Geteilt und geeinigt
Der Vordenker der Neuen Ostpolitik und der prominenteste Kabarettist der DDR sprechen miteinander über deutsch-deutsche Blockaden. Doch erst als Bahr und Ensikat im Jahr 1989 angelangt sind, werden plötzlich kluge Gedanken auf Augenhöhe ausgetauscht.
Solche Gesprächsbücher haben Konjunktur. Fritz Stern und Helmut Schmidt, Helmut Schmidt und Peer Steinbrück, Freiherr zu Guttenberg und Giovanni di Lorenzo. Berühmte Namen, zwei Mikrofone, man erspart sich die mühevolle Arbeit an einem Manuskript und darf trotzdem mit einem Verkaufserfolg rechnen. Das Kalkül der Verlage ist nachvollziehbar. Die Frage ist, was haben die Leser davon?
Egon Bahr und Peter Ensikat. Der Vordenker der Neuen Ostpolitik und der prominenteste Kabarettist der DDR. Zwei, für die die DDR und der Umgang mit diesem Staat ein Lebensthema war, auf der einen und der anderen Seite der Grenze. Zwei, die sich in sozialdemokratischer Gesinnung politisch nahe stehen. "Gedächtnislücken. Zwei Deutsche erinnern sich". Wer das Buch liest und den Titel im Kopf hat, kommt schnell auf den Gedanken: Hier passt was nicht zusammen. Eigentlich müsste der Titel lauten: Egon Bahr erzählt, wie das war mit der Neuen Ostpolitik, und Peter Ensikat bestückt das Ganze mit ein paar Einwürfen von der anderen Seite der Mauer.
Gewiss – sie beginnen mit der Nazizeit, aber sie erzählen nicht, wie es zu Beginn des Buches heißt, "einander ihr Leben", denn sie landen sehr schnell im geteilten Nachkriegsdeutschland. Besser: Egon Bahr landet sehr schnell da und ist dann bei seinem Thema, unausweichlich, denn Bahr ist in allen Fasern seines Seins ein homo politicus. Selbst die Natur habe er früher kaum wahrgenommen, erzählt er – so sehr war er in die Politik vertieft.
Was Bahr zu erzählen hat, ist nicht neu, Vieles hat er schon in seiner umfangreichen Autobiografie beschrieben, aber es ist der Rede wert. Wenn man geschluckt hat, dass sich Bahr und Ensikat weder ihr Leben erzählen noch Gedächtnislücken füllen, wenn man sich also darauf einlässt, dass Bahr über weite Strecken von seinem Umgang mit den deutsch-deutschen Verhältnissen erzählt, dann liefert das Gesprächsbuch durchaus interessante Erinnerungen daran, wie ungeheuer schwierig es war, die deutsch-deutsche Blockade nach dem Mauerbau zu lösen.
Neben George F. Kennan war Egon Bahr der klügste Kopf des Kalten Krieges in den westlichen Regierungen, schonungslos pragmatisch und außergewöhnlich geschickt, um politische Ziele zu erreichen. Wie scheinbar unüberwindliche Hürden – etwa zu dem außerordentlich wichtigen, aber kaum durchsetzbaren Viermächteabkommen über Berlin – genommen wurden: Das ist interessant nachzulesen. Auch die bis heute unterschätzte politische Bedeutung des berühmten Kennedy-Satzes "Ich bin ein Berliner".
Dennoch hat man das Gefühl, Buchdeckel und Buch passen nicht zueinander – bis das Gespräch eine ungeahnte Wendung nimmt und Ensikat in den Vordergrund rückt. Man könnte auch sagen: Bis die Geschichte eine ungeahnte Wendung nimmt. Denn in dem Augenblick, als die DDR-Bürger 1989 ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, wird aus dem Monolog ein Dialog, ein deutsch-deutsches Gespräch über den Mauerfall und die Folgen. Das macht (leider) nur ein Viertel dieses Buches aus. Doch hier kommt es zu jenem deutsch-deutschen Gedankenaustausch, der immer noch viel zu wenig stattfindet. Vor allem hat er hier die Qualität, die deutsch-deutschen Gesprächen oft fehlt: dass sie auf Augenhöhe geführt werden.
Bahr bringt seine Skepsis gegen die Öffnung der Stasi-Akten zum Ausdruck, Ensikat widerspricht ihm wohl begründet und hat trotzdem seine Probleme damit, wie mit den Akten umgegangen wird. Er selbst sei einer von 16 Millionen gewesen, die in der DDR irgendwie mitgemacht hätten, deshalb könne man die Frage nach Schuld und Mitschuld nicht auf die Stasi und die SED abwälzen: Das ist Ensikats Botschaft. Und Bahr zieht eine ernüchternde Bilanz zur inneren Einheit: Dieses Ziel sei verfehlt und nicht mehr zu erreichen. Erst mit der neuen Generation ändere sich das: Denn die wachse ganz selbstverständlich mit der staatlichen Einheit auf.
Am Ende enthält das Buch eine Menge kluger Gedanken, und es ist eine Anregung: So (wie im letzten Viertel des Buches) sollten viel mehr deutsch-deutsche Gespräche geführt werden.
Egon Bahr, Peter Ensikat, Gedächtnislücken. Zwei Deutsche erinnern sich
Aufbau Verlag, Berlin 2012
204 Seiten, 16,99 Euro
Egon Bahr und Peter Ensikat. Der Vordenker der Neuen Ostpolitik und der prominenteste Kabarettist der DDR. Zwei, für die die DDR und der Umgang mit diesem Staat ein Lebensthema war, auf der einen und der anderen Seite der Grenze. Zwei, die sich in sozialdemokratischer Gesinnung politisch nahe stehen. "Gedächtnislücken. Zwei Deutsche erinnern sich". Wer das Buch liest und den Titel im Kopf hat, kommt schnell auf den Gedanken: Hier passt was nicht zusammen. Eigentlich müsste der Titel lauten: Egon Bahr erzählt, wie das war mit der Neuen Ostpolitik, und Peter Ensikat bestückt das Ganze mit ein paar Einwürfen von der anderen Seite der Mauer.
Gewiss – sie beginnen mit der Nazizeit, aber sie erzählen nicht, wie es zu Beginn des Buches heißt, "einander ihr Leben", denn sie landen sehr schnell im geteilten Nachkriegsdeutschland. Besser: Egon Bahr landet sehr schnell da und ist dann bei seinem Thema, unausweichlich, denn Bahr ist in allen Fasern seines Seins ein homo politicus. Selbst die Natur habe er früher kaum wahrgenommen, erzählt er – so sehr war er in die Politik vertieft.
Was Bahr zu erzählen hat, ist nicht neu, Vieles hat er schon in seiner umfangreichen Autobiografie beschrieben, aber es ist der Rede wert. Wenn man geschluckt hat, dass sich Bahr und Ensikat weder ihr Leben erzählen noch Gedächtnislücken füllen, wenn man sich also darauf einlässt, dass Bahr über weite Strecken von seinem Umgang mit den deutsch-deutschen Verhältnissen erzählt, dann liefert das Gesprächsbuch durchaus interessante Erinnerungen daran, wie ungeheuer schwierig es war, die deutsch-deutsche Blockade nach dem Mauerbau zu lösen.
Neben George F. Kennan war Egon Bahr der klügste Kopf des Kalten Krieges in den westlichen Regierungen, schonungslos pragmatisch und außergewöhnlich geschickt, um politische Ziele zu erreichen. Wie scheinbar unüberwindliche Hürden – etwa zu dem außerordentlich wichtigen, aber kaum durchsetzbaren Viermächteabkommen über Berlin – genommen wurden: Das ist interessant nachzulesen. Auch die bis heute unterschätzte politische Bedeutung des berühmten Kennedy-Satzes "Ich bin ein Berliner".
Dennoch hat man das Gefühl, Buchdeckel und Buch passen nicht zueinander – bis das Gespräch eine ungeahnte Wendung nimmt und Ensikat in den Vordergrund rückt. Man könnte auch sagen: Bis die Geschichte eine ungeahnte Wendung nimmt. Denn in dem Augenblick, als die DDR-Bürger 1989 ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, wird aus dem Monolog ein Dialog, ein deutsch-deutsches Gespräch über den Mauerfall und die Folgen. Das macht (leider) nur ein Viertel dieses Buches aus. Doch hier kommt es zu jenem deutsch-deutschen Gedankenaustausch, der immer noch viel zu wenig stattfindet. Vor allem hat er hier die Qualität, die deutsch-deutschen Gesprächen oft fehlt: dass sie auf Augenhöhe geführt werden.
Bahr bringt seine Skepsis gegen die Öffnung der Stasi-Akten zum Ausdruck, Ensikat widerspricht ihm wohl begründet und hat trotzdem seine Probleme damit, wie mit den Akten umgegangen wird. Er selbst sei einer von 16 Millionen gewesen, die in der DDR irgendwie mitgemacht hätten, deshalb könne man die Frage nach Schuld und Mitschuld nicht auf die Stasi und die SED abwälzen: Das ist Ensikats Botschaft. Und Bahr zieht eine ernüchternde Bilanz zur inneren Einheit: Dieses Ziel sei verfehlt und nicht mehr zu erreichen. Erst mit der neuen Generation ändere sich das: Denn die wachse ganz selbstverständlich mit der staatlichen Einheit auf.
Am Ende enthält das Buch eine Menge kluger Gedanken, und es ist eine Anregung: So (wie im letzten Viertel des Buches) sollten viel mehr deutsch-deutsche Gespräche geführt werden.
Egon Bahr, Peter Ensikat, Gedächtnislücken. Zwei Deutsche erinnern sich
Aufbau Verlag, Berlin 2012
204 Seiten, 16,99 Euro