Hören Sie hier eine längere Fassung des Interviews mit Rudolf Horn.
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Der Mann, der die DDR möblierte
34:45 Minuten
Seine Möbel standen in vielen DDR-Wohnungen - Rudolf Horns MDW-Möbelserie war ein sozialistischer Bestseller. Der Clou: Jeder konnte seine Einrichtung nach eigenem Gusto zusammenbauen. Und auch mit 90 Jahren beschäftigt sich Horn mit Möbeln.
SED-Chef Walter Ulbricht was not amused: Als der DDR-Spitzenfunktionär die neuen Möbel von Rudolf Horn zum ersten Mal zu Gesicht bekam, sagte er: "Ich sehe hier keine Möbel, ich sehe nur Bretter". Doch trotzdem wurde die MDW-Möbellinie des Leipziger Gestalters ein Verkaufsschlager, fast ein Vierteljahrhundert lang. Denn mit seinen Möbeln zum selbst Kombinieren und Zusammenbauen hatte Horn einen Nerv getroffen:
"Ich möchte gern die Menschen von jedem gegenständlichen Zwang befreien. Das heißt, ich wollte, dass sie sich frei entscheiden können, mit welchem Mobiliar sie in ihrem Lebensumfeld umgehen wollen. Und diese Grundidee hat sich, wie sich nun inzwischen erwiesen hat, bewährt und hat wirklich eine… ja eine kleine Revolution bewirkt."
Und so waren die schlicht gestalteten, haltbaren Möbel von Rudolf Horn, denen man die Nähe zu den Konzepten des Bauhauses deutlich ansieht, in vielen DDR-Wohnungen zu finden.
Neuauflage mit 90
Ein weiterer Clou, auf den der heute 90-Jährige gern zurückschaut: der Freischwinger. Verbotenerweise hatte Rudolf Horn im Leipziger Grassi-Museum auf dem legendären Sitzmöbel "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe Platz genommen und befunden:
"Er war so herb, nicht bequem. Und das hat mich herausgefordert."
Horn wollte es besser machen und heraus kam der Freischwinger, anderes Konstruktionsprinzip, ähnliche Optik, aber bequemer. Auch der verkaufte sich gut, allerdings im Westen - die DDR brauchte Devisen. Jetzt, in Horns 90. Lebensjahr, wird eine Neuauflage des Freischwingers produziert, vertrieben von den Deutschen Werkstätten Hellerau – genau jenen Werkstätten also, die schon seit MDW-Programm hergestellt hatten.
Weniger erfolgreich war eine Idee Rudolf Horns aus den 70er-Jahren: die Wohnung ohne feste Wände. Die Bewohner konnten dabei den Grundriss selbst bestimmen und wieder verändern. Über Pilotprojekte kam die variable Wohnung allerdings nicht hinaus, so viel Flexibilität war zu viel für die DDR-Wirtschaft. Aber in Rostock ist Rudolf Horn kürzlich einigen Familien begegnet, die heute noch in den Musterwohnungen wohnen (*) - und in all den Jahren fleißig Wände verschoben haben:
"Sie haben genau das gemacht, was wir ja wollten, sie haben ihre Ersteinrichtung teilweise verändert. Kinder sind dazu gekommen, Kinder sind gegangen".
Humane Gestaltungs-Ethik statt Wegwerfprodukte
In Rudolf Horns eigener Wohnung stehen heute noch genau die Möbel, die er selbst vor 60 Jahren entworfen und gebaut hat. Mal etwas Neues?
"Das hat immer funktioniert, also ich frage mich: Weshalb sollte ich es ändern?" Dies entspricht seinem Anspruch an gut gestaltete Produkte, die keine kurzlebigen Moden unterworfenen Wegwerfartikel sein, sondern Bestand haben sollten:
"Das ist eine Gestaltungs-Ethik, die einfach eine humane Gestaltungs-Ethik ist. Und da wünschte ich mir, wenn ich heute unser Land und unsere Angebote erlebe, da wünschte ich mir: Rückbesinnung."
Oder mit anderen Worten: Nachhaltigkeit.
(pag)
(*) Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Textversion hieß es, Rudolf Horn habe die Familien in Rostock aufgetrieben. Tatsächlich kam er durch eine Recherche der MDR-Umschau-Redaktion mit den Familien in Kontakt.