Gesund dank Placebo-Effekt
Weil das Vertrauen in die klassische Schulmedizin gesunken ist, setzen viele Patienten auf Alternativen: Akupunktur, Homöopathie, Chiropraktik oder pflanzliche Medizin sollen die Leiden lindern. Doch nach Einschätzung von Simon Singh und Edzard Ernst gibt es keine Belege für die Wirksamkeit der Alternativmedizin. Sie plädieren in "Gesund ohne Pillen" für die Rückkehr zur Schulmedizin.
Die Autoren, der eine ein erfahrener Wissenschaftsjournalist, der andere Professor für Alternativmedizin, sind zweifelsohne ausgewiesene Kenner der Materie. Entsprechend überzeugt von sich selbst treten sie auf: Sie versprechen dem Leser Aufklärung über Sinn und Unsinn der Alternativmedizin und ein allgemeingültiges Urteil. Ihre Überzeugung gründen sie auf die evidenzbasierte Medizin, die für sie das ultimative Beweisverfahren ist. Ausführlich stellen die Autoren sie denn auch im ersten Kapitel vor. Die evidenzbasierte Medizin stützt sich vor allem auf Doppelblindversuche, bei denen weder der behandelnde Arzt noch der Patient wissen, ob das verabreichte Medikament echt ist. Bessert oder beseitigt nur der zu testende Wirkstoff die Krankheitssymptome, ist damit der Beweis seiner Wirksamkeit erbracht. Nach Ansicht der Autoren ein unschlagbares Prüfverfahren.
Singh und Ernst nehmen sich in den folgenden Kapiteln mit historischen Diskursen vor allem der am weitesten verbreiteten Therapien an: Akupunktur, Homöopathie, Chiropraktik und pflanzliche Medizin.
Das Ergebnis ihrer Überprüfung: Nach den strengen Regeln der evidenzbasierten Medizin sind, so die Autoren, fast alle Verfahren und Methoden der Alternativmedizin Humbug. Ob man sich behandeln ließ oder nicht, das Ergebnis war in fast allen Fällen, die sie untersucht haben, im Doppelblindversuch dasselbe. Kurzum: Für die Autoren gibt es keinerlei Beweise für die Wirksamkeit der Alternativmedizin. Wenn sie denn wirkt, dann kommt ihrer Ansicht nach dafür nur eine Erklärung in Frage: der Placebo-Effekt. Das heißt, der Patient glaubt, er bekommt ein wirksames Mittel und schon geht es ihm besser. Die Selbstheilungskräfte des Körpers kommen hier zum Tragen. Für die Autoren ist das Schummeln.
Kurz und sehr knapp werden am Ende des Buches dann noch 36 weitere Therapien abgehandelt. Auch hier lautet das Fazit in vielen Fällen wenig wirksam, abzuraten oder sogar gefährlich.
Angesichts dieser Ergebnisse geißeln die Autoren in ihrem Schlusskapitel Forscher, Ärzte und Medien, die alternative Therapien anwenden, als unverantwortlich, beklagen eine dramatische Verschwendung von Steuergeldern und fordern eine Rückkehr zur Schulmedizin, die nachweislich hilft. Immer wieder zitieren sie dramatische Fälle von Krebserkrankungen, in denen die Patienten starben, weil sie sich der Schulmedizin verweigerten und eine alternative Therapie anfingen. Ihre Beispiele sind in der Tat drastisch und überzeugend.
Allerdings, und hier beginnt die Einseitigkeit der Darstellung massiv zu stören, verharmlosen die Autoren umgekehrt das ebenso dramatische Versagen der Schulmedizin, das ja erst dazu geführt hat, dass sich viele nach Alternativen umgesehen haben. Da die Autoren sich ausschließlich auf die evidenzbasierte Medizin stützen, fällt und steht ihre Argumentation damit. Nun gibt es in der Medizin durchaus andere Lehrmeinungen. So bestreitet zum Beispiel die Homöopathie-Forschung, dass man ihre stark individualisierten Therapien in Doppelblindstudien testen kann. Auch der Vorwurf, homöopathische Medikamente wären so extrem verdünnt, dass in ihnen kein einziges wirksames Molekül mehr vorhanden sein könnte, lässt sich schwer aufrechterhalten. Die Umweltanalytik weiß es besser. So machen zum Beispiel bereits zwei Milliardstel Gramm Tributylzinn, früher Bestandteil von Schiffsanstrichen, pro Liter Meereswasser Schnecken steril. Bisher war man davon ausgegangen, dass so winzige Mengen wirkungslos bleiben.
Keine Frage, die Autoren haben ein interessantes, gut verständliches Buch zur Alternativmedizin vorgelegt, doch ihre Überzeugung, Recht zu haben, ist angesichts des immer noch immensen Forschungsbedarfs über viele biochemische und psychosomatische Vorgänge wenig angebracht. Zu Recht warnen sie vor Missbrauch, falschen Hoffnungen, unseriösen Versprechen, wie sie in diesem bislang weitgehend ungeregelten Medizinbereich leider oft vorkommen. Insofern ein nützliches Buch. Es warnt vor Leichtgläubigkeit. Doch das gilt auch gegenüber der Schulmedizin.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Simon Singh/Edzard Ernst: Gesund ohne Pillen - was kann die Alternativmedizin?
Aus dem Englischen von Klaus Fritz
Carl Hanser Verlag 2009
398 Seiten, 21,50 Euro
Singh und Ernst nehmen sich in den folgenden Kapiteln mit historischen Diskursen vor allem der am weitesten verbreiteten Therapien an: Akupunktur, Homöopathie, Chiropraktik und pflanzliche Medizin.
Das Ergebnis ihrer Überprüfung: Nach den strengen Regeln der evidenzbasierten Medizin sind, so die Autoren, fast alle Verfahren und Methoden der Alternativmedizin Humbug. Ob man sich behandeln ließ oder nicht, das Ergebnis war in fast allen Fällen, die sie untersucht haben, im Doppelblindversuch dasselbe. Kurzum: Für die Autoren gibt es keinerlei Beweise für die Wirksamkeit der Alternativmedizin. Wenn sie denn wirkt, dann kommt ihrer Ansicht nach dafür nur eine Erklärung in Frage: der Placebo-Effekt. Das heißt, der Patient glaubt, er bekommt ein wirksames Mittel und schon geht es ihm besser. Die Selbstheilungskräfte des Körpers kommen hier zum Tragen. Für die Autoren ist das Schummeln.
Kurz und sehr knapp werden am Ende des Buches dann noch 36 weitere Therapien abgehandelt. Auch hier lautet das Fazit in vielen Fällen wenig wirksam, abzuraten oder sogar gefährlich.
Angesichts dieser Ergebnisse geißeln die Autoren in ihrem Schlusskapitel Forscher, Ärzte und Medien, die alternative Therapien anwenden, als unverantwortlich, beklagen eine dramatische Verschwendung von Steuergeldern und fordern eine Rückkehr zur Schulmedizin, die nachweislich hilft. Immer wieder zitieren sie dramatische Fälle von Krebserkrankungen, in denen die Patienten starben, weil sie sich der Schulmedizin verweigerten und eine alternative Therapie anfingen. Ihre Beispiele sind in der Tat drastisch und überzeugend.
Allerdings, und hier beginnt die Einseitigkeit der Darstellung massiv zu stören, verharmlosen die Autoren umgekehrt das ebenso dramatische Versagen der Schulmedizin, das ja erst dazu geführt hat, dass sich viele nach Alternativen umgesehen haben. Da die Autoren sich ausschließlich auf die evidenzbasierte Medizin stützen, fällt und steht ihre Argumentation damit. Nun gibt es in der Medizin durchaus andere Lehrmeinungen. So bestreitet zum Beispiel die Homöopathie-Forschung, dass man ihre stark individualisierten Therapien in Doppelblindstudien testen kann. Auch der Vorwurf, homöopathische Medikamente wären so extrem verdünnt, dass in ihnen kein einziges wirksames Molekül mehr vorhanden sein könnte, lässt sich schwer aufrechterhalten. Die Umweltanalytik weiß es besser. So machen zum Beispiel bereits zwei Milliardstel Gramm Tributylzinn, früher Bestandteil von Schiffsanstrichen, pro Liter Meereswasser Schnecken steril. Bisher war man davon ausgegangen, dass so winzige Mengen wirkungslos bleiben.
Keine Frage, die Autoren haben ein interessantes, gut verständliches Buch zur Alternativmedizin vorgelegt, doch ihre Überzeugung, Recht zu haben, ist angesichts des immer noch immensen Forschungsbedarfs über viele biochemische und psychosomatische Vorgänge wenig angebracht. Zu Recht warnen sie vor Missbrauch, falschen Hoffnungen, unseriösen Versprechen, wie sie in diesem bislang weitgehend ungeregelten Medizinbereich leider oft vorkommen. Insofern ein nützliches Buch. Es warnt vor Leichtgläubigkeit. Doch das gilt auch gegenüber der Schulmedizin.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Simon Singh/Edzard Ernst: Gesund ohne Pillen - was kann die Alternativmedizin?
Aus dem Englischen von Klaus Fritz
Carl Hanser Verlag 2009
398 Seiten, 21,50 Euro