Beschimpft, attackiert, geschlagen
Wer Polizisten angreift, müsse mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bestraft werden, fordert Arnold Plickert. "Es gibt einen Anstieg der Gewalt aus unterschiedlichsten Gruppen", sagt der Gewerkschafter aus Bochum.
Joachim Scholl: Tania Kamburi ist 30 Jahre alt, griechischer Herkunft, Streifenpolizistin in Bochum und hatte nach einem Einsatz im vergangenen Herbst, bei dem sie von einem Türken böse beschimpft wurde, die Faxen dick. Sie schrieb einen Brief an die Gewerkschaftszeitschrift, um ihrem Unmut Luft zu verschaffen, und hat anscheinend vielen Kollegen aus der Seele gesprochen. Vor allem ausländische Straftäter zeigen nach ihrer Meinung keinerlei Respekt vor der Polizei, beleidigen, bedrohen die Beamten, greifen sie nicht selten an. Und das Schlimme sei, man könne nicht offen darüber sprechen.
Am Telefon ist jetzt Arnold Plickert, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Plickert.
Arnold Plickert: Schönen guten Morgen, Herr Scholl.
Scholl: Sie sind selber früher Streife gefahren, Herr Plickert, in Bochum, waren auch dort im Einsatz, wo Tania Kamburi war. Können Sie ihre Beschreibung der Lage bestätigen?
Plickert: Meine letzte Streifenfahrt liegt schon 15 Jahre zurück. Ich denke mir, da hatten wir noch nicht solche Situationen, dass wir in gewissen Stadtvierteln mit diesen Problemen zu rechnen hatten. Was ich aber durchaus bestätigen kann: Es gibt einen Anstieg der Gewalt aus unterschiedlichsten Gruppen. Ich war 15 Jahre im Bereich der Hundertschaften tätig. Ich habe Demonstrationen von Linken in Gorleben und Berlin begleitet. Ich habe miterlebt, wie die rechte Szene sich radikalisiert hat. Und ich habe in meiner Zeit in Bochum auch im Bereich der Hooligans festgestellt, dass die durch libanesische Mitbürger im Prinzip geführt und gesteuert wurden.
Scholl: Eine jüngere Studie hat jetzt erschreckende Zahlen allgemeiner Gewalt gegen Polizisten veröffentlicht, dass jeder zweite Polizist in Nordrhein-Westfalen bei einem Einsatz schon mal körperlich angegriffen wurde und eigentlich pro Jahr wirklich einmal damit rechnen muss. Weiß man eigentlich, wie hoch dabei der Anteil von migrantischen Tätern ist, denn darauf hat ja Tania Kamburi aufmerksam gemacht?
Plickert: Die Studie, die Sie ansprechen, in Nordrhein-Westfalen hatte eine derartige Fragestellung nicht. Wir können aber hilfsweise auf die polizeiliche Kriminalstatistik zurückgreifen. Wenn ich sehe, dass wir in Nordrhein-Westfalen 18 Millionen Einwohner haben, davon 1,9 Millionen Nichtdeutsche, das macht zirka elf, zwölf Prozent dann. Der Anteil der nichtdeutschen Täter liegt aber bei 26 Prozent, ist also fast dreimal so hoch. Das macht deutlich, wo der Weg hingeht.
"Die alte Leier mit den Nazis"
Scholl: Tania Kamburis Brief benennt einen ganz heiklen Punkt. Sie schreibt: "Meine deutschen Kollegen scheuen sich, ihre Meinung über die straffälligen Ausländer zu äußern, da sofort die alte Leier mit den Nazis anfängt." Das ist ein bisschen fahrlässig ausgedrückt in diesen Zeiten des NSU-Prozesses, aber was damit gemeint ist, was sie damit meint: Man traut sich nicht, darüber offen zu sprechen. Teilen Sie diese Beobachtung?
Plickert: Ja, die kann man durchaus teilen. Es ist ja wirklich so überraschend, der Brief von der Kollegin Kamburi ist ja aus November. Er ist jetzt noch mal so nach vorne gekommen, weil wir letzte Woche unseren Landesdelegiertentag in Dortmund hatten. Da war das Thema auf einer Podiumsdiskussion, wo auch Minister Jäger da war, und jetzt ist die Öffentlichkeit eingestiegen. Ich denke mir, die Kollegen überlegen schon sehr genau, ob sie dieses Thema öffentlich angehen. Historisch sind wir einfach belegt und jeder, der jetzt mit diesem Thema anfängt, wird irgendwie doch eingerastert, eingenordet in die rechte Ecke, und von daher, glaube ich, sind die Kolleginnen und Kollegen eher defensiv mit der Öffentlichkeitsarbeit dort.
Scholl: Man hört, dass manche Einsätze in bestimmten Stadtvierteln, in bestimmten Städten dann sozusagen schon gefürchtet werden, und man sagt, da geht man mit doppelter Mannschaft hin, weil man befürchtet, dass ausländische Straftäter dann sofort Hilfe holen, oder dass es sofort Gewalt gibt. Ist das so richtig?
Plickert: Nun ist ja die Diskussion, gibt es No-Go-Areas in unserer Gesellschaft. Da sage ich, zumindest in Nordrhein-Westfalen gibt es die noch nicht. Aber es gibt durchaus Ansätze. Ich kann das auch mit zwei Beispielen belegen. Wir haben vor sieben, acht Wochen in Aachen einen Einsatz gehabt, wo die Kollegen im Streifenwagen eine Person mit Migrationshintergrund gesehen haben, der per Haftbefehl gesucht wurde. Man hat ihn verfolgt, hat ihn dann auch gestellt. Über Handy waren dann auf einmal 15, 20 Leute um die Kollegen herum und denen blieb nichts anderes mehr übrig, als die Flucht zu ergreifen. Das war auch genau die richtige Maßnahme. Ansonsten wäre es vielleicht zum Schusswaffengebrauch gekommen.
Vor anderthalb Jahren hatten wir in Dortmund eine Situation, wo die Kollegen nachts um halb drei zu einem Raub gefahren sind, auch kein Bagatelldelikt, zum Nachteil einer 90-jährigen Dame, und die sind in ein Stadtviertel gekommen, wo eine Jugendgruppe auf der Straße stand, die nicht durchgelassen hat und denen gesagt hat: Haut ab, hier bestimmen wir, wer hier durchkommt. Das sind zwar noch Einzelfälle, aber wir müssen ganz, ganz vorsichtig sein, dass sich das nicht verstärkt.
"Keine rechtsfreien Räume zulassen"
Scholl: Die Reaktionen von vielen Kollegen auf Frau Kamburis Brief, Herr Plickert, die sprechen sogar davon, dass Behörden Straftaten migrantischer Täter fallen lassen. Das gebe nur Ärger, hätte so mancher Dienststellenleiter zu den Kollegen gesagt. Das ist natürlich eigentlich ein Zustand, der nicht akzeptabel ist, oder?
Plickert: Da bin ich ganz bei Ihnen. Wenn es solche Fälle gegeben hat, dann kann man die nur ablehnen. Die Reaktion muss genau eine andere sein. Wir dürfen keine rechtsfreien Räume hier in unserer Republik zulassen. Wir müssen ganz klar und deutliche Signale geben: So nicht! Hier ist der Rechtsstaat bestimmend, hier bestimmt die Polizei, die ist für Recht und Ordnung verantwortlich. Ich würde es wirklich bedauern. Wenn derartige Dinge geschehen sind, dann müssen wir unsere Kolleginnen und Kollegen sensibilisieren. Genau der andere Weg muss gemacht werden: Klar und deutlich zu sagen, so nicht, hier bestimmen wir, was gemacht wird.
Scholl: Nun erinnern wir uns alle wohl noch an gänzlich anders gelagerte Diskussionen, Herr Plickert, an die Vorwürfe gegen die Polizei, gerade bei Ausländern besonders scharf vorzugehen, bei Polizeikontrollen oder etwa bei Demonstrationen. Hat diese Kritik jetzt eventuell auch diesen Umkehrschluss bewirkt, dass man im Zweifelsfall eher zögert und vielleicht sogar gar nichts tut?
Plickert: Ich habe mit der Kollegin Kamburi vor zehn Tagen ein Vorgespräch geführt vor unserem Kongress. Sie hat noch mal deutlich gemacht, so wie Sie es in der Anmoderation geschildert haben: Sie ist im Nachtdienst von einem Einsatz wiedergekommen, wo sie dieses Erlebnis wieder gehabt hat. Als Kollegin irgendwo hinzukommen, auszusteigen und dann sofort massiv beleidigt zu werden, unter der Maßgabe "mit einer Frau sprechen wir hier gar nicht, egal ob du Polizistin bist". Man hat die Leitstelle noch mal angerufen und hat gesagt: Schickt mir einen anderen Streifenwagen, wo zwei männliche Polizisten drauf sind. Das war der Frust. Ich glaube, das hatte jetzt nichts mit rechts zu tun. Die war einfach verzweifelt von dieser Einsatzsituation, die sie dort erlebt hat.
Scholl: Sie von der Gewerkschaft der Polizei sehen hier vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, fordern neue, schärfere Gesetze. Warum reichen die alten nicht aus, Herr Plickert? Straftat ist doch Straftat.
Plickert: Zum einen noch einen Sprung davor. Mir wäre es schon mal lieb, wenn ich alle Parteien so weit hätte, dass sie ein deutliches Signal nach draußen geben: Wir sind gegen diese Maßnahme, wir dulden keine rechtsfreien Räume, dass wir schon mal mit einer Sprache reden. Warum wir neue Gesetze fordern, weil die Einsatzsituation hat sich verändert. Der Widerstand, der heute im Strafgesetzbuch steht, erfordert eine Vollstreckungshandlung. Das heißt, die Kollegen müssen aktiv vor Ort eine Maßnahme durchführen, eine Personalienfeststellung, eine Festnahme. Das ist Grundvoraussetzung.
Das Bild auf der Straße sieht aber anders aus. Meine Kolleginnen und Kollegen und selbst Rettungssanitäter kommen in den Großstädten Freitags abends, Samstags abends irgendwo hin, wollen helfen, und ohne dass die überhaupt was machen, es reicht das bloße Erscheinen, das bloße Aussteigen, werden die attackiert, werden beschmissen, werden geschlagen, und das bildet der [Paragraf] 113 nicht ab. Deswegen brauchen wir eine andere Formulierung. Und wir brauchen aus unserer Sicht einen neuen Straftatbestand mit einer Mindeststrafe. Der 113 ist in der Strafandrohung erhöht worden von zwei auf drei Jahre.
"Wir sind Teil der Gesellschaft"
Man hat dann gesagt, es hat sich an und für sich an der Gewalt nichts verändert. Mich wundert das nicht. Wenn ich vorher die Höchststrafe von zwei Jahren nicht ausspreche, dann werde ich sie auch nicht bei drei Jahren aussprechen. Der Ansatz muss nicht von oben kommen, sondern der muss von unten kommen. Wir sind Teil der Gesellschaft und wer eine Polizistin, einen Polizisten angreift, greift diese Gesellschaft an, und deswegen müssen meine Kolleginnen und Kollegen besser geschützt werden. Und ein klares Signal: Wenn du Kolleginnen und Kollegen angreifst, musst du mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten rechnen.
Scholl: Nun haben wir schon seit langem eine breite Diskussion in der Gesellschaft, Herr Plickert, um Migration und Integration, um Ausgrenzung von Ausländern. Sie von der Polizei sehen eine kriminelle Realität, von der wir in der Regel wenig mitbekommen. Wie unwohl fühlen Sie sich eigentlich in dieser allgemeinen Diskussion? Denkt man als Polizist nicht zwangsläufig, ihr habt gut reden?
Plickert: Ja! Das zeigt ja unsere Studie erstmalig auf in Nordrhein-Westfalen. Nicht nur die Zahlen, die hatten wir immer schon mal, wie sich Kriminalität entwickelt. Aber der Vorteil an unserer Studie ist, dass die Kollegen genau das gefragt wurden: Wie fühlt man sich, wenn ich bedrängt werde, wenn ich eingekesselt werde, wenn ich beschimpft werde. Die Folgen sind da auch schon für meine Kolleginnen und Kollegen sehr unangenehm. Man spricht von Schlafstörungen, von Nervosität, vermehrtes Schwitzen, Essstörungen. Das nimmt man alles mit nach Hause. Hinzu kommt, dass die demografische Entwicklung zuschlägt. Wir werden in Nordrhein-Westfalen in wenigen Jahren 50 bis 60 Prozent der Kolleginnen und Kollegen in einem Alter über 50 Jahren haben, und da kann man sich vorstellen, wenn die über Funk so einen Einsatz bekommen und müssen vielleicht in so gefahrenträchtige Gebiete, wo man das weiß. Ich glaube, das ist eine große Belastung für meine Kolleginnen und Kollegen.
Scholl: Kein Respekt vor der Polizei – das war Arnold Plickert, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Herr Plickert, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Plickert: Ich danke ebenfalls.
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