Gewalt bei den Amateuren
Immer wieder werden Polizisten zu Amateurspielen angefordert. © Imago / Sebastian Wells
Wenn Fußball zur Nebensache wird
05:26 Minuten
Im deutschen Amateurfußball gab es in der vergangenen Spielzeit 542 Polizeieinsätze bei 1,5 Millionen Spielen. Auch wenn die Problematik über Gewalt und Aggression im Amateurfußball statistisch eher überschaubar ist - es gibt sie.
Kinder dürfen heute nicht ins Stadion, falls sie nur auf einem der Nebenplätze kicken wollen. Heute nicht!
Alle Zugänge müssen verschlossen sein. Das ist Vorgabe vom Fußballkreis. Nur an dem einen kleinen Kassenhäuschen geht es hinein, an dem die 85-jährige Kassiererin seit Ewigkeiten ihrem Ehrenamt nachgeht.
Gastgeber muss für Ordnungskräfte sorgen
Der Gastgeber muss heute für Ordnungskräfte sorgen, auch das ist Vorgabe des Kreises. Leider wird nicht gesagt, wer das finanziert.
Der Verein ist klamm, wie so viele Amateurvereine überall im Land. Also streifen sich zwei aus der Abteilung Ü70 noch eine Ordnerbinde über den Ärmel.
Es reicht doch schon, dass der Schiedsrichter heute teurer wird als üblich. Statt wie sonst aus den umliegenden Gemeinden der Stadt sind das heute 150 Kilometer An- und Abreise. Aber er hat einen Posten beim Verband und gilt bei besonderen Spielen als besonders besonnen.
Aggressiv wird es vor dem Spiel an der Kasse
Wofür dieser Aufwand, fragen Sie sich? Für ein Bezirksligaspiel, also 8. Liga. Der türkische Traditionsverein der Stadt ist zu Gast. Tradition in mehrerlei Hinsicht. Seit bald 50 Jahren besteht er, und politisch gilt er auch eher als traditionell - um es mal moderat zu formulieren.
Aggressiv wird es unvermutet eine halbe Stunde vor dem Spiel an der Kasse. Junge Frauen, dem Gastverein zuzuordnen, verlangen lautstark freien Eintritt. Weil sie Frauen sind und das bei ihrem Verein so üblich wäre.
Einer entschuldigt sich für seine Frau
Der Geschäftsführer, 72, der am Spieltag auch Kartenabreißer ist und heute auch noch eine von zwei Ordnungskräften, sagt ihnen, dass sich Frauen hier sonst eher über den ermäßigten Eintritt beschweren würden und genauso viel bezahlen wollen wie ihre Männer.
Für diese Frauen ist das kein Argument. Ihre Begleiter beruhigen, bezahlen selbstverständlich. Einer entschuldigt sich für seine Frau.
Und dennoch hängt nun eine gewisse Anspannung in der Luft, bis das Spiel beginnt. Der Anhang der Gäste ist in der Überzahl. 150 Zuschauer werden es insgesamt sein, das Dreifache des üblichen Zuspruchs hier.
Was ist mit der Gedenkminute wegen Israel? Kurzes Beratschlagen des Vorstandes. Ist das eine Vorgabe oder eine Empfehlung? Rücksprache mit dem Schiedsrichter, der die Stimmung vor seiner Kabine mitbekommen hat. "Wenn Ihr nicht drauf besteht, müssen wir das nicht machen."
Erleichterung, denn nach den Eindrücken der letzten Minuten weiß keiner, ob das ruhig bleiben würde. Ist es feige? Ja, vielleicht. Ist es pragmatisch? Ganz bestimmt. Und Hand aufs Herz, man weiß ja auch gar nicht, wo sich die türkischstämmigen Spieler der eigenen Mannschaft politisch verorten, von dem Neuen aus dem Libanon ganz zu schweigen.
"Die sollen dahin abhauen, woher sie kommen"
Endlich beginnt das Spiel, die entspannteste Phase des Nachmittags. Die Gäste gewinnen in der Nachspielzeit, feiern das ausgiebig, vor allem die Ex-Spieler des Heimvereins in deren Reihen. Und deren Anhang auch.
Was die Freundin eines Spielers der Gastgeber auf 180 bringt. "Die sollen dahin abhauen, wo sie herkommen." Sie meint wohl nicht das andere Ende der Stadt und wie dumm die Äußerung ist, sehen alle - nur sie selbst nicht.
Einer der Gäste ordnet den Spruch der Mutter des einheimischen Torwarts zu und geht auf die Dame los. Vier andere Männer sind solidarisch. Worauf die Spielerfreundin nachlegt, was ich hier aber nicht zitiere. Der Mann der Torwart-Mutter wiederum bietet den fünf Gästen an, sie einzeln zu verprügeln.
Die beiden Ordner, 72 und 75, wagen sich zwischen die Fronten, versuchen die Wogen zu glätten. Halbwegs erfolgreich, denn plötzlich steht die 85-jährige Kassiererin im Fokus.
Konflikte - auch nach Schlusspfiff
Körperlich hätte die keine Chance gegen zwei Frauen, die auf sie losgehen. Es geht noch einmal um die Sache vom Anfang. Um, so nennen sie es, "fehlenden Respekt", weil sie keinen freien Eintritt hatten.
Irgendwann sagt einer aus der Menge: "Jetzt freut euch doch, dass Ihr gewonnen habt und geht nach Hause." Es dauert noch ein paar Momente, die einem recht lang erscheinen. Dann löst es sich auf. Endlich.
Dieser Nachmittag käme in der Gewalt-Statistik nicht vor
In der Erhebung der Innenministerkonferenz über Gewalt im Amateurfußball hätte dieser Nachmittag übrigens keinen Niederschlag gefunden, da keine Polizei hinzugerufen wurde. Und die Thematik ist für eine Statistik ja auch als zu klein empfunden worden. Aber sie ist da.
Und wer sich mittags noch gefragt hatte, weshalb denn diese ganzen Vorkehrungen und Vorgaben sein mussten bei einem Spiel der 8. Liga, der weiß es eine halbe Stunde nach dem Abpfiff ganz bestimmt. In zwei Wochen kann sich ein anderer Gastgeber darauf "freuen", 14 andere Vereine im Laufe der Saison.