Was steckt hinter der Rekordhitze im Nordwesten Amerikas? Der pazifische Nordwesten von Nordamerika leidet derzeit unter einer extremen Hitzewelle. Die Rekordtemperaturen haben bereits zahlreiche Todesopfer gefordert. Waldbrände durchziehen das Land. Das Wetterphänomen, das hinter der Hitze steckt, gibt es auch in Europa.
Krankenhäuser und Kommunen müssen dringend umdenken
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Die globale Erwärmung bringt unseren Körper nicht nur buchstäblich ins Schwitzen: Für Alte und Kranke können Hitzewellen tödlich enden. Gesundheitspolitik und Stadtplaner stehen in den kommenden Jahren vor einer gewaltigen Herausforderung.
Extreme Hitze hat gravierende Auswirkungen auf uns Menschen. Darauf macht der Leiter der Sektion Notfallmedizin am Universitätsklinikum Ulm, Doktor Claus-Martin Muth, aufmerksam:
"Ab einem gewissen Temperaturbereich funktionieren Eiweiße nicht nur nicht mehr, sondern können auch zugrunde gehen – und wir bestehen nun mal im Wesentlichen auch aus Eiweißen. Auch Enzyme sind letzten Endes Eiweiße."
Der menschliche Körper ist daher bestrebt, seine optimale Körpertemperatur zwischen 36,5 und 37,5 Grad möglichst lange zu erhalten.
"Das wird an verschiedensten Stellen immer wieder kontrolliert. Die Bluttemperatur wird kontrolliert. Wir haben einen sehr komplexen Regelkreis. Eigentlich haben wir auch Verteidigungsstrategien sowohl gegen Kälte als auch gegen Hitze."
Krämpfe, Atemnot, Halluzinationen, Koma
Dazu gehört etwa die Bildung von Schweiß. Denn das effektivste Mittel zur Kühlung ist Verdunstungskälte. Doch besonders an schwül-heißen Tagen kommt unser Körper schnell an seine Grenzen.
Die Folgen unter anderem: ein Sonnenstich mit Übelkeit und Kopfschmerzen – oder noch gefährlicher: ein Hitzschlag, bei dem die Betroffenen Krämpfe oder Atemstörungen bekommen können, zu halluzinieren anfangen oder ins Koma fallen.
Ältere und Kranke leiden besonders unter Hitze
Gefährdet sind vor allem Menschen, die im Freien arbeiten müssen, Ältere und Personen mit Vorerkrankungen. 2018 etwa, so Claus-Martin Muth, gab es in den Bundesländern Berlin und Hessen pro 100.000 Einwohnern zwölf hitzebedingte Todesfälle – die Altersgruppe über 84 war besonders stark vertreten, mit etwas Abstand gefolgt von der Gruppe der 75- bis 84-Jährigen.
Weil in Deutschland die Bevölkerung immer älter wird, wächst auch die Risikogruppe der Älteren. In einer anderen Studie hat Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg/Essen, untersucht, mit welchen Vorerkrankungen Patienten hitzebedingt ins Krankenhaus eingeliefert werden.
"Nach unseren Daten scheinen besonders Menschen mit Mukoviszidose, Menschen mit chronischer Hepatitis und Menschen mit psychischen Problemen betroffen zu sein. Aus dem kann man folgern: Je höher die Pflegestufe bei Pflegebedürftigen, umso stärker wirkt der Effekt."
Noch wenig Bewusstsein über Hitze-Erkrankungen
Derzeit, so kritisieren Jürgen Wasem und auch Notfallmediziner Claus-Martin Muth, wüssten Ärztinnen und Ärzten oft noch zu wenig über den richtigen Umgang mit Hitzschlägen und anderen Hitzekrankheiten.
"Bis jetzt waren die Hitze-Erkrankungen immer ein winzig kleines Teil-Kapitelchen. Man muss das Bewusstsein schärfen, dass es diese Hitzeerkrankungen gibt und dass sie in der Zukunft wahrscheinlich zunehmen, damit schon in der Präklinik die richtigen Maßnahmen getroffen werden – also eben nicht nur ein kalter Wickel um den Hals, sondern aggressives Kühlen."
Wie beispielsweise Hitzschläge richtig zu behandeln sind, darüber gibt seit vergangenem Jahr erstmals eine sogenannte S1-Handlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte Auskunft, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin. Empfohlen wird darin unter anderem die sogenannte "schnelle parenterale Rehydrierung", also die Gabe von Flüssigkeit mit Hilfe einer Infusion.
Wir brauchen neue Infrastrukturen
Aber auch auf Ebene der Krankenhausgebäude und -Infrastrukturen müsse umgedacht werden, sagt Doktor Hans-Guido Mücke, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Umweltmedizin am Umweltbundesamt Berlin. Das heiße zunächst einmal: CO2-Emissionen reduzieren.
"Das ist möglich zum Beispiel im Kontext der Dämmmaßnahmen oder Null-Emissionen von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Es gibt in Deutschland ein interessantes Projekt, 'KLIK green', wo Krankenhäuser und Seniorenheime mit involviert sind. Aber auch Arztpraxen fangen an, sich dem Thema von der Emissionsminderung her zu nähern."
Seit 2017 gibt es zudem Handlungsempfehlungen für Hitzeschutz-Aktionspläne von Bund und Ländern. Sie sehen zum einen relativ kurzfristig umsetzbare Maßnahmen vor, wie etwa einen klimatisierten Raum pro Etage in Kranken- und Pflegeeinrichtungen.
Mehr Wasser und mehr Grün in Städten
Daneben gibt es langfristigere Ziele – vor allem mit Blick auf den Städtebau. Die großen versiegelten Flächen in vielen Städten, so Hans-Guido Mücke, würden die Hitze regelrecht speichern.
Dies führt im Extremfall zu einem Temperaturunterschied von zehn Grad Celsius vom Zentrum zum Stadtrand. Gegenmaßnahmen:
"Versiegelte Flächen zurückzubauen, den Grünanteil zu erhöhen, möglicherweise auch einen 'Blauanteil'. Damit ist Wasser gemeint, also mit zusätzlichen Wassergaben im Sommer auch einen Kühlungseffekt in der Stadt zu erzeugen. Das können Springbrunnen oder Wasserspiele sein. In Frankreich werden Vernebler eingesetzt. Das ist etwas, was auch bei uns in einigen Städten schon testweise ausprobiert wird."
Mit Aussicht auf eine längerfristige Verschiebung der hiesigen Temperaturen in Richtung Mittelmeerklima empfiehlt Hans-Guido Mücke zudem: Fassaden- und Dachbegrünung. Und: auch in Deutschland mittags eine Siesta nach spanischem Vorbild.