Die breiten Glasschiebetüren des Gesundheitskiosks stehen im Hochsommer stets offen. Draußen schlendern die Billstedterinnen und Billstedter durch die Fußgängerzone des Viertels. Gerade ist Markttag.
Es ist viel los. Drinnen im hellen Foyer warten zwei junge Frauen auf ihren Beratungstermin. Wer nur eine kurze Frage hat, muss nicht lange warten, verspricht Alexander Fischer.
Hilfe auf schnellem Weg
Der Gesundheitskiosk verstehe sich als eine niedrigschwellige Stadtteileinrichtung, direkt am zentralen Marktplatz: "Sie können ohne Termin reinkommen und finden mehrsprachiges, akademisiertes Personal. Wenn Sie eine Gesundheitsfrage haben, bekommen Sie die von uns auf schnellem Wege beantwortet."
In Zeiten des Ärztemangels
Alexander Fischer ist Geschäftsführer der „Gesundheit für Billstedt Horn“. Initiiert wurde der Gesundheitskiosk vor fünf Jahren von Ärztinnen und Ärzten im Hamburger Osten, als Reaktion auf den Mangel an Medizinerinnen und Medizinern in Billstedt.
Viele gehen dann lieber gar nicht zum Arzt
Dort verdienen die Menschen weniger als in anderen Stadtteilen. Der Anteil derjenigen, die staatliche Unterstützung erhalten, ist besonders hoch, ebenso der Anteil derjenigen mit Migrationsgeschichte.
„Es ist immer noch so, dass Gesundheitsversorgung dort stärker ist, wo Geld ist, und nicht dort, wo Krankheit ist", sagt Fischer. "Wir haben hier deutlich weniger Ärzte als beispielsweise im Hamburger Westen. Das führt zu langen Wartezeiten bei den Ärzten, worauf Patienten dann eben gar nicht zum Arzt gehen. Das ist nicht gut, wenn man ein Problem hat. Das heißt: Man muss was tun, um die Versorgung vor Ort zu stärken.“
Entlastung für die Ärzte im Viertel
Den Ärzten, die noch vor Ort ihre Praxen haben, nimmt der Gesundheitskiosk keine Patienten weg. Das Angebot versteht sich im Zusammengang mit den Medizinerinnen und Medizinern als Tandem.
Oft kommen die Menschen mit einer Überweisung ihres Hausarztes und können dafür Beratungs- und Pflegeleistungen in Anspruch nehmen. Gleichzeitig entlastet der Gesundheitskiosk die Ärzteschaft in Billstedt.
Fischer nennt ein Beispiel: „Wir bekommen von den Ärzten oft zurückgespiegelt, dass 50 bis 60 Prozent der Patienten bei ihnen eigentlich gar nicht richtig sind. Denn sie haben banale Fragen zur Ernährung oder zu einem Medikament: Wie wirkt das? Oder: 'Meine Oma muss ins Krankenhaus. Was muss ich mitnehmen?'"
Doch für solche benötigt es nicht unbedingt Therapie und Diagnostik - wofür wiederum Ärzte ja hauptsächlich ausgebildet sind.
Oft geht es einfach um Beratung
Die Beratung des Gesundheitskiosks nimmt auch eine junge Billstedterin in Anspruch. Sie wartet im Vorraum auf ihren Gesprächstermin.
Ich bin schwanger. Darum gehe ich auch gerne hier hin. Sie geben uns sehr viele Ratschläge, was man machen kann. Die helfen. Super. Die Hebamme ist auch echt nett. Wenn’s das nicht geben würde, wüsste man nicht, was man machen soll.
Patientin im Gesundheitskiosk
Die meisten Menschen, die im Gesundheitskiosk Rat suchen, haben keinen Migrationshintergrund. Aber bei denen, die in einer anderen Kultur, mit einer anderen Idee von Krankheit und Heilung groß geworden sind, sei es wichtig, kultursensibel auf ihre Anliegen einzugehen. Davon ist die ausgebildete Pflegerin im Gesundheitskiosk, Cagla Kurcu, überzeugt.
Da kommt zum Beispiel eine türkische Klientin rein und redet über die Erkrankung. Sie wird aufgeklärt über das Anatomische. Aber diese Klientin ist der Meinung, dass das sozusagen von Gott kommt. Das muss man dann als Beraterin alles mitdenken. Man darf das halt nicht abstempeln, weil man selbst nicht aus dieser Kultur kommt.
Cagla Kurcu, Pflegekraft im Gesundheitskiosk
Jeden Monat kommen zwischen 200 und 300 Menschen in den Gesundheitskiosk. Zu Beratungsgesprächen, Herz-Kreislauf- oder Diabetes-Gruppen.
Die Kosten für die Versorgung sinken
Getragen wird der Kiosk durch die Krankenkassen. Auch dort hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass unbehandelte, verschleppte Krankheiten die Kosten für eine zu spät einsetzende Behandlung in die Höhe treiben.
Der Gesundheitskiosk ist also ein Angebot, das die Kosten für die medizinische Versorgung senkt, so zeigen es begleitende Studien. Für Geschäftsführer Alexander Fischer geht es darum, auch denen ein gesundes und langes Leben zu ermöglichen, die wenig Geld in der Tasche haben. Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebenserwartung sei ja schon länger bekannt.
Das krasseste Beispiel ist: Im alten Rom wurde der Sklave 19 und der Klerus 72. Das haben wir heute Gott sei Dank nicht mehr so extrem. Nichtsdestotrotz haben wir eben noch zehn Jahre Unterschied zwischen den sozialen Lagen. Da gilt es schon, etwas dagegen zu tun. Da sind natürlich viele Stellschrauben zu drehen. Unsere ist, dass wir versuchen, die Versorgung vor Ort zu stärken und den Patienten dazu zu befähigen, besser mit seiner Erkrankung umzugehen.
Alexander Fischer, Geschäftsführer von „Gesundheit für Billstedt Horn"
Überzeugt von der Gesundheitskiosk-Idee ist mittlerweile auch der GBA, der „Gemeinsame Bundesausschuss“. Das Gremium aus Ärzten und Krankenkassen hat empfohlen, Gesundheitskioske in allen 16 Bundesländern aufzubauen.