Gewalt gegen Beamte in Hessen

"Du Hurensohn" ist Standard

04:19 Minuten
Zwei Hände präsentieren mehrere Pfandsiegel eines Gerichtsvollziehers in der Hand.
Die Pfandsiegel eines Gerichtsvollziehers: Die Beamten werden im Dienst häufiger auch mit Waffen bedroht. © dpa/picture alliance/Arne Dedert
Von Ludger Fittkau |
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Beleidigt, bedroht, geschlagen: Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher werden im Dienst immer häufiger Ziel von Angriffen. Auch knapp ein Drittel der hessischen Lehrkräfte ist im vergangenen Jahr laut einer neuen Studie körperlich attackiert worden.
Birgit Kannegießer ist keine ängstliche Frau. Die Justizvollzugsbeamtin arbeitet in der Strafvollzugsanstalt Weiterstadt bei Darmstadt – dem größten Männergefängnis des Landes Hessen. Doch es gibt Situationen, an denen auch Birgit Kannegießer lange zu knabbern hat:
"Ich selbst habe es auch schon erlebt, dass ich bedroht wurde. Ein Gefangener, der mir zuruft: ,Übrigens, Frau Kannegießer, Sie werden sterben!‘ Ja, das erleben auch andere Kollegen, das kommt vor. Das sind Ausnahmen, das sind wirklich außergewöhnliche Situationen. Aber dass Kollegen und Kolleginnen beleidigt werden, Stichwort ,du Hurensohn‘, das ist so der Standard, das Gängigste, was Kollegen sich, also ja, gefallen lassen, gefallen lassen müssen. Das setzt sich natürlich fort. Ja, das ist alltäglich bei uns."
Birgit Kannegießer engagiert sich als hessische Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten dafür, dass Todesdrohungen und andere Straftaten an Beamtinnen und Beamten konsequent von der Justiz verfolgt werden. Das geschieht leider bis heute oft nicht. Dies wurde nun in Frankfurt am Main bei der Vorstellung einer neuen Studie zur Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst deutlich.

Vier Fünftel aller Lehrkräfte sind beleidigt worden

Verfasst hat sie ein Team der Universität Gießen um die Kriminologie-Professorin Britta Bannenberg im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes Hessen. Besonders betroffen von körperlichen Angriffen sind neben Polizistinnen und Polizisten sowie Justizvollzugsbeamten auch Gerichtsvollzieher, so das Ergebnis der Befragung von rund 2000 hessischen Beamtinnen und Beamten.
Markus Ebertz ist Vorsitzender des Berufsverbandes der Gerichtsvollzieher in Hessen: "Es gibt mittlerweile bei uns leider auch extreme Fälle zu beklagen, dass also auch Kollegen in Ausführung der ihnen erteilten Vollstreckungsaufträge mit Waffen bedroht werden. In einem Fall gab es einen tragischen Fall, hier auch bei uns in Hessen, dass einem Kollegen in den Kopf geschossen worden ist, so dass der Kollege heute Schwerstpflegefall ist."
Auch Lehrerinnen und Lehrer in Hessen werden "in erheblichem Maße bedroht, beleidigt und beschimpft", lautet ein Ergebnis der Studie. Vier Fünftel aller Lehrkräfte erleben in ihrer Dienstzeit Beleidigungen. Rund 30 Prozent werden "körperlich angegriffen", jede neunte Lehrperson wird angespuckt. Obwohl knapp die Hälfte der Betroffenen die Schulleitung informiert, erfolge fast nie eine Strafanzeige, so das Forscherteam der Uni Gießen.

Psychische Folgen ernster nehmen

Alle Fraktionen des hessischen Landtages waren heute zur Präsentation der Studie eingeladen. Lediglich René Rock, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, folgte der Einladung. Er zeigte sich gerade über die Studienergebnisse zum Umgang von Vorgesetzen angesichts der Gewalt gegen die Lehrerschaft überrascht: "Man kannte Einzelereignisse, die einem zugetragen worden sind, wo man dann auch aktiv geworden ist. Aber dass das so ein Ausmaß hat, das war mir nicht bekannt. Und da muss natürlich in der Kultusbehörde reagiert werden."
Die Gießener Kriminologie-Professorin Britta Bannenberg fordert die Behörden auf, die psychischen Folgen der Gewalt an Beamtinnen und Beamten ernster zu nehmen als bisher.

Keine vergleichbaren Zahlen im Bund

Ebenso appelliert sie gemeinsam mit dem Deutschen Beamtenbund an die Justiz, deutlich mehr Strafen zu verhängen als bisher – zur Abschreckung: "Das gilt aber natürlich nur für die Fälle, die der Justiz überhaupt bekannt geworden sind. Doch unsere Studie hat gezeigt, dass die meisten Fälle, unabhängig von den Berufsgruppen, eigentlich im Dunkelfeld verbleiben. Das heißt, man teilt mal allenfalls in der Hälfte der Fälle, wenn es gut läuft, dem Vorgesetzen überhaupt mit, das, was passiert ist, in der anderen Hälfte nicht."
Auch das müsse sich entschieden ändern, so die Kriminologin. Selbstverteidigungskurse oder Pfefferspray etwa für Gerichtsvollzieher oder Justizbeamtinnen sind weitere Schutzmaßnahmen, zu denen staatliche Bedienstete greifen. Was die Vielzahl der Berufe im öffentlichen Dienst angeht, gibt es bundesweit noch keine andere Gewaltstudie, die an die Befragung in Hessen heranreicht.
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