendwelche Glaubensregeln einzuhalten, sondern auch darum, wie gehen wir miteinander um, wie gestalten wir zusammen eine positive Welt? Das muss aber nicht bedeuten, dass das nichts mehr mit Jesus zu tun hat."
Fulbert Steffensky, der über 20 Jahre lang in Hamburg evangelische Religionspädagogik gelehrt hat, betont, dass die Kirche auch eine "Glaubensverleihanstalt" sei, in der sich Menschen eine Sprache und Gesten leihen könnten. Als solche habe sie aber keine Ansprüche an diese Menschen zu stellen:
"Man wünscht immer, dass Menschen so denken, glauben, wie man selbst denkt und glaubt. Die Erwachsenheit besteht darin, dass man sich selbst als eine Möglichkeit auch des Glaubens versteht, und nicht als die Möglichkeit. Je weniger man sich für absolut hält, desto mehr kann man mit anderen sprechen und andere auch dulden."
Kirche müsse dabei verstehen, dass sie keine Schiedsrichterin sei, sondern nur mitspielen könne. Auch die Ökumene mit den Atheisten sei zu pflegen: "Wir brauchen diese Leute – und sie brauchen uns", so Steffensky. Für junge Leute sei ein Zusammenspiel zwischen Menschen verschiedener Weltanschauungen selbstverständlicher, findet Samuela Schmid:
"Und gleichzeitig ist es immer erst in Auseinandersetzung mit dem Fremden oder dem Unbekannten möglich, das Eigene zu finden und dem einen Rahmen zu geben."
Traditionen helfen, Weiterentwicklung ist nötig
Beide halten Traditionen für hilfreich und Religionsunterricht für einen wichtigen Ort, um diese kennenzulernen. "Ich muss nicht so viel glauben, wenn ich eine Tradition habe, denn der Glaube ist vergemeinschaftet", so Steffensky. Er plädiert zugleich dafür, Theologie weiterzudenken und Glauben weiterzudichten.
Samuela Schmid, wissenschaftliche Assistentin an der theologischen Fakultät der Universität Luzern, wünscht sich vor allem in zwei Fragen eine kirchliche Weiterentwicklung: bei der Zulassung von Frauen zum Priesteramt und im Umgang mit Sexualität.
Schmid: "Wenn wir theologisch davon ausgehen, dass Gott der Schöpfer der Welt ist und Gott den Menschen geschaffen hat, dann hat er ihn auch in seiner Leiblichkeit geschaffen. Dann ist das ein Teil unseres Menschseins, den wir nicht einfach ignorieren oder von uns wegweisen können. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in unserem Gegenüber auch immer Gott begegnen, weil Gott in jedem Menschen ist, dann finde ich: Wenn zwei Menschen sich auch in sexueller Art begegnen und in dieser Situation verletzlich zeigen, gibt es eine Situation, in der wir Gott näher sind als dann?"
Steffensky, der 13 Jahre lang Benediktinermönch war, bevor er zum evangelischen Glauben übertrat und die bekannte evangelische Theologin Dorothee Sölle heiratete, will sich heute mit Konfessionsunterschieden nicht aufhalten:
"Diese Unterscheidungen sind für mich vollkommen obsolet. Ich halte sie für eine vollkommene Kinderei. Zum Beispiel die Frage, ob Katholiken und Protestanten zusammen zum Abendmahl gehen dürfen. Die Welt brennt und Bischöfe reden darüber, ob Christen zusammen an einem Tisch sitzen dürfen!"
Suche nach Gerechtigkeit und Schönheit
Zusammen mit seiner 2003 verstorbenen Frau und anderen engagierten Christinnen und Christen begründete Steffensky 1968 das "Politische Nachtgebet" in Köln. Kirche sei nie politisch genug, findet er – aber immerhin habe man gelernt, nicht nur in Kategorien der Nächstenliebe zu denken, sondern Gerechtigkeit zu fordern. Samuela Schmid sieht bei jungen Menschen heute andere Formen der politischen Mobilisierung. Aber:
"Eigentlich fände ich es schön, wenn wir wieder beginnen würden, uns in größeren Gruppierungen zu treffen und Gebete oder Veranstaltungen zu solchen Themen zu machen."
Auch in der Weihnachtsgeschichte sehen Steffensky und Schmid eine politische Botschaft. Steffensky findet "viele Momente des Aufbegehrens" darin. Und: "Ob die Weihnachtsgeschichte richtig ist, interessiert mich nicht. Aber sie ist wahr." Schmid leitet aus der Geschichte der Flucht Jesu vor Herodes eine Richtlinie für den Umgang mit Migranten ab:
"Ganz klar sehe ich ein christliches Engagement auch darin, diesen Menschen, die heute oft unfreiwillig auf dem Weg sind, mit Offenheit zu begegnen, im besten Fall mitzuhelfen, für sie eine neue Heimat zu schaffen, sie mit offenen Armen zu empfangen."
Auch wenn beide den Geschenkezwang und Konsumterror zu Weihnachten kritisch sehen, halten sie doch Schenken und Beschenkt werden für etwas Schönes – zum Beispiel mit einem großen Blumenstrauß, wie Fulbert Steffensky sagt:
"Das Unnütze ist sowas Herrliches, und zu Weihnachten kann man sich das mal erlauben, was unnütz ist und was schön ist. Ich glaube, dass Schönheit das ist, was das Leben am meisten wärmt und hält."