Warum verändert Gestaltung nicht die Welt?
Seit 20 Jahren nun schon trifft sich die Gestalter-Szene Jahr für Jahr zur "Typo", dem wichtigsten Kongress der Branche. Es geht um die gesellschaftliche Bedeutung der Typografie genauso wie um manchmal düstere Zukunftsaussichten.
Eine amerikanische Businessfrau, ein britischer Zeichner, ein polnischer Philosoph: Bereits nach drei Vorträgen am ersten Tag der "Typo" ist klar, dass diese Ausgabe schwerlich auf einen Nenner gebracht werden kann. Vielleicht aber auch, dass genau das das Ziel der Veranstaltung ist: Die 1700 Besucher zu verwirren, zu fordern und sich ihren eigenen Reim zu machen auf das, was auf der Bühne passiert.
"Die Leute kommen her und erwarten, dass sie drei Tage später etwas klüger nach Hause gehen, auch müde. Also ich bin regelmäßig am Sonntag fertig, mein Kopf ist voll mit Anregungen. Das ist die Funktion dieser Konferenz, die Leute zusammenzubringen und die Gehirne wieder in Gang zu bringen",
sagt Deutschlands bedeutendster Schriftgestalter Erik Spiekermann, der die Typo vor 20 Jahren gegründet hat und immer noch vergnügt die Redner auf der Bühne anmoderiert. 1995 war das ein reines Typografen-Treffen, die Gestalter blieben unter sich. Längst gehört der Blick von außen auf die Szene dazu. Auch wenn der manchmal ungnädig ausfällt wie beim Eröffnungsvortrag von Jan Sowa. Die Ausgangsfrage des polnischen Soziologen und Philosophen: Warum verändern Kreativität und Gestaltung nicht die Welt, wenn sie so bedeutend sind, wie Politik und Wirtschaft vor allem in den vergangenen Jahren immer wieder betonen?
"Das kritische, reflexive Design zeichnet aus, dass es sich mit den Defiziten unserer Zeit auseinandersetzt, um sie besser zu verstehen und mit ihnen dann in Zukunft besser umzugehen. Das affirmative Design hingegen akzeptiert die Welt so wie sie ist, und macht aus Objekten Fetische. Das Auto zum Beispiel ist ein Fetisch, das die Probleme verdeckt, die es selbst erschafft."
Von Neugier getriebene Grundstimmung
Jan Sowa sagt das ganz freundlich, überhaupt herrscht auf der Typo eine freundliche, von Neugier getriebene Grundstimmung. Glaubt man den Rednern, ist das die Voraussetzung für die kreative und von Erfolg gekrönte Arbeit. Überhaupt Erfolg: In der von Freiberuflern nur so überbordenden Szene der Gestalter ist er die Messlatte für die eigene Existenzberechtigung. Und natürlich bekommen bei einer Konferenz wie der Typo nur die besten und interessantesten Redezeit. Auch wenn sie gewaltig tiefstapeln...
Jon Burgerman, der sich selbst als "Kritzler" bezeichnet, trägt ein gelbes Trikot, das er mit Edding-Stift bemalt zu haben scheint.
"Eine Kritzelei kann alles sein. Eine Idee, etwas, wovon du im Moment des Entstehens noch nicht genau weißt, was es wird."
Burgerman kritzelt sich durchs Leben und ist dabei unglaublich komisch. Seine Werke erinnern dunkel an Keith Haring, landen dann aber auch schon mal auf Cola-Dosen oder Verpackungen von Süßigkeiten. Ist das alles nur Zufall?
"Es ist völlig okay, nichts zu wissen, was man tut, solange man nicht Pilot oder Arzt ist. Ich glaube, Innovation ist nur ein schicker Ausdruck für einen glücklichen Zufall."
"Start-ups haben ein Riesenproblem"
Dann ein Vortrag, der die Besucher auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Harry Keller, hochbegabter Computerwissenschaftler und erst Ende 20, spricht über digitale Irrtümer. Einer dieser Irrtümer: Jeder rede von den goldenen Zeiten für Start-ups und Internetbuden. In Wirklichkeit hätten sie ein Riesenproblem:
"Das ist eine schräge Feststellung heutzutage, wo jeder von den 'goldenen Zeiten' der digitalen Industrie spricht. Die Startups glauben, mit ihren Ideen den etablierten Unternehmen Angst einjagen zu können. Das Problem ist, dass die Arbeit der kleinen Agenturen auf Projekten basiert. In der modernen digitalen Welt gibt es aber keine abgeschlossenen Projekte mehr. Alles muss immer weiter entwickelt werden."
Machen wir uns nichts vor, sagt Harry Keller. In dieser neuen digitalen Welt sind wir alle keine Experten. Was sich auch auf die Arbeit auswirkt. Da hilft nämlich nur: miteinander reden. Der Typograf Erik Spiekermann sieht das in einem Büromöbelstück versinnbildlicht:
"Die Kollegen wollen Sofas haben heutzutage, die hängen auf Sofas rum, weil sie gegenseitig in ihre Laptops reingucken, die arbeiten auf den Sofas sechsmal soviel wie an den Tischen."
Vielleicht hat Erik Spiekermann mit der Gründung der Typo vor 20 Jahren die Veränderung der Arbeitswelt ja ein Stück vorweggenommen: Jenseits der Vorträge wird hier auch angeregt gelümmelt. Nicht ausgeschlossen, dass die entscheidende Idee für ein zukunftsweisendes Produkt gerade in einer gemütlichen Sitzecke im Haus der Kulturen der Welt geboren wurde.