Wenn der Trend zu Wildkräutern gefährlich wird
Unsere Ernährung hat einen neuen Trend: Wildkräuter sammeln. Das ist gesund - wenn man sich etwas auskennt und kein giftiges Kraut erwischt. Doch viel Wissen um die heimische Botanik ist uns bereits verloren gegangen.
Wenn in einem Flachbau im Berliner Bezirk Steglitz, das Telefon klingelt, dann droht irgendwo Vergiftungsgefahr. Seit mehr als fünfzig Jahren leisten Ärzte und Krankenschwestern hier Erste Hilfe für die Region Berlin-Brandenburg.
"Kurz vor Ostern war sehr en vogue die Traubenhyazinthe, das ist auch für kleine Kinder gut erreichbar und sie probieren diese Kügelchen, die glücklicherweise nur mindergiftig sind. Da beginnt so die Saison."
Der Auftakt zur Gartensaison – für die Toxikologin Daniela Acquarone und ihre Kollegen. Wenn es in der Natur sprießt und gedeiht, erhöht sich beim Giftnotruf die Anruffrequenz. 50.000 mal klingelt es pro Jahr, meist geht es um verschluckte Haushaltsmittel und Medikamente, in zehn Prozent der Fälle aber um Pflanzen:
"Klassiker auf Platz eins ist die Eibe. Die Eibe gilt zu recht als Giftpflanze, allerdings ist es wichtig zu wissen, dass in dem Fruchtmantel, in dem Fruchtfleisch die Giftstoffe nicht enthalten sind. Problematisch bei der Eibe sind die Kerne, die Samen der Pflanze, sowie die Nadeln, die aber von Kindern nicht bevorzugt werden."
Im Krimi wird gern mit giftigen Pflanzen gemeuchelt
Mit Eiben-Gift meuchelte schon bei Agatha Christie der Mörder. Auch Rizin aus Rizinussamen sorgte streng biologisch für einen verfrühten Exitus. Jenseits der Krimi-Landschaft hält sich das Todesrisiko allerdings in Grenzen, sagt die Toxikologin. Von einer Verbannung aller potentiellen botanischen Gefährder aus dem heimischen Garten hält sie nichts.
"Grundsätzlich tendieren wir dazu zu empfehlen, die Kinder sollen lernen auch mit Giftigem und Ungiftigem umzugehen, sie müssen lernen, dass es in Gärten auch Pflanzen gibt, die essbar sind, zum Beispiel die Johannisbeeren, aber es kann auch die Maiglöckchen geben, die auch schöne rote Beeren haben, die nicht essbar sind und giftig sind. Das sollten die Kinder peu à peu lernen."
Wobei eine botanische Grundbildung auch vielen Erwachsenen gut tun würde. Denn der ungebrochene Trend ins Grüne, vor allem das Wildkräutersammeln, wird für Ahnungsarme oft zur schmerzhaften Pflanzenkunde. Und sorgt dann beim Giftnotruf für Arbeit.
"Es gibt ein Trendgemüse, das ist der Bärlauch, aus dem man Salat macht oder Pesto, unterschiedliche Gerichte. Und man kann durchaus Bärlauch sammeln, wenn man sich gut damit auskennt, wenn man Bärlauch vom Maiglöckchen und insbesondere von der Herbstzeitlose auseinanderhalten kann, ansonsten sollte man lieber die Finger davon lassen."
Eigentlich ganz klar - wenn man weiß, worauf man achten muss
In ihrem großen Garten, in Berlin-Kladow, verabschiedet Katja Gurkasch ihre Gäste. Zwei Stunden dauerte das Pflanzen-Seminar.
"Heute war eine junge Frau da, die hat halt jetzt irgend 'nen Garten übernommen und hatte wirklich noch gar keine Ahnung weder vom Gärtnern noch von Wildpflanzen."
Und darum kommen sie zu Katja Gurkasch, in den 150 Jahre alten Familiengarten. Um zu sehen und zu riechen, was da sprießen könnte. "Essbarer Garten" hat Gurkasch ihr Projekt genannt. Der gern gesammelte Bärlauch wächst hinten rechts.
"Da haben wir halt einen Stiel und da kommt genau ein Blatt raus. Die Maiglöckchen habe ich am anderen Ende."
Ein Blatt, ein Stängel. Den Bärlauch in der Hand, eilt Gurkasch quer durch den Garten zu den Maiglöckchen:
"Da schlingt sich quasi immer ein Blatt ums andere, oder rollt so drum herum, da kommen immer gleich zwei Blätter auf einmal raus. Und auch der Blütenansatz ist eigentlich zu sehen."
Eigentlich eine klare Sache - wenn man denn weiß, auf was man achten muss. Weiter geht es. Zum nächsten Beet. Da wächst der Borretsch. Das Gurkenkraut. Für den Salat oder die hessische Grüne Sauce.
"Borretsch ist eine Pflanze, die sich dann auch selbst aussät. Und ungefähr da wo ich einen hatte, einen Meter weiter, wuchs 'ne Pflanze. Und ich dachte: Prima, der Borretsch hat sich ausgesät. Und dann kam ich so drauf, das Blatt mal anzufassen. Das Blatt ist ja so komisch weich, der Borretsch ist ja ein Raublattgewächs. Der hat ja ein raues Blatt. Und diese Pflanze hier ist samtig, weich. Und das ist nämlich der rote Fingerhut. Der kann direkt tödlich sein."
Darum: Erst gucken, dann schlucken. Und im Zweifelsfall die Finger davon lassen. Auch wenn – rein statistisch – die Mehrheit der mitteleuropäischen Pflanzen unbedenklich ist.
"Wir haben hier so ungefähr 80 Prozent essbare und 20 Prozent giftige Pflanzen. Naja, wenn man von den 20 welche erwischt, dann ist das halt trotzdem doof."
Der Eisenhut ist die giftigste Pflanze in Europa
Und dabei gibt es etliche Grenzfälle. Vom Borretsch sollte man nicht zu viel essen, wegen der giftigen Alkaloide, grüne Bohnen sind gesund - aber nur gekocht. Und Tulpenblütenblätter etwa gelten als schwach giftig. Trotzdem verwendet die Pflanzenfreundin Gurkasch einige wenige, fein gezupft, als Farbtupfer in ihrem Wildkräutersalat. Ohne dass es gesundheitliche Probleme gibt.
In der Giftnotrufzentrale klingelt mal wieder das Telefon. Kein Pflanzen-Alarm. Es geht um ein geschlucktes Reinigungsmittel.
"Glücklicherweise kann man sagen, im Bereich der Pflanzen handelt es sich überwiegend um Unfälle, die keine schwerwiegenden Konsequenzen haben. Also um harmlose Unfälle. Mit einigen Ausnahmen natürlich."
Und die sollte man kennen, sagt Toxikologin Daniela Acquarone. Erst recht, wenn man seinen Garten mit kleinen Kindern teilt. Auf eine Pflanze sollte man dann von vornherein verzichten:
"Der Eisenhut ist eine sehr sehr giftige Pflanze, es ist die giftigste Pflanze in Europa, auch wenn das eine sehr schöne Zierpflanze ist, sollte man diese im Garten nicht haben, wenn man Kleinkinder hat, denn in diesem Falle reichen sehr kleine Mengen, um eine sehr schwere Vergiftung hervorzurufen."