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Hände als Selbstporträt
Geta Brătescu gilt als eine der wichtigsten rumänischen Künstlerinnen. Nun widmet die Kunsthalle Hamburg der bald 90-Jährigen ihre erste Retrospektive außerhalb Rumäniens. Viel Verspieltes ist da zu sehen, nur nichts von den Fragen der Zeit.
Die Hände der Künstlerin greifen ineinander, lösen sich, geben den Blick frei auf die Innenflächen, ihre Falten und Adern, die vom Leben erzählen, wie ein Gesicht. Oder sie ballen sich zu Fäusten, deren gegeneinander gelegte Fingerknöchel ineinandergreifen wie ein Zahnrad, sich hin und her bewegen, hin und her... Hände als Selbstporträt. Der Film entstand 1993.
Etwas weiter steht in einer Vitrine ein kleiner Spiegel mit Holzrahmen. Leicht versetzt klebte Geta Brătescu darauf ein in fünf Streifen zerschnittenes Foto ihres Gesichts mit gleich zwei Augenpaaren, als wolle sie die Welt besser sehen können.
Kunst als eine Form des Forschens
Das eigene Ich, das Dasein als Künstlerin, das Atelier als mythologischer Raum sind Themen, die Brătescu in über sechs Jahrzehnten immer wieder umkreist. Kuratorin Brigitte Kölle:
"Es geht immer auch um eine Form der Untersuchung, um eine Form des spielerischen Findens, auch wieder Verwerfens und neu Erfindens. Es geht eigentlich nicht so sehr um ein finales Endprodukt, das einzige richtige Kunstwerk, sondern Kunst verstanden als eine Form des Forschens."
Brătescu arbeitet gegenständlich und abstrakt. Sie zeichnet und druckt, macht Performances, filmt und fotografiert, entwirft Skulpturen und Rauminstallationen. All dies geschieht oft parallel - und genauso präsentiert es die Ausstellung: In fast jedem Raum korrespondieren Werke aus unterschiedlichen Genres miteinander. So hängen neben Zeichnungen Stoffbilder, hergestellt aus neben- und übereinander genähten Blusenresten, was wirkt wie schemenhaft erinnerte Porträts.
Mit 23 von der Kunstakademie verwiesen
"Sie hat von ihrer Mutter einen Sack voller Stoffreste geerbt und hat diese Stoffe dann in ihrer Kunst verwendet. Sie hat verschiedene Stoffe übereinandergelegt und hat die dann mit der Nähmaschine umkreist, bzw. auch labyrinthhafte Binnenstrukturen hier reingebracht, und mit der Nähmaschine gezeichnet."
Seit den 70er Jahren zählt Geta Brătescu zu den wichtigen rumänischen Künstlerinnen. Ihre Anfänge waren allerdings mühsam: 1949 wurde die 23-Jährige von der Kunstakademie verwiesen, weil ihre Eltern bürgerlicher Herkunft waren. Doch sie arbeitete weiter, und bereits Ende der 50er Jahre erhielt sie ihre erste Einzelausstellung mit dokumentarischen Zeichnungen über ein Stahlwerk. 1960 nahm sie erstmals an der Biennale von Venedig teil, sie arbeitete als Illustratorin für eine wichtige Intellektuellenzeitschrift, wurde Mitglied der rumänischen Künstlervereinigung – und reiste: in die UdSSR, nach Ungarn, Polen und - mit ihrem Mann - quer durch Westeuropa.
"Die sind mit dem Auto rumgefahren, haben sehr viel Kunstgeschichte sich angesehen: Sowohl in Deutschland, als auch in Italien, in Frankreich. Und es gibt phantastische, große Tagebücher, die Geta Brătescu angefertigt hat auf diesen Reisen, wo sie wirklich alles reingeklebt hat an Bildmaterial, was sie so bekommen konnte."
Ist alles, was im Atelier entsteht, Kunst?
In den 70ern begann sie zu filmen und zu fotografieren. Der Fotoserie "Magneten" ist ein ganzer Raum gewidmet: In großen Schwarz-Weiß-Aufnahmen widmet sie sich dort der phantastischen Anziehungskraft mehrerer hufeisenförmiger Magnete, formt aus ihnen immer neue architektonische Gebilde, die an die konstruktivistische Formensprache der sowjetischen Avantgarde erinnern - und gleichzeitig wirken wie eine Metapher für die ewige Anziehungskraft des Kunst-Machens. Etwas weiter zeigt ein Film die Künstlerin in ihrem Atelier, wie sie mit Kreide Linien auf den Boden malt oder in eckigen Bewegungen durch den Raum tanzt. Brigitte Kölle:
"Was bedeutet es eigentlich, Künstler zu sein, im Atelier? Ist alles, was ich im Atelier mache, jede Tätigkeit, ist die gleich Kunst? Oder wie bestimme ich mich selber in meinem Künstlersein? All diese Elemente sind eben in diesem Film zu sehen. Es hat alles etwas sehr Rätselhaftes auch dadurch, aber ja letztlich auch etwas sehr Assoziationsreiches."
Die Wende von 1989/90 hinterließ keine Spuren in Brătescus Werk
Genau das kann aber auch umkippen in Beliebigkeit: Die schier endlosen Serien aus zerknülltem und wieder entfaltetem Papier etwa können alles bedeuten und nichts - was spätestens nach der gefühlt 30. Variante unwillig macht. Bei so viel Lust an Spielerei und Rätselhaftigkeit verwundert es nicht, dass die gesellschaftliche Wende von 1989/90 in Brătescu Werk keine Spuren hinterlässt: Alles geht weiter seinen verspielten Gang.
Der lässt sich nun - mit Höhen und Tiefen - erstmals außerhalb Rumäniens umfangreich entdecken. Bleibt zu hoffen, dass die lobenswerte Ausstellungsreihe, die bisher vor allem abstrakt und konzeptuell arbeitende Künstlerinnen vorstellte, auch einmal an solche erinnert, die sich engagiert und kritisch und nachvollziehbar mit den Problemen ihrer Zeit beschäftigen.