"Wenn ich einen Pfarrer ermorden kann, kann ich tun, was ich will"
Täglich sterben in Mexiko Menschen im Krieg zwischen Mafiabanden, Soldaten und Polizisten. Zunehmend werden auch Kirchenvertreter Opfer dieser Gewalt. Omar Sotelo Aguilar ist sowohl Pfarrer als auch Journalist: Er hat die Hintergründe der Angriffe recherchiert.
Für den mexikanischen Pfarrer Omar Sotelo Aguilar war der 14. Januar dieses Jahres ein ganz besonderer Tag. Jahrelang hatte er an seinem Buch gearbeitet, nun konnte er es endlich in der Kathedrale von Mexiko-Stadt vorstellen. Schon der Titel verweist darauf, dass sich Sotelo mit einem schwierigen Thema befasst hat: "Tragödie und Feuerprobe des Priestertums in Mexiko." Es geht um die zahlreichen Angriffe, denen Kirchenvertreter in seinem Land ausgesetzt sind. Sotelo berichtet:
"Leider mussten wir feststellen, dass die Gewalt in den vergangenen zehn, elf Jahren immens zugenommen hat. Während der Amtszeit des letzten Präsidenten, Felipe Calderón, sind 17 Pfarrer ermordet worden. In der aktuellen, sechsjährigen Legislaturperiode sind es bereits 23. Außerdem sind zwei Priester seit vier Jahren verschwunden."
Gefährlichstes Land für Kirchenvertreter weltweit
Sotelo beschreibt in seinem Buch die Schicksale von sechzig getöteten Priestern, Ordensleuten, Laien und einem Diakon. Allein dieses Jahr habe es bereits 850 Erpressungen und Todesdrohungen gegeben, sagt er. Sein Resümee: Mexiko ist das gefährlichste Land für Kirchenvertreter weltweit.
Omar Sotelo ist nicht nur Pfarrer und Buchautor, sondern auch Journalist. Der 49-Jährige leitet das Katholische Multimedia Zentrum, das seinen Sitz im Süden der mexikanischen Hauptstadt hat. In einem kleinen Studio produziert er mit seinen Kollegen regelmäßig Videos. Sie berichten über Pilgerfahrten und Prozessionen – und über die Gewalt gegen ihre Glaubensbrüder.
Zuletzt traf es Padre Juan Miguel in einer Gemeinde unweit der Großstadt Guadalajara. Zwei Männer schossen ihn vergangene Woche in seiner Kirche nieder. Zwei Monate vorher ermordeten Unbekannte zwei Pfarrer, die sich gerade mit dem Auto auf dem Heimweg von einem Fest befanden. Die Morde ereigneten sich im ländlichen Bundesstaat Guerrero, einer der ärmsten Regionen Mexikos. Große Landstriche werden dort von Banden des organisierten Verbrechens kontrolliert.
Täglich fordert der Krieg zwischen den Kriminellen seine Opfer, 2017 starben in dem Bundesstaat 2318 Menschen eines unnatürlichen Todes. Nicht zufällig finden in solchen Gegenden auch die meisten Attacken auf Kirchenvertreter statt, erklärt Sotelo:
"Viele Pfarrer, die auf dem Land leben, üben ihre pastorale Tätigkeit auf dem Terrain der kriminellen Kartelle aus. Guerrero ist ein deutliches und erdrückendes Beispiel, wie die Dinge laufen. Dort wird Schlafmohn für die Herstellung von Opium angebaut, zugleich liegt die Gegend auf einer wichtigen Drogen-Transportroute. Ganze Gemeinden leben davon, und die Priester bewegen sich mittendrin. Sie kennen die Leute und reden mit ihnen. Das passt den Kriminellen nicht. Deshalb greifen sie die Pfarrer an."
Priestermord als Signal
Hinter den meisten Attacken stecke das organisierte Verbrechen. Die Angriffe seien gut organisiert und häufig würden die Opfer gefoltert, erklärt Sotelo. Das sei typisch für die Kriminellen. Das Ziel:
"Der Pfarrer stellt häufig das Zentrum der Gemeinden dar. Er gleicht Spannungen aus und heilt die Seelen. Die Kirche mit ihm im Mittelpunkt ist ein Schutzraum, ein Ort der Begegnung. Hier werden persönliche Beziehungen geknüpft. Wer einen Priester attackiert, nimmt ihm seine Unantastbarkeit und sendet damit eine deutliche Botschaft: Wenn ich einen Pfarrer ermorden kann, kann ich tun und lassen, was ich will."
Es gehe den Banden darum, das Gemeindeleben zu zerstören und eine Kultur des Terrors und des Schweigens durchzusetzen, erklärt Sotelo. Dagegen wehren sich viele Kirchenvertreter. Die Geistlichen spielen im Kampf gegen den alltäglichen Terror in Mexiko eine wichtige Rolle.
So auch Bischof Salvador Rangel vom Bistum Chilpancingo–Chilapa in Guerrero. Mehrmals verhandelte er mit den Kriminellen, um Eskalationen zu vermeiden. So konnte er die Banden davon überzeugen, nicht weiterhin Kandidaten der anstehenden Wahlen anzugreifen oder zu töten. Doch für seinen Einsatz handelte er sich in den letzten Monaten viel Kritik von der Regierung ein. Forderungen nach einem Strafverfahren wurden laut. Der Bischof kann das nicht nachvollziehen:
"Eine Doktrin der katholischen Kirche ist der Dialog. Deshalb habe ich so gehandelt. Der Dialog ist ein Instrument. Franz von Assisi sagte: 'Mein Herr, gib mir bitte ein Instrument für den Frieden.' Ich bin Franziskaner und gehe in diesem Sinne vor. Wenn die Beteiligten miteinander sprechen wollen, dann bin ich dazu entschlossen, damit Guerrero etwas friedlicher wird."
Kirche im Dialog – auch mit Kriminellen
Auch für Omar Sotelo steht der Dialog an erster Stelle. Der Einsatz von Rangel sei kein Ausdruck einer Komplizenschaft mit der Mafia, stellte das Katholische Medienzentrum klar. Im Gegenteil, kritisiert der Pfarrer: Die Kirche müsse diese Aufgaben übernehmen, weil die Regierung kein Konzept gegen die Gewalt habe, so Sotelo:
"Die Defizite der Strafverfolger sind offensichtlich: Es fehlt an Professionalität und an Ernsthaftigkeit. Die Justizbehörden machen praktisch nichts. Das, was sie tun, machen sie sehr schlecht. Polizeieinheiten und Ermittlungsbehörden sind von den Kriminellen unterwandert und korrupt. Sie lassen uns im Stich. Mehr als achtzig Prozent aller Tötungsdelikte sind nicht gelöst."
Sotelo bleibt dennoch optimistisch. Für seine Recherchen erhielt er den Nationalen Journalismus-Preis. Das verleihe dem Medienzentrum noch mehr Glaubwürdigkeit, sagt er. Die Arbeit fällt ihm aber schwer:
"Wir wollten zuerst gar nicht darüber reden. Es ist nicht leicht, über Freunde zu sprechen, die ermordet wurden. Ich kannte zwei von ihnen. Das tut sehr weh. Aber trotzdem bin ich davon überzeugt, dass ich als Journalist und Pfarrer die Verpflichtung habe, weiterzumachen."