Autorin: Rebecca Hillauer
Es sprechen: Birgit Dölling und Thomas Holländer
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Ton: Thomas Monnerjahn
Redaktion: Martin Mair
Wenn gestaute Flüsse wieder frei fließen
29:41 Minuten
Wasserkraft gilt als alternative Energiequelle. Experten kritisieren aber die zu ihrer Nutzung errichteten Staudämme als weder nachhaltig noch klimaneutral. Der Rückbau und die Renaturierung der Flüsse kommen allmählich in Gang.
Joy Bertman: "Als sie die Dämme abgerissen haben, war alles matschig, voller Gesteine. Mein Mann und ich sind am Fluss entlang spaziert, und es gab keine Vögel, keine Fische. Nichts. Der Fluss schien tot zu sein."
Roberto Epple: "Staudämme sind nicht für immer. Das ist für viele moderne Menschen etwas Neues. Dass Werke, die der Mensch geschaffen hat, die einst Ingenieurstaaten waren ersten Ranges, dass die auch mal alt werden."
Tim Randle: "Zumindest der kleinere Elwha-Damm wurde unter Missachtung geltenden Rechts gebaut. Aber damals war es üblich, das Gesetz einfach zu ignorieren - und die indigenen Bewohner hatten das Nachsehen."
Im Besucherzentrum des Olympic-Nationalparks im US-Bundesstaat Washington: Dean Butterworth steht neben einem Miniaturmodell des Elwha Flusses. Zwei Staudämme gab es hier früher, die die Kleinstadt Port Angeles und ihre Papiermühle mit Strom belieferten. Um den Ranger in der olivgrünen Hose drängt sich eine Schar Sechstklässler. Sie sind mit ihrem Lehrer aus dem 130 Kilometer entfernten Seattle angereist. Und staunen nicht schlecht über das, was Butterworth erzählt.
"Die Dämme hatten große Auswirkungen auf die Umwelt", erklärt er. "Und so beschloss die Bevölkerung nach einer langen Debatte, die Dämme zu entfernen. Als sie diese Entscheidung getroffen hatten, mussten sie noch herausfinden: Wie sie das erstens sicher tun konnten, und zweitens so, dass es die geringsten Auswirkungen auf die Umwelt hatte."
Staunen über den Dammrückbau
Nicht nur Kinder bringt der Dammrückbau am Elwha River zum Staunen. Auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das Projekt, das 2014 fertig gestellt wurde, ein Meilenstein. Der bislang größte Dammrückbau in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
"Das wirklich Großartige für mich waren die technischen Herausforderungen. So eine Gelegenheit bietet sich nur einmal im Leben und ich war sehr froh ein Teil davon zu sein", sagt Tim Randle vom U.S. Bureau of Reclamation.
Die Behörde für Wasserwirtschaft hat den Rückbau geplant. Zwei Dämme sollten verschwinden. Größte Herausforderung waren die Sedimente im Staubecken. Über Jahrzehnte hatten sich gewaltige Mengen an Sand, Schlick, Kieselsteinen und Schotter in dem Stausee am Elwha River abgelagert.
Tim Randle und die anderen Wissenschaftler standen vor dem Problem: Wie konnten sie die riesige Wassermasse kontrolliert abfließen lassen, die sich beim Rückbau der bis zu 64 Meter hohen Dammmauern in das Flusstal ergießen würde? Und wie ließen sich zugleich die 36 Millionen Tonnen Sediment hinter den Staumauern entfernen?
"Keiner dieser Dämme hatte einen Grundablass", erzählt Tim Randle. "Man konnte die Staubecken also nicht wie eine Badewanne langsam entleeren und danach die Sedimente ausbaggern. Wir mussten uns etwas einfallen lassen. Wir haben Laborversuche und Feldexperimente gemacht, haben am Computer Fließgeschwindigkeit und Tiefe von Sedimenten je nach ihrer Körnigkeit simuliert. Alles deutete auf eine Lösung hin: Die Sedimente gemeinsam mit dem Wasser abfließen zu lassen. Das musste langsam genug geschehen, damit die Sedimentmassen den unteren Flusslauf nicht überlasteten. Zugleich zügig genug, damit nicht zu viele Generationen von Fischen davon geschädigt wurden."
Maßnahme gegen schwindende Wildlachsbestände
Die Fische im Elwha River – genauer gesagt: der Lachs - waren der wesentliche Grund für den Rückbau der Dämme. In ihrem Leben schwimmen Lachse flussabwärts zum Meer, wandern später wieder den Fluss hinauf zu ihrem Geburtsort. Dort laichen und sterben sie. Die beiden Staudämme im Elwha haben diese Reise verhindert, die Zahl der Wildlachse ging drastisch zurück
"Als man die Dämme gebaut hatte, wurden die Lachse weniger", sagt Dean Butterworth. "Zu dem Zeitpunkt, als beschlossen wurde, die Dämme rückzubauen, kehrten jedes Jahr nur noch einige Tausend Lachse aus dem Meer zurück. Vor dem Bau der Dämme waren es noch Hunderttausende Lachse gewesen.
Besonders für die indigene Bevölkerung entlang des Wassers eine dramatische Entwicklung. Die Fische seien für den Lower Elwha Klallam-Stamm von überragender Bedeutung, sagt Robert Elofson. Er kümmerte sich 15 Jahre lang für seinen Stamm um die Renaturierung des Flusses. Für sein Volk spiele der Lachs kulturell und historisch eine entscheidende Rolle.
"Der Lachs ist einer der Gründe, warum auch andere Stämme nicht mehr die Jäger und Sammler sind, die viel reisten", erklärt Robert Elofson. "Sondern in Gebieten sesshaft geworden sind, in denen die wandernden Lachse in den Flüssen leicht zugänglich waren. Wir nennen sie auch das 'Volk der Lachse'. Das soll unseren Respekt für die Fische ausdrücken. Denn wenn wir sie nicht so behandeln, wie sie behandelt werden müssen, dann schneiden wir uns ins eigene Fleisch."
Die Donau – "von oben bis unten zugedämmt"
Auch in Europa spielte der Fischfang einst eine bedeutende Rolle. In der Donau schwammen riesige Schwärme von Donaulachs und Hering, Aal und Stör. Doch anders als in den Vereinigten Staaten sei dies schon so lange her, dass sich niemand mehr daran erinnern könne, meint Gabriel Singer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
"Die Vorstellung, dass in einem Abschnitt zwischen Straubing und Wien, wo die Donau zwar ein großer Fluss ist, aber auch nicht so riesengroß, dass da Fische drin waren, die zwischen fünf und sechs Meter oder mehr hatten, das ist ja unvorstellbar heutzutage.", sagt Gabriel Singer. "Im Grunde genommen ist die Donau ein Beispiel für einen Fluss, der von oben bis unten zugedämmt ist. Da ist das Energiepotenzial fast hundertprozentig ausgeschöpft. Wenn wir bei uns Querbauwerke wegnehmen, dann hätten wir den Aal, den Stör, den atlantischen Lachs wieder in weit größeren Mengen durch unsere Flüsse ziehen."
Heute gibt es in Europa nur noch in Frankreich einige wenige wilde Atlantiklachse. Es ist wohl kein Zufall, dass das Land Vorreiter auf dem Kontinent für den Dammrückbau ist. Am Allier, einem Zufluss der Loire, hat vergangenes Jahr ein ambitioniertes Projekt begonnen. Der Poutès-Staudamm wird von rund 20 Metern auf knapp ein Viertel verkleinert. Und das Staubecken wird von vier Kilometer auf 400 Meter verkürzt. Zudem werden Schleusentore angebracht, damit die Fische zurück zu ihrer Geburtsstelle wandern können.
Während dieser Zeit stellt das Wasserkraftwerk die Stromerzeugung ein. 2021 soll es losgehen. Roberto Epple leitet das europäische Flussnetzwerk. Die Umweltorganisation kämpft dafür, dass Gewässer wieder frei fließen und die Natur zurückkehren kann. Die Verkleinerung der Dammanlage am Allier ist für Epple ein guter Kompromiss.
"Während dieser drei bis vier Monate ist da überhaupt kein Hindernis, da können die Fische völlig frei durchschwimmen", erläutert Roberto Epple. "Und die anderen acht oder neun Monate, in denen kein großer Fischzug stattfindet, kann man Strom produzieren. 80 Prozent der Energiemenge, die produziert worden ist. Wir verlieren nur 20 Prozent letztlich."
"Staudämme sind nicht für immer"
Ebenfalls vergangenes Jahr startete der Dammrückbau an der Sélune in der Normandie: Hier sollen zwei Staumauern verschwinden – es ist das größte Projekt bislang in Europa. Und immer noch eine Ausnahme. Denn nur selten werden Großdämme hier abgerissen.
"Staudämme sind nicht für immer", sagt Roberto Epple. "Das zu verstehen, ist für viele moderne Menschen immer noch was Neues. Dass Werke, die der Mensch geschafft hat und die man als Pyramiden der Europäer bezeichnen würde, die einst Ingenieurstaten waren ersten Ranges, dass die auch mal alt werden. Das ist neu in Europa, obwohl es schon seit über 20 Jahren Beispiele gibt von ersten Rückbauten in den USA und hier auch in Europa."
In der Regel hält ein Damm zwischen 50 und maximal 150 Jahren. Die ersten modernen Großdämme in Europa und den USA entstanden etwa zeitgleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Bauboom setzte ein, um den zunehmenden Bedarf an Elektrizität zu decken. Heute gibt es weltweit fast 60.000 Großdämme, die vor allem der Stromerzeugung dienen.
Da in Westeuropa mittlerweile die Kapazitäten für Wasserkraft so gut wie ausgereizt sind, entstehen neue Dämme vor allem auf dem noch wenig erschlossenen Balkan. Fast 3000 Wasserkraftwerke sind dort geplant oder bereits im Bau. "Strom aus Wasserkraft ist klimaneutral" – so lautet oft das Argument für neue Anlagen.
Doch ganz so simpel ist es nicht, sagen Naturschützer und Wissenschaftler. Denn für den Bau sind Massen von Beton nötig. Im Stausee werden Pflanzen überflutet, die sich zersetzen. Dabei entstehen CO2 und Methan.
Ein häufig unterschätztes Treibhausgas, sagt Gewässerökologe Gabriel Singer: "Methan ist ein 30-mal wirksameres Treibhausgas als CO2. Methagenese, die Bildung von Methan, passiert auch in Fließgewässern, aber weit nicht in dem Ausmaß, wie es in einem Staudamm passieren kann. Weil im Prinzip das Fließgewässer zu einem Stausee wird, der andere biochemische Prozesse unterstützt."
Auswirkungen auf Wasserqualität und Treibhausgase
Im Sommer kann es bei höheren Temperaturen in Stauseen zudem zu einer Algenblüte kommen. Bestimmte Bakterien produzieren dann Giftstoffe. Ein Problem vor allem bei Dämmen, die der Trinkwasserversorgung dienen. Auf dem Stausee könne man dann noch Boot fahren, darin schwimmen könnte aber schon eine Gefahr für die Gesundheit sein.
"Fließgewässer haben eine höhere Selbstreinigungskapazität als stehende Gewässer", erklärt Gabriel Singer. "Das liegt an der Wasserbewegung und vor allem am Wasseraustausch, den ein fließendes Gewässer mit seinem Gewässergrund, mit der Schottersohle, dem Schotterkörper produziert. Man muss sich so einen Schotterkörper als einen großen Bioreaktor vorstellen, der Wasser pausenlos reinigt. Und diese Rolle geht natürlich verloren, wenn man einen Staudamm generiert, wo das Wasser einfach mal steht."
Unterhalb eines Stausees verschlechtert sich die Wasserqualität ebenfalls. Denn ein Damm hält immer auch mikrobakterielle Organismen zurück, die einen Fluss auf natürlichem Weg reinigen. Da der Nachschub ausbleibt, spült die Strömung die Sedimente auf dem Grund des Flusses weg. Er "tieft sich ein", wie Ökologen sagen.
Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel, was die Landwirtschaft massiv beeinträchtigen kann. Bei einem Hochwasser tritt der Fluss zwar erst später über seine Ufer, seine Strömung ist dann aber doppelt oder dreifach so stark. Und mehr: Die Sedimente fehlen an der Flussmündung.
"In der Camargue hat man klar festgestellt", sagt Roberto Epple, "dass der Sedimenteintrag im Meer so stark reduziert worden ist, dass die Erosionskraft des Meeres, die auch Sedimente abträgt an den Ufern, größer geworden ist als der Zuschub, der über die Flüsse kommt. Mit anderen Worten, die Küste zieht sich zurück. Das Wasser gewinnt, es geht ins Landesinnere. Das ist ein Teil der Problematik der Küstenerosion, gekoppelt mit dem Klimawechsel und dem Effekt der Erhöhung der Wasserstände durch die Erhöhung der Temperatur. Wir haben bis zu zehn Meter Verlust von Küste in Frankreich."
Eintiefung der Flüsse schafft Probleme
Auch der Elwha River im US-Bundesstaat Washington hatte sich unterhalb der Staudämme eingetieft. Sein Mündungsdelta im Pazifik zog sich zurück. 80 Prozent des Flusslaufs führen durch einen Nationalpark, was die Renaturierung erleichtert hat. Am Ufer des Elwha liegen keine großen Orte, sein Wasser und damit die Sedimente sind nicht durch Landwirtschaft und Industrie verschmutzt.
Dennoch: Als die Dammmauern abgetragen wurden, mischten sich Sand und Kies mit den Wassermassen. Der Fluss verwandelt sich in eine gurgelnde, braune Brühe.
"Als sie die Dämme abgerissen haben, war alles matschig, voller Gesteine", erzählt Joy Bertman. "Mein Mann und ich sind am Fluss entlang spaziert und es gab keine Vögel, keine Fische, nichts. Der Fluss schien tot zu sein."
Joy Bertman hat den Rückbau der beiden Staudämme miterlebt. Der kleine nahe der Flussmündung verschwand in acht Monaten, beim größeren dauerte es drei Jahre. Seit 2014 fließt der Elwha nun wieder frei in seiner Länge von gut 70 Kilometern von der Quelle bis in den Pazifik. Und die braune Brühe ist verschwunden, und im klaren Wasser tummeln sich Lachse.
"Wenn man heute zum Elwha geht, dann haben sich die Sedimente abgesetzt und die Vögel sind zurück", sagt Joy Bertman. "Es wimmelt von Leben. Der Fluss hat seine schöne grünliche Farbe zurück und sieht großartig aus. Es ist einfach schön zu sehen, dass Mutter Natur dort all die Sedimente wieder herausfiltern konnte."
Ein Erfolg, der nur langsam Schule macht. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation "American Rivers" gibt es in den USA rund 90.000 Staudämme, die höher als zwei Meter sind. Zurückgebaut wurden in den vergangenen einhundert Jahren gerade einmal 1600. Immerhin verschwanden 99 allein im Jahr 2018. Und weitere, große Rückbauprojekte sind auf dem Weg.
Am Klamath River, der durch Oregon und Kalifornien fließt, sollen vier Staudämme zur Wasserkrafterzeugung abgerissen werden. Es ist das größte Vorhaben in den USA. Jahrelang ist darüber gestritten worden, ob der Klamath wieder seinen natürlichen Lauf nehmen soll. Auch dem Rückbau am Elwha River gingen mehr als 20 Jahre Gespräche und Verhandlungen voraus, erinnert sich Tim Randle von der US-Behörde für Wasserwirtschaft.
"Diese Dämme wurden unter Missachtung des geltenden Rechts gebaut", sagt er, "zumindest der kleinere Elwha-Damm. Man durfte ihn nicht bauen, weil er keine Fischpassage hatte. Aber damals war es üblich, das Gesetz zu ignorieren und den Damm trotzdem zu bauen. Er lieferte Port Angeles den ersten Strom und verhalf der Stadt und ihrer Papiermühle zu wirtschaftlichem Wachstum. Die indigenen Bewohner hatten das Nachsehen."
Druck von Umweltschützern und der indigenen Bevölkerung
Der kleinere der Dämme wurde 1913 gebaut, ein zweiter 14 Jahre später. Erst 1992 machte der US-Kongress auf Druck der indigenen Bevölkerung und von Umweltschützern den Weg frei für den Abriss. Doch es dauerte fast zwei Jahrzehnte, ehe die Arbeiten wirklich begannen – der Widerstand von Sportfischern und Bootsbesitzern war groß. Und Politiker befürchteten, dass der Elwha zum Präzedenzfall für das Verschwinden von Dämmen werden könnte.
Für den Betreiber des Wasserkraftwerks dagegen war es am Ende eine simple Rechnung: Alle 50 Jahre müssen Energieproduzenten in den USA ihre Konzession erneuern. Und dabei stellte sich heraus: Eine Renovierung der Dämme wäre teurer als die Sprengung. Zudem lieferte der Fluss nur noch einen Bruchteil des Stroms für Port Angeles und seine Papiermühle.
"Das Innenministerium trägt die Treuhänderschaft für die amerikanischen Ureinwohner", erläutert Tim Randle. "Schließlich hat die Behörde beschlossen, dass es besser ist, die Dämme zu kaufen und rückzubauen. Und dadurch den freien Fluss wiederherzustellen, den Lebensraum für die Lachse und die ursprüngliche Lebensweise des indigenen Stamms."
Doch bis dahin war es ein mühsamer Weg. Denn während der Damm verschwand, zerstörten die Sedimentmassen viele Laichplätze der Lachse oder schnitten ihre Eier vom Sauerstoff ab. Die Überlebensrate der Jungfische war gering. Die indigenen Bewohner hatten vorsorglich eine Aufzuchtstation gegründet.
Warten auf die Rückkehr der Wildlachse
"Was wir jetzt versuchen, ist die Anzahl der Wildlachse zu überwachen, die zum Elwha zurückkommen. Bisher waren das relativ wenige. Aber wir erwarten, dass es mit der Zeit immer mehr werden. Und wenn die Zahl der Wildlachse steigt, können wir die künstliche Aufzucht zurückfahren. Wir messen die Lachspopulationen, wenn sie flussaufwärts wandern, unter anderem mit Sonarkameras, die mit Schallimpulsen arbeiten", sagt Mike McHenry.
Er ist Fischerei-Experte im Wissenschaftsteam des Lower Elwha Klallam-Stammes. Mehr als 350 Millionen US-Dollar hat es insgesamt gekostet, um die Lachse wieder anzusiedeln und die ursprüngliche Vegetation zurückkehren zu lassen. Heute schwimmen die Fische immer weiter flussaufwärts. Viele zurück zu der Stelle, wo einst der mächtige Glines Canyon Damm ihren Weg blockierte.
In anderthalb Stunden wandert man vom Besucherparkplatz bis zum ehemaligen Damm. Seine Seitenmauern stehen noch immer. Oben auf den Mauerresten ist ein Lehrpfad und Aussichtspunkt für Besucher entstanden. Von dort blickt man weit über das frühere obere Staubecken. Jetzt stehen hier zehntausende Bäume und einheimische Wildpflanzen.
"Die Erde war nicht verseucht, nur nährstoffarm", erzählt Mike McHenry. "Manchmal auch sehr grob, mit zu viel Kohlenstoff. Keine guten Bedingungen für Pflanzen. Wir haben feines Sediment gefunden, das Feuchtigkeit gut aufnimmt. Dort ist schneller wieder etwas gewachsen, als an den steinigeren Stellen."
"Die Stauseen haben fast 800 Hektar überschwemmt", sagt Kim Sager-Fradkin. "Als die Becken nach dem Rückbau zum ersten Mal kein Wasser mehr hatten, sah es hier aus wie eine Mondlandschaft. Nur Sand und Schlick, aber keine Vegetation. Zuerst kamen die Springmäuse zurück. Dann Vögel und Biber, danach Hirsche und Elche."
Fluss und Umland stehen in Verbindung
Kim Sager-Fradkin ist die Wildtierexpertin des Lower Elwha Klallam-Stamms. Sie konnte nachweisen, wie eng die Ökosysteme des Flusses und des Umlands zusammenhängen. Denn die Lachse sind Teil einer langen Nahrungskette.
Die Fische nehmen im Meer Nährstoffe auf, die sie zum Fluss zurückbringen, unter anderem Kohlen- und Stickstoff. Tiere wie Braunbären und Flussotter fressen die Lachse und befruchten über ihren Kot den Boden.
Ein Kreislauf, den Sager-Fridkin am Fall der amerikanischen Wasseramsel erklärt, die sich von Lachseiern ernährt: "Wir haben Proben von Federn und Klauen gesammelt und dann den Nährstoffgehalt aus dem Meer untersucht. Bei den Wasseramseln hat sich dieser Wert erhöht, nachdem sie durch den Dammrückbau wieder Lachse fressen konnten. Die Vogelmännchen sind größer geworden und die Amseln bleiben das ganze Jahr über in dem Gebiet, weil sie bessere Nahrung haben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie zweimal im Jahr brüten, ist bei diesen Amseln 20-mal größer."
In Europa ist es bislang die Ausnahme, dass sich die Natur die Flüsse zurückerobert. Außer in Frankreich, sind vor allem in Spanien, Skandinavien und Großbritannien Dämme abgerissen worden – die genaue Zahl ist unbekannt. Doch es gibt Schätzungen im sogenannten Damm-Atlas, der mit Hilfe von Bürgerwissenschaftlern entstanden ist.
Darin sind mehr als 415.000 Dämme aufgelistet. 85 Prozent gebaut für Kleinstkraftwerke mit einer Staumauer bis vier Metern Höhe. Die Zahl der abgerissenen Staumauern ist im Vergleich dazu verschwindend gering.
Ökologische Ziele in Europa bisher nicht erreicht
"Wenn man die Schwelle bei ungefähr 15 Metern Höhe ansetzt, das sind die größeren Staudämme, dann können wir davon ausgehen, dass es in Europa ungefähr 30 größere Bauwerke gibt, die zurück gebaut worden sind", sagt Roberto Epple. "Davon sind zehn in Frankreich. Von den kleinen sind die Zahlen kaum erhoben. Wenn man in Frankreich runter geht bis zwei oder einen Meter, dann sind es schätzungsweise 2000, 2500 Kleinbauwerke, die weggekommen sind durch ein staatlich gefördertes Programm, wo der Rückbau finanziert worden ist."
Schon 1997 hatte Frankreich drei größere Dämme abreißen lassen. Dass andere Länder folgten, liegt an einem EU-Beschluss. Zur Jahrtausendwende verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten, alle Gewässer in Europa bis zum Jahr 2015 in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Dafür musste man auch Staudämme und Wehre zurückbauen, damit Fische wieder die Flüsse durchwandern können. Keiner der Mitgliedsstaaten hat jedoch bis 2015 die Ziele vollständig erreicht. In Deutschland etwa verfehlten fast 90 Prozent der Flüsse den geforderten Zustand. Nun gibt es Aufschub: Die Ziele der EU-Richtlinie sollen bis 2027 umgesetzt werden.
Während es gegen die industrielle und landwirtschaftliche Verschmutzung schon länger Gesetze gibt, dringt erst langsam ins Bewusstsein: Die Fragmentierung von Flüssen durch Dämme und Wehre schädigt die Umwelt ebenso nachhaltig. Und es fehlten Standards, kritisiert Roberto Epple vom Europäischen Flussnetzwerk. Für Kleinkraftwerke etwa gebe es lediglich Empfehlungen der Europäischen Union, obwohl auch sie das Ökosystem eines Flusses empfindlich beeinträchtigen könnten.
"Nicht durch ein einziges Kleinkraftwerk", sagt Roberto Epple. "Das kann der Fluss scheinbar verdauen, wenn es richtig gebaut ist. Aber es ist die Summe aller dieser Kleinkraftwerke, die zu großen Schäden führen. Dass ein Fluss manchmal alle fünf bis zehn Kilometer irgendein Querbauwerk steht, kleiner oder größer, das ist ein Riesenproblem."
Umweltsiegel für Wasserkraftwerke, mehr Energieeffizienz
Der Umweltschützer wirbt dafür, dass Kraftwerke ein Siegel bekommen, wenn sie umweltfreundlich gebaut und betrieben werden. Für die deutsche Energiewende sieht der Hydrobiologe in der Wasserkraft nicht der Weisheit letzter Schluss. Wichtiger sei es, grundsätzlich mit Energie sparsam und effizient umzugehen.
"Wir nennen das 'Negawatt', mit einem 'N' geschrieben", erklärt Roberto Epple. "Das ist eine Kampagne, die hier läuft. Ein nicht verbrauchtes Kilowatt ist ein 'Negawatt'. Das ist die billigste Art, Energieausbau zu verhindern. Das ist unser Paradigmenwechsel, um den wir überhaupt nicht herumkommen."
Auch Gabriel Singer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hält das für die sinnvollste Strategie.
"Es ist ja keine Garantie, dass das Abflussregime unserer Gewässer erhalten bleibt", sagt er. "Im Gegenteil, wir rechnen ja damit, dass im Rahmen des Klimawandels Abflussregime sich verändern werden. Wir haben es ja mit rekordverdächtig niedrigen Wasserständen zu tun gehabt. Die können auch für die Energieproduktion nicht besonders zuträglich sein."
Beide Wissenschaftler sagen: Die Renaturierung des Elwha sei das Paradebeispiel eines gelungenen Dammrückbaus. Und sie sehen darin ein Signal für ein nötiges Umdenken in Politik und Wirtschaft hin zur Ökologie.
Das ist auch die Erfahrung von Habitat-Experte Mike McHenry: "Wir bekommen Besucher aus der ganzen Welt, das Interesse am Elwha-Projekt ist groß. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass es so optimistisch stimmt. Und in einer Zeit, in der positive Geschichten rar sind, ist es eine große Freude, Teil von so etwas Hoffnungsvollem zu sein."
Trotz hoher Kosten gut angelegtes Geld
Die Kosten für einen Dammrückbau schwanken von einigen Tausend bis hin zu mehreren Millionen Euro – je nach Größe des Bauwerks. Tim Randle von der US-Behörde für Wasserwirtschaft hält die Summen für gut angelegtes Geld. Ein Fluss, einmal vom Damm befreit, könne sich selbst wieder in einen gesunden Zustand bringen.
"Eines haben wir gelernt", erklärt Tim Randle. "Wenn man Sediment aus einem Stausee freisetzt, während man zugleich den Damm rückbaut, transportiert der Fluss dieses Sediment recht effizient flussabwärts. Der Elwha zumindest hat sich von der großen Störung ziemlich schnell erholt. Zu Spitzenzeiten schickten wir 60- bis 70-mal mehr Sediment flussabwärts, als es im Fluss in einem normalen Wasserjahr gegeben hätte."
Die großen Mengen Sand und Geröll haben einen positiven Effekt an der Flussmündung und könnten ein wirkungsvolles Mittel gegen klimabedingte Küstenerosion sein. Wo früher im Elwha-Delta bereits der Pazifik begann, dehnt sich heute ein heller Sandstrand. Möwen sitzen herum und picken nach Einsiedlerkrebsen.
Ranger Dean Butterworth hat die Sechstklässler aus Seattle zum Abschluss seiner Führung hierher gebracht und lässt die Großstadtkinder noch ein letztes Mal staunen.
"Wo wir gerade stehen, hätten wir vor dem Rückbau der beiden Dämme nasse Füße bekommen", erklärt er. "Einen Strand gab es hier nicht. Nur 15 Meter weiter zurück in Richtung Straße, das war damals das Ende des Strandes. Worauf wir jetzt hier stehen, ist alles Material, das der Fluss von den Stauseen heruntergebracht und an der Mündung abgelagert hat. So ist ein neues Stück Land und Habitat entstanden."
"Früher oder später wird man rückbauen"
"Am Ende darf man nicht vergessen", sagt Gabriel Singer, "dass jeder Damm eine gebaute Infrastruktur ist und daher eine begrenzte Lebenszeit besitzt. Selbst wenn wir in 50 bis 100 Jahren in ein komplettes Solarzeitalter eingetreten sind, dann haben wir diese Dinger in der Landschaft herumstehen. Sie sind ein Sicherheitsrisiko, mit dem wird man umgehen müssen. Oder renovieren, das wird Geld kosten. Wozu, wird dann die Frage sein. Früher oder später wird man rückbauen."
Wissenschaftler Gabriel Singer und Umweltschützer Roberto Epple sind sich einig. Der Dammrückbau ist nur eine Möglichkeit, um die Folgen des Klimawandels zu mildern. So wie Wasserkraft nur eine Möglichkeit sein könne, um Versorgungslücken aus Wind- oder Solarstrom zu schließen.
In Deutschland liegt der Anteil von Wasserkraft bei etwa drei Prozent. Deshalb könne man als einen ersten Schritt auf die ausgedienten Staudämme verzichten – wie Frankreich das an der Sélune getan hat.
"An der Sélune machen wir jetzt zwei Staudämme weg", sagt Roberto Epple. "Das entspricht in diesem Falle 15 Megawatt Leistung. Das sind ein paar Dörfer bis eine kleine Stadt, die damit versorgt werden können. Ein gutes Windrad macht das leicht. Durch die Verbesserung eines einzigen guten Kraftwerkes, indem Sie die Produktionsbedingungen modernisieren, können Sie viel mehr erreichen als mit allen kleinen Wasserkraftwerken, die Sie überhaupt bauen können - und können dazu noch welche weg tun."
Vorhandene Wasserkraftwerke und Staudämme modernisieren, alte und überflüssige abreißen – Gewässerökologe Gabriel Singer hofft auf ein Umdenken. Die Menschen müssten verstehen, dass Flüsse wieder frei fließen müssen – zum Schutz der Umwelt und des Klimas.
"Die Energie, die wir hineinstecken in die Entfernung eines Damms wäre schlauer hineingesteckt in das Nichtbauen von fünf anderen", sagt Gabriel Singer. "Und auch bei Fließgewässern stellt sich die Frage: Wollen wir die in einem bestimmten Zustand erhalten oder wollen wir sie einfach restlos ausbauen zur Energieproduktion? Dann sagt man: 'Nein. Der Strom darf zwei Jahrzehnte früher teurer werden, weil wir 20 Prozent der Flüsse nicht ausbauen.'"