Gesunde Ernährung

Wie ein Spitzenkoch aus Notwehr zum Bauern wurde

Ein Hausschwein
Ein Schwein muss Schwein haben - und gesund leben dürfen, bevor es zum Nahrungsmittel wird © imago / blickwinkel
Franz Keller im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Franz Keller war ein Spitzenkoch, doch vor einem Vierteljahrhundert verabschiedete er sich bewusst von der Welt der Michelin-Sterne. Keller wurde Bauer, weil er in Deutschland kein gutes Fleisch fand. Jetzt hält er Schweine, die fett werden dürfen.
Überall, wo er gekocht hat, fiel bald auch ein Michelin-Stern vom Himmel. Franz Keller kommt aus einer kochenden Familie - schon seine Mutter Irma wurde im "Schwarzen Adler" 1969 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Der Sohn wurde auf der "Zähringer Burg" in Freiburg ausgebildet, und lernte danach in Frankreich weiter, unter anderem bei Paul Bocuse in Lyon und Michel Guérard in Paris. Dann kehrte er in den elterlichen Gasthof nach Oberbergen zurück, wo ein zweiter Stern den ersten bald ergänzte, kochte danach in Italien, um 1979 "Franz Kellers Restaurant" in Köln zu eröffnen. Welches einen Michelin-Stern bekam, ebenso wie das Restaurant des Schlosshotels Bühlerhöhe und das Kronenschlösschen in Hattenheim im Rheingau, wo Keller danach den Kochlöffel schwang.
Ein Porträt von Franz Keller
Franz Keller© imago / Future Image
Doch 1993 war Schluss. Keller verliess die Welt der Spitzengastronomie, um sich fortan der eigentlichen Grundlage des Essens zu widmen: den Nahrungsmitteln. Er sei damals wütend geworden, berichtete Keller im Deutschlandfunk Kultur, weil er nirgendwo in Deutschland gute Produkte, gutes Fleisch bekam. All die Jahre hatte Keller es sich aus Frankreich besorgt. Der Koch begann nun, Tiere zu halten. Schweine zum Beispiel, die bei ihm fett werden dürfen und mindestens zwei Winter gesehen haben müssen. "Ein Schwein, das nicht fett ist, ist einfach nur eine arme Sau", sagt Keller. Mit dem Fleisch werden dann die Gäste in der"Adler Wirtschaft" in Hattenheim verpflegt, die er inzwischen seinem Sohn übergeben hat. Franz Keller kocht selbst nur noch in der Küche seines Falkenhofes für kleinere Gruppen. (ahe)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Wer in Freiburg geboren wird, der hat schon per Geburt quasi den Hang zum guten Essen. Wer dann noch in einem Restaurant geboren wird, oder besser in dem Haus daran, und eine Mutter hat, die einen Michelin-Stern hat, der muss eigentlich Koch werden, finden Sie nicht auch? Zumindest, er muss Spitzenkoch werden.
Und genau das ist er geworden, Franz Keller, der jetzt mein Gesprächspartner ist. Und wenn man die Liste aufzählt, wo er überall gekocht hat, dann hat man da das Who's who der deutschen Spitzengastronomie dabei.
Also: die Zähringer Burg, er hat gelernt und gekocht bei Bocuse in Frankreich, er ist auf den elterlichen Gasthof zurückgekehrt, und da kam dann zum ersten Michelin-Stern der Mutter ein zweiter hinzu. Dann hat er in Italien gekocht und wieder sich ein wenig von der Strenge der französischen Küche befreit, und dann hat er sein eigene Restaurant eröffnet – Franz Keller´s Restaurant in Köln ... wieder ein Michelin-Stern. Und so ging es weiter und weiter.
Und nun ist aus diesem Spitzenkoch Franz Keller seit 20 Jahren ein Bauer geworden. Warum das so ist, darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben, mit dem schönen Titel "Vom Einfachen das Beste: Essen ist Politik und warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden". Das will ich jetzt mit ihm bereden. Schönen guten Morgen, Herr Keller!
Franz Keller: Guten Morgen! Hallo!
von Billerbeck: Können Sie als Spitzenkoch überhaupt schmecken, woher das Fleisch kommt, oder besser gesagt, wie die Rinder gelebt haben, die Sie da verarbeiten?
Keller: Also, man merkt schon Unterschiede. Natürlich ist das schwierig, in manchen Fällen, wenn es um die ganzen Gewürze und alles Drum und Dran geht. Aber man merkt schon, was man da für eine Faser isst, oder ob da was dran ist – Geruch, Geschmack und so, das kriegt man schon sehr gut mit. Da muss man, glaube ich, noch nicht mal ein Profi sein.
von Billerbeck: Man merkt es ja zum Beispiel, wenn da nicht so viel Wasser raus kommt. Das ist ja schon mal ein gutes Zeichen.

Billigschweinefleisch ist leider sehr populär

Keller: Das ist schon mal einer der schlimmsten Tests und einfachsten überhaupt, ja, bei diesem Billigschweinefleisch, was leider sehr populär ist.
von Billerbeck: Es ging ja, also wenn man von Gemüse redet, da ist es ja noch relativ einfach, gute Produkte zu bekommen. Da kann man vielleicht auf Höfe fahren oder so. Wieso ist gerade das Fleisch so das Problem für Köche?
Keller: Ja, weil es ein Massenprodukt geworden ist, weil es billig sein muss, und weil es auf diese ganzen Kriterien, auf die es eigentlich ankommt, die meisten gar nicht mehr wissen, was das ist. Es ist einfach, der Markt produziert leider das immer, was die Leute wollen. Und wir Deutsche – die Lebensmittel sind ja nicht umsonst am billigsten bei uns in Deutschland – sind nicht nur sparsam, sondern denken auch wirtschaftlich. Aber wenn es ums Essen geht, ist das ein bisschen schwierig. Da sollte man vielleicht ein bisschen anders drum denken – mehr an Qualität.
von Billerbeck: Wo haben Sie denn früher – als Spitzenkoch – ihr Fleisch gekauft? Da wollten Sie doch sicher auch keines, das wässrig in der Pfanne brutzelt.
Keller: Ja, ich habe halt damit angefangen, weil ich das immer von Frankreich holen musste. Nichts gegen Frankreich, die waren ein großes Vorbild, die sind es heute noch, dort können Sie sogar Lebensmittel kaufen, mit der Appellation Controller. Das heißt, Sie wissen, wo es herkommt, Sie wissen, wie sie wachsen, und wo sie wachsen. Und man schützt dort seine guten Produkte, wie zum Beispiel das Poulet de Bresse. Das gibt es alles in Deutschland nicht.
von Billerbeck: Das Bressehuhn.

In anderen Ländern wird mehr Wert auf Essen gelegt

Keller: Ja, genau! Das Bressehuhn. Und das haben Sie beim Lamm, das haben Sie beim Rind, mit den Regionen – die Rindernamen sind mit den Regionen verbunden. Man darf sie auch nur so nennen, wenn sie aus der Gegend kommen. Es gibt Länder, die legen halt auf ihr Essen ein bisschen mehr Wert, als wir. Aber das ist auch Politik. Weil das wurde nie so angelegt, wurde auch nie angestrebt. Massenware und billig ist die Annonce.
von Billerbeck: Gab es damals eigentlich so den Moment oder einen Anlass, wo Sie die Faxen sowas von dicke hatten und dann eben beschlossen hatten, so jetzt mache ich es selbst, jetzt züchte ich meine eigenen Tiere?
Keller: Ja, natürlich! Es kann doch nicht sein, dass wir ein Land sind, mit wirklich sehr viel landwirtschaftlicher Fläche, genauso wie Frankreich auch, und lassen das in die falsche Richtung verkommen. Und bei mir fängt es mit dem Produkt an. Und weil ich das Produkt eben in Deutschland nicht gefunden habe, deshalb bin ich wütend geworden, deshalb habe ich angefangen mit einem kleinen Hühnergarten, und so weiter und so fort.
Dann habe ich einfach gesagt: Man, wenn ihr es nicht könnt … Wenn ich mit den Bauern diskutiert habe, die haben abgewunken, sie kriegen nichts dafür, das bezahlt mir keiner. Und dann habe ich gesagt: Dann mache ich es halt selber. Ich habe das mit Gänsen gemacht, inzwischen gibt es einen, der macht es ähnlich, wie ich, aber der mästet halt auch noch zu schnell.
Und das Problem ist, die beiden Produkte können nicht nebeneinander bestehen, weil die Preisdifferenzen werden so hoch, dass man wirklich sagt: Um Gottes Willen, wenn jetzt hier das Billigzeug drei Euro vierzig kostet, und plötzlich kostet das Schweinefleisch fünfzehn Euro, wie kommt das? Wie kann das sein? Und da sagt mir jeder, winkt jeder ab und sagt: Das zahlt dir keiner!
Ok, dann mache ich es halt selber. Und zwar erstmal für mich, und dann für die Gäste. Das heißt, es ist wirklich wie ein Hobby gewesen, am Anfang. Und wenn man es wirtschaftlich bedenkt, ist es auch heute noch. Ich will einfach die Fahne hoch halten für gute Produkte, und deshalb mache ich es halt selber, lasse die Leute dran schmecken, lasse sie es essen, bei mir.

Ein Vorbild sein

Es kommt immer wieder die Frage: Wie kann ich dein Fleisch kaufen? Ich produziere nicht mehr. Ich möchte ein Vorbild sein, dass da wirklich mal ein paar Leute auf die Idee kommen, das zu machen, zu propagieren – und in der Hoffnung, dass es auf der anderen Seite auch ein paar gibt, die das dann auch bezahlen, die bereit sind, vielleicht weniger Fleisch zu essen, aber dafür richtig gutes.
von Billerbeck: Es wird ja sowieso empfohlen, nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch zu essen. Wir essen – wir Deutschen – sowieso zu viel. Aber die Frage: – Sie haben ja angefangen mit einem Hühnerhof und Kaninchen, habe ich in der Vorbereitung gelesen. Inzwischen sind Sie auch bei Schweinen. Wie bitte leben denn Ihre Schweine?
Keller: Ich bin nach den Hühnern zu den Schweinen gekommen. Kaninchen ist jetzt neuerdings. Das Schweinefleisch ist das wichtigste Fleisch überhaupt, von unserer Kultur her, und es gibt so tolle Sachen: Es gibt Speck, es gibt Würste, es gibt Blutwurst. Das ist deutsch, das ist traditionell, und das wollte ich haben. Ich will nicht dauernd nur französisch kochen und mit französischen Produkten. Ich bin Deutscher, wir sind in Deutschland, und wir sollten einfach was dafür tun, dass wir diese Dinge haben.
von Billerbeck: Und noch mal die Frage: Wie leben Ihre Schweine?
Keller: Meine Schweine leben wunderbar. Sie leben anderthalb Jahre, also mindestens müssen sie zwei Winter gesehen haben. Sie dürfen fett werden, weil ein Schwein, was nicht fett ist, ist einfach nur eine arme Sau, auf gut deutsch gesagt. Die müssen gefüttert werden, die müssen sich wohl fühlen, und sie müssen über das Alter von fünfeinhalb Monaten, was heute die Norm ist, hinauskommen, weil das ist noch kein … Meine Großmutter hat immer gesagt: Das ist doch Schweinefleisch, das ist Kalbfleisch für Leute, die nichts bezahlen wollen, ein Schwein, das fünfeinhalb Monate alt ist. Und das hat mit einem guten Kalbfleisch genau so wenig zu tun, wie mit einem guten Schweinefleisch.
von Billerbeck: Dann, Herr Keller, dann möchte ich zum Schluss eine Beschreibung haben – Sie können in allen Adjektiven schwelgen, die Ihnen jetzt einfallen – wie Ihr Schweinefleisch schmeckt.

Mein Schweinefleisch ist fett!

Keller: Mein Schweinefleisch ist fett, hat einen richtig dicken fetten Rand, das gehört sich. Natürlich haben wir ein Problem: Wir machen Schmalz, wir machen alles Mögliche, wir machen Würste – da muss das Fett auch rein. Wir verarbeiten nur, was wir haben. Und das Schweinefleisch schmeckt richtig gut. Es ist auch fest, es ist dunkler, als das normale. Entschuldigung, nicht normale, das perverse, was wir heute so kennen, als Schweinefleisch. Es hat einfach Geschmack, und es ist eine ganz andere Textur und Struktur. Das merkt man, wenn man bei mir das auch mal probiert und isst.
von Billerbeck: Und das "bei mir", das ist die Adlerwirtschaft, die er mit seiner Frau zusammen betreibt, wo es regionale deutsche Küche gibt und eben auch diese fetten Schweine.
Keller: Ja, mein Sohn betreibt die inzwischen, und ich mache den Hof.
von Billerbeck: Ok. Das ist in Ordnung. Sie sind bei den Schweinen, der Sohn kocht. Herr Keller, ich danke Ihnen schön für das Gespräch und nenne noch mal den Titel Ihres Buches, falls Leute jetzt neugierig geworden sind. "Vom Einfachen das Beste" heißt es. Danke Ihnen und einen schönen Tag!
Keller: Herzlichen Dank, da wünsche ich Ihnen auch! Tschüss!
von Billerbeck: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Franz Keller: "Vom Einfachen das Beste - Essen ist Politik oder Warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden"
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018
256 Seiten, 24,00 Euro

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