Gestrichene Mohammed-Passage bei Dante

Ein Fall von falscher Fürsorge

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Buchmalerei aus der Göttlichen Komödie (1307-1321), Dante und Vergil durchwandern im Inferno den Wald der Selbstmörder.
Ursprünglich war auch der Prophet Mohammed ein Bewohner des neunten Höllenkreises in Dantes "Göttlicher Komödie". Seit einer Neuübersetzung in den Niederlanden nicht mehr. © akg-images / André Held
Ein Einwurf von Sama Maani |
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In einer Neuübersetzung von Dantes "Göttlicher Komödie" in den Niederlanden wurde eine Passage über Mohammed in der Hölle gestrichen, um die Gefühle von Muslimen nicht zu kränken. Der Psychiater Sama Maani hält das für ein vorgeschobenes Argument.
700 Jahre nach dem Tod des Autors wollte die Belgierin Lies Lavrijsen Dantes "Göttliche Komödie", die sie neu ins Holländische übersetzt hat, "freundlicher und zugänglicher" gestalten, weshalb sie aus dessen erstem Buch, dem Inferno, eine bestimmte Stelle entfernte. Die Rede ist von jener Passage, in der Mohammed, der Begründer des Islam, zusammen mit anderen von Dante Glaubensspalter und Zwietrachtstifter genannten Bewohnern des neunten Grabens der Hölle dargestellt wird.
"Hätten wir die Stelle unverändert gelassen, hätten wir einen Großteil der Leserinnen und Leser unnötigerweise verletzt", begründete Lavrijsen ihre Entscheidung.
Wenig überraschend löste sie damit eine Reihe durchwegs negativer Reaktionen aus. Kritiker, etwa im "Figaro" oder im belgischen "Standaard", warfen dem Verlag und der Übersetzerin vor, Europas literarisches Erbe zu zensurieren. Und die Website des iranischen Exilsenders Radio Farda titelte: Mohammeds Vertreibung aus der Hölle – Zensur à la Teheran jetzt auch in Amsterdam.
Im Iran war die zuvor vollständige Übersetzung der "Göttlichen Komödie" seit der Islamischen Revolution verboten. Erst zwei Jahrzehnte später gab es dann eine neue Übersetzung ins Persische, eine zensurierte.

In der Digitalmoderne lässt sich schwer zensieren

Im Unterschied zu den nachrevolutionären persischen haben arabische Übersetzer der "Göttlichen Komödie" die Mohammed-Passage nie ausgespart – aber mit den üblichen Verweisen auf den literarischen Charakter des Textes und den historischen Kontext versehen.
Aber Zensur ist nicht Zensur. Während holländischsprachige Leserinnen und Leser die Möglichkeit haben, jederzeit eine andere, ungekürzte Version des Infernos zu erwerben, hat die Zensur in Ländern wie der Islamischen Republik Iran das Ziel, Leserinnen und Lesern den Zugang zu inkriminierten Passagen und Werken ganz zu verwehren. Dass dies in der Digitalmoderne kaum mehr gelingt, steht auf einem anderen Blatt.
Es ist also – in Europa jedenfalls – letztlich unmöglich, Leserinnen und Leser vor der Rezeption jener Mohammed-Passage "gänzlich zu schützen". Oder allgemeiner: Vor traditionellen oder zeitgenössischen Kunstwerken, die an der Kategorie des "Kunstschrecklichen" teilhaben, des Gegenbegriffs zum "Kunstschönen"; Mohammed wird ja von Dante mit aufgeschlitztem Bauch und heraushängendem Eingeweide dargestellt.

Geht es wirklich darum, vor Verletzungen zu schützen?

Kann es also sein, dass hier jenseits des vordergründigen – und letztlich unmöglichen – Anliegens, Rezipienten vor Verletzungen zu schützen, ein anderes, unbewusstes Motiv existiert? Ein – in der Sprache der Psychoanalyse – magisches Denken, die unbewusste Fantasie, in die Vergangenheit zu reisen, um Dantes Werk von jener schrecklichen Passage zu reinigen?
Ein Motiv, das man versucht ist, auch jenen Vertretern der Identitätspolitik zuzuschreiben, die in den letzten Jahren die Zerstörung zeitgenössischer Kunstwerke fordern, die kritisch auf historische Grausamkeiten Bezug nehmen. Man denke etwa an "Open Casket", ein Bild der nichtschwarzen US-Künstlerin Dana Schutz, inspiriert von der Fotografie der Leiche des 15-Jährigen, 1955 von Weißen gelynchten schwarzen Jungen, Emmett Till. Oder an Sam Durants Installation Scaffold, ein Holzgerüst als Anspielung auf den Galgen als eine "für die amerikanische Geschichte zentrale Architektur".

Wider das kulturalistische Denken

Dafür, dass wir es hier mit Wunschfantasien und Bedürfnissen der Zensurierenden zu tun haben und weniger mit einem Schutzbedürfnis der vermeintlich Betroffenen – im Falle Dantes von Menschen aus islamisch geprägten Ländern –, spricht eine neue Umfrage der holländischen Universität Tilburg. Sie befragte 40.000 Iraner und fand heraus, dass 70 Prozent von ihnen nicht (oder nicht mehr) an den schiitischen Islam glauben.
In Europa werden seit den späten 1990er-Jahren Menschen aus Ländern mit tatsächlicher – oder vermeintlicher – islamischer Bevölkerungsmehrheit vollständig mit dem Islam identifiziert. Eine Identifizierung, die falschen kulturalistischen Annahmen, wie jene, die unzensurierte Übertragung des Infernos würde "einen Großteil der Leserinnen und Leser" verletzen, Vorschub leistet. Und dringend der Revision bedarf.

Sama Maani lebt als Schriftsteller in Wien. Er ist in Graz geboren, aufgewachsen in Österreich, Deutschland und dem Iran. Nach Studium der Medizin und Philosophie wurde er zum Psychiater und Psychoanalytiker ausgbildet. Im März 2021 erschien sein neuer Roman "Žižek in Teheran".

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