Gesundheit

"Weniger im Krankenhaus und länger leben"

Prof. Friedrich Köhler, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin, Oberarzt für Kardiologie an der Medizinischen Klinik m. S. Kardiologie und Angiologie Berliner Charite
Friedrich Köhler © Moritz Behrendt
Friedrich Köhler im Gespräch mit Ute Welty |
Die Telemedizin ist eine "sehr große Chance" für Herzpatienten, glaubt Friedrich Köhler von der Berliner Charité. Insbesondere im ländlichen Raum biete diese Art der Fernanalyse mehr Sicherheit für die Betroffenen.
Ute Welty: Für Herzkranke kann es überlebenswichtig sein, dass ihre Daten regelmäßig überprüft werden, um frühzeitig eingreifen zu können, wenn womöglich ein Infarkt droht. Aber inwieweit wird der Patient durch solche Kontrollen noch weiter belastet, vor allem, wenn der nächste Facharzt eben nicht um die Ecke ist? In solchen Fällen kann die Telemedizin helfen. Professor Friedrich Köhler leitet das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin an der Berliner Charité und ist höchstpersönlich um sieben Uhr und neunundvierzig ins Studio gekommen. Guten Morgen!
Friedrich Köhler: Guten Morgen!
Welty: Also, den Erstkontakt, den nehmen Sie dann doch lieber Auge in Auge wahr.
Köhler: Immer. Der erste Lehrsatz der Telemedizin heißt: Wer Telemedizin miteinander machen muss, muss sich mindestens einmal die Hand gegeben haben.
Welty: Wenn ich nicht die Moderatorin wäre, sondern die Patientin, welche Daten hätten Sie sich heute früh schon angeschaut?
Köhler: Ich hätte mir Ihr EKG angeschaut, eine EKG-Analyse, ich hätte Ihr Gewicht gewusst - und ich hätte Ihren Blutdruck gewusst und und vor allem, sehr wichtig, Ihre Selbsteinschätzung des letzten Tages. Sie hätten dem gestrigen Tag eine Note zwischen eins und fünf gegeben. Und diese interne Uhr aus dem Bauch, die ist auch oft sehr wegweisend.
Welty: Aber es ist ja eine subjektive Größe, diese Note.
Köhler: Das ist eine subjektive Größe, die natürlich immer im Puzzle der anderen Werte auch irgendwie eine Bedeutung hat, und aus dem kann man dann natürlich auch schon Rückschlüsse ziehen.
Welty: In der Vorbereitung des Projektes, mit was für Schwierigkeiten hatten Sie da zu kämpfen, zum einen technischer Art, aber auch dann von der Psychologie der Patienten her. Denn nicht jeder Herzpatient ist ja technikaffin?
Köhler: Wir haben als technische Herausforderung gehabt, dass wir aus jedem Ort in Deutschland - wie Deutschlandradio - die mobilfunkbasierten sicheren Datenübermittlungen brauchen. Das ist natürlich auch im Ländlichen eine besondere Herausforderung. Unsere Norm an den Telekom-Provider ist, in 180 Sekunden muss das EKG aus jedem Ort in Deutschland bei uns sein.
Welty: Und das ist schon eine Menge Volumen, was da transportiert wird.
Köhler: Das ist eine Menge Volumen - zwei Minuten, manchmal auch länger, wenn das ein Dauer-EKG ist. Das ist die technische Seite. Dann - wie können Menschen, die nie vorher irgendwas mit Bluetooth-Netzwerken zu tun hatten und das Wort auch gar nicht hören sollen, wie können die innerhalb von einer Stunde diese Apparatur beherrschen, sodass sie sie dann auch in den kleinen Koffer packen können, damit man sie mit ins Gartenhaus nehmen kann. Dann braucht man große Knöpfe, keine Sub-Menüs - das geht. Und das waren alles keine großen Herausforderungen. Ich glaube, und wir haben eine hohe Akzeptanz bei den Patienten, weil natürlich wir sagen können, dieses Frühwarnsystem soll das Ereignis vermeiden - bei uns zum Beispiel Wasser in der Lunge -, was sie alle schrecklich schon mal erfahren hatten. Und da ist eine große Bereitschaft da.
Welty: Die Patienten fühlen sich sicherer, und sie fühlen sich vielleicht auch unabhängiger?
Köhler: Auf jeden Fall. Das heißt, sie leben allerdings, muss man aufpassen, nicht für die Vitalanalyse, sondern sie gehen nur morgens nach dem - sie putzen ihre Zähne, messen die Werte, die kommen dann zu uns, und wenn sie wissen, es kommt keine Antwort von uns, dann ist der Tag in Ordnung. Und das gibt ihnen aber ein großes Gefühl der Sicherheit.
Welty: Was sagen Sie denen, die Ihnen vorwerfen, die Medizin weiter zu entmenschlichen, weil es ein Stück mehr Apparat ist?
Köhler: Denen sage ich, dass wir die Patienten ja auch einmal besucht haben zum Schulen. Also das sind bei uns geschulte Fachschwestern, Heart Failure Nurses heißen die -
Welty: Wie heißen die bitte?
Köhler: Heart Failure Nurses. Das ist ein englischer Begriff, der jetzt auch in Deutschland en vogue ist. Und das Zweite ist, diese Schwestern, die bei dem Patienten zuhause waren, die sind dann auch die primären Ansprechpartner. Einmal im Monat führen die ein monatliches Patientengespräch durch. Also wir wollen alles tun, dass der Patient nicht das Gefühl hat, a) mit einem Callcenter zu sprechen, und b), dass wir doch sehr viel Kommunikation üben auch mit dem Haus- und Facharzt. Dass also die normale Betreuung weiter geht und dass eben nur ein zusätzliches Netz gespannt ist. Und es müssen alle eingebunden sein.
Welty: Welche Patienten kommen für ein solches Projekt, wie Sie das jetzt betreuen, in Frage, und was haben die davon?
Köhler: Die größte Risikogruppe bei Patienten mit Herzschwäche sind diejenigen, die gerade aus dem Krankenhaus rauskommen. Diese ersten drei Monate sind die kritischste Phase sowohl, was die Sterblichkeit als auch für die Rehospitalisierung, also die Wiederaufnahme ins Krankenhaus angeht. Und in dieser sind wir eine Brücke zur Stabilität. So nennen wir das.
Welty: Das heißt, ich hab die Chance, auch nachher wieder von der Leine gelassen zu werden.
Köhler: Genau. Und unser Konzept sieht vor, dass wir diese Patienten, also tägliches Anschauen dieser Werte, ein Jahr lang durchführen, und wir wissen aus einer großen Vorstudie 2008 bis 2010, die wir selbst durchgeführt haben, dass, wenn jemand ein Jahr nicht im Krankenhaus war wegen Herzinsuffizienz, dann kann er in die Selbstmessung übergehen. Und wenn ein neues Ereignis ist, dann beginnt es quasi wieder von vorn.
Welty: Das Ganze ist ja ein Projekt, das immerhin 20 Millionen Euro kostet. Warum lohnt es sich, das Geld zu investieren?
Köhler: Es ist ein lohnendes Projekt deshalb, weil wir ja insbesondere im ländlichen Raum die Situation haben, dass wir keine niedergelassenen Kardiologen haben für ein sehr hochkomplexes Krankheitsbild mit vielen Facetten und vielen Dingen, die man beachten muss, und dass überwiegend eine hausärztliche Versorgung eines kardiologischen Krankheitsbildes passiert. Und dann auch noch mitunter weite Wege zurückzulegen sind. Und da ist natürlich eine sehr große Chance, dass man sagen kann, jetzt mit einem aktiven Patienten, der auch seine Krankheit reflektiert und sagt, ich hab auch was mit meiner Krankheit zu tun, kann man zu einer wirklich besseren Versorgung kommen. Bessere Versorgung heißt: weniger im Krankenhaus und länger leben. Das sind die Ziele.
Welty: Und günstiger für die Kassen, die dieses Projekt ja auch fördern.
Köhler: Die Kassen fördern das Projekt, aber schauen erst mal kritisch drauf, weil diese Erwartungen, die wir eben so besprochen haben, von denen wir natürlich alle total überzeugt sind, die muss man hart beweisen. Und das harte Kriterium heißt, die sogenannte randomisierte klinische Studie, das heißt, Zufall, wer in die eine oder andere Gruppe kommt, und erst, wenn dieser Beweis da ist, dann sagen wir, aus diesen 1500, die wir jetzt einschließen werden, ist das für 200.000, die in Deutschland davon betroffen sind, wird das ausgerollt, bekommt es jeder auf Rezept. Und diesen Beweis führen wir gerade.
Welty: Wann gibt es diese Perspektive? Wann ist das Projekt abgeschlossen?
Köhler: Wir möchten 2015 das Projekt abschließen. Dann gibt es noch vielleicht ein Vierteljahr Auswertung, und dass wir Anfang 2016 dann wirklich sagen können, das hilft.
Welty: Auch ein Professor wird mal krank. Wäre Telemedizin für Sie ein gangbarer Weg?
Köhler: Mit Sicherheit. Aber nur, wenn ich die Richtigen habe!
Welty: Professor Friedrich Köhler vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin an der Berliner Charité. Ich danke für den Besuch im Studio!
Köhler: Vielen Dank!
Welty: Und unsere Reihe über die Vermessung des Ichs in der Ortszeit geht morgen weiter. Wir sprechen dann eben über die Vorteile für die Krankenkasse. Und alle Interviews und Bericht, die finden Sie auch auf deutschlandradiokultur.de
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.