Russland-Ukraine-Abkommen

Wohin das Getreide geht

24:25 Minuten
Illustration: Zwei Hände tauschen Getreide und Geld aus.
Der Weltmarktpreis für Getreide wird seit ungefähr 2010 in der Schwarzmeerregion ausgehandelt, erklärt Stefan Meister, Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. © Getty Images / tommy
Von Ellen Häring |
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Am 19. November zeigt sich, ob das Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine verlängert wird. Es half, Weltmarktpreise zu senken, aber nur wenige Lieferungen gingen in humanitäre Krisenregionen. Für die Armen der Welt bleibt Brot zu teuer.
„In den afrikanischen Ländern und im Nahen Osten wird das Getreide dringend gebraucht“, so betont nicht nur Bundesaußenministerin Annalena Baerbock immer wieder im Zusammenhang mit dem Getreideabkommen.
Die humanitären Lieferungen stehen beim Getreideabkommen allerdings nicht im Vordergrund. Knapp 1,5 Prozent der Gesamtmenge ging seit 1. August über das „World Food Programme“ nach Jemen, Somalia, Afghanistan und Äthiopien. Das waren sechs Schiffe von fast 500, die seit dem Start des Abkommens die Ukraine verlassen haben.

Der Weltmarkt bestimmt die Preise

Martin Frick, Direktor des Berliner Büros des „World Food Programm“, spricht von einem „Denkfehler“ in der ganzen Argumentation. „Es ist ja nicht so, dass die Ukraine als landwirtschaftlicher Produzent ausschließlich für humanitäre Arbeit produzieren würde, sondern die Ukraine produziert ganz normal für den Weltmarkt“, erklärt er.
Auch Russland ist ein großer Akteur auf dem globalen Getreidemarkt. So wird der Weltmarktpreis für Getreide seit „ungefähr 2010 in der Schwarzmeerregion ausgehandelt“, sagt Stefan Meister, Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
„Was dort exportiert wird, bestimmt maßgeblich den Weltmarktpreis, denn es sind insgesamt mehr als 20 Prozent“, erläutert er. „Wenn das wegfällt, dann heißt das nicht unbedingt, dass es einen Mangel geben wird. Aber es heißt, dass der Preis massiv steigen wird.“
Aufgrund des Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland sind die Weltmarktpreise in den vergangenen Monaten gefallen, liegen aber immer noch weit über dem Niveau von vor dem Krieg.

Das Abkommen wird instrumentalisiert

Insgesamt wurden seit dem 1. August laut UN-Angaben über zehn Millionen Tonnen Getreide exportiert. Knapp die Hälfte in die EU und die Türkei, die den Deal mitausgehandelt hat. Dort verbleibt das Getreide allerdings nicht notwendigerweise, sondern wird weiterverarbeitet zu Mehl.
Dass die afrikanischen Länder und der Nahe Osten davon nicht so viel abbekommen wie sie bräuchten, liegt nicht an der Verteilung, sondern am hohen Preis. Humanitäre Lieferungen sind die Ausnahmen und werden vor allem in von Hungersnöten betroffene Regionen verschifft.
Das führt dazu, dass es in Krisenländern wie dem Libanon inzwischen keine verzweifelten Schlangen mehr vor den Bäckereien gibt, aber viele Menschen sich das Brot trotzdem nicht mehr leisten können und sich stark einschränken müssen.
Politisch wird das Getreideabkommen instrumentalisiert. Russland versucht durch das ständige Infragestellen des Abkommens, die Angst vor Hungersnöten zu schüren und für sich selbst einen besseren Deal auszuhandeln, so Stefan Meister.

Darum geht es ja Russland im Prinzip. Es benutzt die Blockierung der ukrainischen Schwarzmeerhäfen um in vielen Bereichen, aber auch im Landwirtschaftsbereich für sich bestimmte Vorteile auszuhandeln im Rahmen der Sanktionen.

Stefan Meister, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Das Schlimmste konnte abgewendet werden

Trotzdem weist Martin Frick, Direktor des Berliner Büros des WFP, auf die Vorteile durch das Abkommen hin. Derzeit seien 345 Millionen Menschen aus 82 Nationen akut von Hunger betroffen.
„Wenn es nicht gelungen wäre, die Schiffsexporte wieder zum Laufen zu bringen, dann wären nach unserer Berechnung 100 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut abgerutscht. Also es hat auf alle Fälle was gebracht. Aber man kann nicht sagen, dass sich die Weltmarktpreise stabilisiert haben“, sagt er.
Denn: „Sie sind zwar nicht mehr so extrem hoch, wie sie es im März und April waren, aber sie sind signifikant höher, als sie es vor einem Jahr waren. Und auch das ist nur die Hälfte des Bildes. Denn wir haben einen extrem starken Dollar in Kombination mit starker Inflation, was in über 60 Ländern der Erde dafür sorgt, dass die Kaufkraft deutlich gesunken ist.“
Das betrifft auch das World Food Programme. Mit gleichbleibenden oder – wegen der Inflation und des Dollarkurses – de facto niedrigeren Mitteln bekommen auch Einkäufer für humanitäre Zwecke weniger für ihr Geld.

"Krieg ist der größte Treiber von Hunger"

In der politischen Argumentation wird das Thema „Hunger“ auch benutzt, um zu emotionalisieren, meint Stefan Meister.
„Putin hat ja immer gesagt, die Sanktionen würden den Hunger in der Welt verursachen, dabei blockiert er die Schwarzmeerhäfen und stellt sich quasi selbst als die Person dar, die dafür sorgt, dass der Hunger reduziert wird auf der Welt. Also die russische Propaganda fokussiert auf den Hunger und auf die Emotionalisierung“, erklärt er.
Und weiter: „Aber wir haben auch in unseren Diskursen eine Zuspitzung. Ich glaube, es wäre sinnvoll, stärker zu differenzieren wie Marktmechanismen funktionieren, wie eben auch die Sanktionen und Psychologie hier zum Teil eine Rolle spielen. Es wird manchmal vereinfacht durch solche Begriffe wie ‚Hunger‘.“

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Perspektivisch wird das Getreideabkommen nach Einschätzung von Stefan Meister wohl verlängert. Auch Russland profitiert in vieler Hinsicht davon. Alles Weitere hängt davon ab, ob der Krieg eskaliert. Das wäre für die Bekämpfung des Hungers in der Welt die denkbar schlechteste Nachricht.
Um auf der humanitären Ebene einen echten Wandel zu erreichen, muss das oberste Ziel sein, den Krieg zu stoppen, so Martin Frick vom WTP: „Krieg ist der größte Treiber von Hunger auf der Welt und wir haben heute doppelt so viele Kriege wie vor zehn Jahren.“
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