Gewalt im Stadion "nimmt tatsächlich überhand"

Der frühere Nationalspieler und Bremer Fußballprofi Spieler Marco Bode
Der frühere Nationalspieler und Bremer Fußballprofi Spieler Marco Bode © picture alliance / dpa
Moderation: Martin Steinhage und Thomas Wheeler |
Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Marco Bode fordert neue Maßnahmen, um der Gewaltbereitschaft sogenannter Fans zu begegnen. So sollten die Kontrollen vor und in den Stadien intensiviert und personalisierte Eintrittskarten eingeführt werden.
Deutschlandradio Kultur: Sprechen wir zu Beginn aus aktuellem Anlass über die Gewalt von Fußballfans. Das hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, vor allem in der letzten Saison ist es auffällig: traurige Höhepunkte beim Bundesligaabstieg des 1. FC Köln und bei den Relegationsspielen in Karlsruhe und Düsseldorf.

Haben Sie solche Situationen oder ähnliche Situationen in Ihrer Karriere auch erlebt?

Marco Bode: Eigentlich nicht, muss ich sagen. Ich hab sicherlich hier und da Situationen erlebt, wo sich Euphorie ein bisschen zu sehr gesteigert hat und Menschen dann auf den Platz liefen, aber meistens oder immer, wenn das Spiel zu Ende war und der Pokal gewonnen wurde oder eben die nächste Runde erreicht wurde.

Momentan nimmt das tatsächlich überhand. Und man muss auch sagen, dass das Komplizierte daran ja ist, dass es in vielen Fällen auch mit potenzieller Gewalt einher geht und wir doch Situationen erleben, die Zuschauer, aber auch die Beteiligten als bedrohlich empfinden. Es gab zwar auch im Fußball über die Jahrzehnte hin immer wieder Ausschreitungen auf den Tribünen, außerhalb der Stadien. Ich erinnere mich, dass wir auch schon Anfang der 90er Diskussionen dazu geführt haben. Ich hab mit gewaltbereiten Hooligans zusammengesessen und diskutiert, hab mich auch damals schon diesem Phänomen genähert. Aber momentan ist es sicher wieder relativ aktuell und bedrohlich.

Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie, Herr Bode, was muss geschehen, um diesen Exzessen Einhalt zu gebieten? - Geldstrafen, Platzstrafen, was kann man machen?

Marco Bode: Ich glaube, dass Fußballclubs, die Verbände, aber auch politische, gesellschaftliche Institutionen da zusammenarbeiten müssen und überlegen müssen, wo Lösungsansätze vorhanden sind. Aus meiner Sicht muss das auch immer eine Kombination aus Kontrolle und wirklich auch verstärkter Kontrolle möglicherweise sein, trotzdem auch Diskussionen und Kommunikation mit Fans, mit den Beteiligten, um auch zunächst einmal herauszufinden und für sich klarzukriegen, wo liegen überhaupt Motivationen für derartiges Verhalten.

Und dementsprechend hab ich auch keine einfache Lösung, aber ich glaube, dass der Fußball sich wehren muss. Die große Mehrheit der Zuschauer will keine Gewalt in Stadien oder neben den Stadien. Und man muss auch diese Mehrheiten mobilisieren und auf unsere Seite ziehen, um dann auch die gewaltbereiten Gruppen irgendwie zu isolieren und auch zu bekämpfen an der Stelle.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, ich verstehe Sie richtig: Sie bauen noch so ein bisschen auf einen Selbstreinigungsprozess innerhalb der Fans?

Marco Bode: Ich glaube, das ist vielleicht auch ein Stück weit naiv, aber ich glaube schon immer daran, dass man durch Argumente noch Menschen überzeugen kann. Wir hatten, wie gesagt, auch früher Situationen, wo wir Probleme auf der Tribüne hatten und wo eigentlich so zusagen die beste Idee war, dass die Mehrheit diese Minderheit isoliert und auch kritisiert und infrage stellt. Dann verschwinden solche Phänomene, glaub ich, eher, als wenn man mit der Ordnungsmacht des Staates versucht, an jeder Stelle einzugreifen. Aber auch das ist notwendig, weil: Man muss sicherlich auch Sicherheit gewährleisten in den Stadien. Und ich glaube, es braucht eben eine breite Diskussion darüber. Und da sind die Clubs, da sind Medien, die Spieler gefordert. Also, man kann das zurückführen bis auf das Verhalten der Spieler auf dem Platz, die da sicherlich mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Die Trainer und Manager können da ein weiteres tun. Wann ich da so zusagen die richtigen Signale sende, habe ich, glaub ich, eine gute Chance, auch die Menschen da mitzunehmen.

Wenn ich aber auch da schon eine übersteigerte Aggressivität zeige und Unfairness und nachher die Dinge auch so kommentiere, als wenn es um Leben und Tod ginge, dann darf ich mich am Ende nicht wundern, wenn solche Phänomene dann überhand nehmen. Also, ich würde sogar soweit gehen, dass es auch im Jugendbereich schon wichtig ist, dass die Trainer und Eltern am Spielfeldrand da den Kindern auch schon signalisieren: Fußball ist wichtig. Fußball soll mit Leidenschaft und Emotion gespielt werden, aber eben gespielt werden. Und es ist ein Sport, wo auch gewisse Werte und Regeln gelten müssen.

Marco Bode: Sie sagten eben unter anderem, auch die Clubs sind gefordert. Würden Sie so weit gehen zu sagen, die Clubs haben sich da auch Versäumnisse vorzuwerfen? Man kümmert sich sehr ums Marketing, sehr um die Finanzen, aber vielleicht zu wenig um die Fans, vor allem um die gewaltaffinen Fans. Müsste da von den Vereinen mehr geschehen gegenüber den eigenen Fangruppen?

Und ich würde da noch ergänzen: Lastet man den Fanprojekten zu viel an? Lädt man dort zu viel ab?

Marco Bode: Ich würde nicht die Vereine und Clubs pauschal kritisieren wollen an der Stelle. Ich glaube, dass einige Clubs sehr viel tun und auch gemeinsam mit Fanprojekten, mit Fanbetreuern auch versuchen, da in Diskussionen zu kommen, aber natürlich auch darauf angewiesen sind, dass von der anderen Seite auch eine gewisse Bereitschaft da ist, dieses Gespräch auch zu führen.

Ich glaube, dass sich dieses Phänomen schleichend so ein bisschen verstärkt hat und man vielleicht hier und da das auch unterschätzt hat, weil man gesagt hat: Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, wir können da als Fußball nichts tun.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, England hatte ein gewaltiges Hooligan-Problem vor allen Dingen in den 80er Jahren. In England gibt es inzwischen keine Stehplätze mehr. Es gibt ein Alkoholverbot im Stadium. Was halten Sie davon? Bewirkt das was?

Marco Bode: Ich weiß zum Beispiel, Union Berlin hat fast ein reines Stehplatzstadion. Da ist mir aus der jüngsten Vergangenheit überhaupt kein Problem bekannt geworden. Also, es ist nicht so, dass das die einzige Ursache ist.

Deutschlandradio Kultur: Und ein Alkoholverbot?

Marco Bode: Alkoholverbot im Stadium wäre aus meiner Sicht schon überlegenswert. Ich glaube, dass Alkohol in vielen Fällen eine Rolle spielt, weil einfach die Gewaltbereitschaft, die möglicherweise latent vorhanden ist, durch Alkohol eher freigesetzt wird und weniger kontrollierbar ist. Natürlich wissen wir alle, dass der Fußball durch Sponsoringbeziehungen auch da natürlich eng verbunden ist mit zum Beispiel vielen Biermarken. Und die allergrößte Mehrheit der Fußballfans ja auch damit umgehen kann, also, die meisten Fans ja gerne mal ein oder zwei Biere im Umfeld des Fußballs trinken wollen und das ja auch, wie gesagt, zu 99 Prozent kein Problem ist.

Also, ich bin da so ein bisschen - merken Sie auch - hin und her gerissen. Ich glaube nicht, dass es das entscheidende Mittel ist. Aber es könnte auch ein Punkt sein, den man diskutieren sollte.

Deutschlandradio Kultur: Aber welche Kontrollen könnten Sie sich konkret vorstellen? Sie haben Kontrollen angesprochen.

Marco Bode: Was möglicherweise ja auch zu diskutieren ist, sind personalisierte Tickets, um diese Abschreckungsfunktion von Stadienverboten noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Das sind alles keine schönen Maßnahmen, wenn wir den Fan da immer stärker kontrollieren, aber das ist sicherlich in akuten Phasen ein Mittel, um die zu schützen, die eben aus purer Freude ins Stadion gehen und nicht den Gedanken haben, da eben Gewalt auszuleben.

Deutschlandradio Kultur: In knapp zwei Wochen beginnt die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine. Sind da auch Probleme zu befürchten? Hat nach Ihrer Einschätzung der Fußballdachverband UEFA die Sache im Griff?

Marco Bode: Das vermag ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich zu beantworten. Ich denke, dass man sicherlich auch jetzt verstärkt diskutiert hat, inwieweit eine Fußball-EM auch politische Relevanz hat. Da ist meine Haltung ganz grundsätzlich zunächst mal, dass - wie ich vorhin schon sagte - sich jeder Fußballer und jeder Trainer und jeder Manager auch bewusst werden muss, dass er auch eine Figur des öffentlichen Lebens ist und alle Aussagen da auch eine Wirkung haben, trotzdem natürlich Sport und Politik zunächst mal getrennt bleiben sollen.

Aus Sicht der Spieler ist es wichtig, dass der sportliche Wettkampf im Vordergrund steht. Und, wie gesagt, der Großteil der Fans freut sich auf diese Europameisterschaft. Man muss die große Mehrheit der Fans in Polen und der Ukraine berücksichtigen, die ein Anrecht darauf haben, dass eine solche Europameisterschaft auch mal in ihrem Land stattfindet, wenn man diskutiert, ob die Vergabe in die Ukraine zum Beispiel jetzt so sinnvoll war.

Ich halte es für falsch, diese Europameisterschaft in Polen und der Ukraine jetzt grundsätzlich infrage zu stellen. Denn man muss die politische Führung in einem Land unterscheiden von den Menschen, die dort leben, und den Fußballfans, die eben auch mit Begeisterung dieses Spiel verfolgen wollen.

Deutschlandradio Kultur: Es wurde ja auch jetzt erst sehr kontrovers infolge der Inhaftierung der ehemaligen Ministerpräsidentin Timoschenko über die Situation in der Ukraine diskutiert. Das war ja vorher gar nicht der Fall, als 2007 die Europameisterschaft nach Polen und in die Ukraine vergeben wurde. Aber es ist schon auffällig, dass wir mehr und mehr sportliche Großveranstaltungen in Ländern haben - 2008 die Olympischen Sommerspiele in Peking, 2014 die Eishockey-Weltmeisterschaft in Weißrussland, Formel-1-Rennen in Bahrain - die in der Öffentlichkeit, zumindest in der deutschen Öffentlichkeit, sehr kontrovers diskutiert werden.

Müssten die Verbände, die nationalen, aber auch die internationalen Sportverbände nicht mehr überlegen, wo sie solche Veranstaltungen, solche Ereignisse hingeben, in welche Länder?

Marco Bode: Ich glaube, man muss tatsächlich gut überlegen. Ich glaube aber auch, dass die Vergabe von großen Sportveranstaltungen in Länder, die vielleicht aus der westlichen Sicht hier und da problematisch gesehen werden, auch eine Chance bietet, sich erstens mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Also, ich weiß nicht, ob so viele Deutsche davon erfahren hätten, wie die Situation in der Ukraine ist und wie man mit Frau Timoschenko jetzt in der jüngsten Vergangenheit umgegangen ist, wenn nicht die Europameisterschaft dort stattfinden würde. Ich will das jetzt gar nicht ins Positive drehen. Aber eine Auseinandersetzung - oder auch damals Olympia in Peking - mit diesem Land und der politischen Situation dort hat ja auch gewisse Vorteile.

Auf der anderen Seite: Was ist die Alternative? Gibt es eine Reihe von Nationen und Staaten, die völlig frei von Makel sind und die dann zu 100 Prozent diese großen Sportveranstaltungen austragen dürfen?

Deutschlandradio Kultur: ... da blieben nicht so viele ...

Marco Bode: Genau. Welche Länder wären das? Wer legt das fest? Ist das Amnesty International? Wenn wir Amnesty International fragen, weiß ich nicht, ob wir überhaupt eine Hand voll bekommen würden, wo dann Europameisterschaften stattfinden könnten. Denn auch wir werden ja hier und da im Ausland kritisch betrachtet. Also, wie gesagt, das meine ich damit, dass eine grundsätzliche Trennung von Sport und Politik schon notwendig ist.

Auf der anderen Seite muss man natürlich auch aufpassen, dass nicht diktatorische Machthaber oder Regierungen die Sportveranstaltungen für sich funktionalisieren und eben im Sinne von Propaganda ausnutzen, wie das so zusagen in ferner Vergangenheit 1936 von Deutschland und den Nazis ja auch getan wurde, wo Olympia im Grunde als Friedensfest noch mal dargestellt wurde und im Hintergrund hat man aufgerüstet und den Zweiten Weltkrieg geplant. Aber ich finde trotz allem - ich will das nicht runter spielen - eine solche Situation ist zum Beispiel jetzt in der Ukraine nicht gegeben.

Deutschlandradio Kultur: Sportliche Großereignisse werden gern unabhängig von Fragen der political correctness an exotische Orte vergeben. Wir haben dieses Thema schon kurz gestreift. Dahinter steht natürlich, neue Märkte zu erschließen für diese Sportart. Man denke nur an die WM 2022 in Katar, was ich für ziemlich verrückt halte, aber eben auch die EM in Polen und der Ukraine oder die WM in Russland.

Ist der internationale Fußball da nicht längst auf einem unguten Weg? Wo soll das noch hinführen, wenn wir es nur noch unter diesen kommerziellen Aspekten sehen?

Marco Bode: Ich würde gern noch mal diesen Gedanken einmal kurz zurückgehen, weil: Was natürlich auch noch ein wichtiger Punkt ist bei der Vergabe von Großevents im Bereich das Sports, ist, dass die Art der Vergabe natürlich auch zu kritisieren ist. Allso, dass da aus meiner Sicht heraus eben sehr wenig Transparenz vorhanden ist, geschweige denn demokratische Verfahren, die überprüfbar wären. Das ist ein Punkt, mit dem man sich schon beschäftigen sollte.

Also, wenn der Entscheidungsprozess der Vergabe wirklich demokratisch stattfindet, dann ist es auch legitim zu sagen: Wenn die Mehrheit dafür ist, okay, dann haben wir eine WM in Katar. Nur man hat ja den Eindruck, dass diese Entscheidung nicht demokratisch entstanden ist. Und das ist eigentlich das größere Problem. Mal abgesehen davon, dass da natürlich faktische Probleme in Katar sind: klimatisch, es gibt keine Stadien, das Land ist sehr klein. Es gibt natürlich im Grunde auch zu wenig Bevölkerung, keine Fußballtradition und Kultur. Da muss man sicherlich, finde ich, noch viel stärker darauf achten, dass man in dieses System Transparenz hineinbringt, insbesondere im Fußball. Aber auch bei Olympischen Spielen war das in der Vergangenheit ja häufig sehr problematisch.

Was nun den immer weiter zunehmenden Kommerz im Sport angeht, da war meine Haltung schon immer leicht kritisch, obwohl ich jetzt ja auch zum Beispiel beruflich viel damit zu tun habe, wie der Sport auch kommunikativ genutzt werden kann und wie man zum Beispiel Sponsorings aktivieren kann. Das sind ja Dinge, die wir hier auch in der Agentur machen.

Trotz allem würde ich für mich beanspruchen, dass ich da immer noch eine kritische Grundhaltung habe und man eben nicht alles machen darf, nur weil es noch mehr Geld bringt. Sondern es irgendwo auch noch Sinn machen soll und man darüber hinaus eben im Hinterkopf behalten sollte, dass der Sport ja auch Werte vermitteln kann an Menschen, die gar nichts mit der Kommerzialisierung zu tun haben, sondern die eher auch jungen Menschen so ein bisschen Richtung und Orientierung geben können und wo eben die Sportler auch noch Vorbilder sein können.

Ich weiß, dass das in vielen Fällen inzwischen nicht mehr der Fall ist. Aber ich liebe nach wie vor den Sport und setze mich halt auch immer noch dafür ein, dass man das nicht völlig aus dem Blick verliert. Denn der Fußball ist nicht an sich gut oder schlecht, sondern es kommt darauf an, was wir aus ihm machen. Es gibt Betrug. Es gibt Doping. Es gibt Gewalt im Fußball, aber es gibt trotz allem auch viele positive Dinge, die man daraus ableiten kann.

Deutschlandradio Kultur: Gibt es denn für Sie Grenzen der Vermarktung?

Marco Bode: Ja, es gibt viele Grenzen. Als Beispiel fällt mir ein, dass ja auch zum Beispiel im Fußball wiederum hier und da mal diskutiert wurde, an den Regeln noch verstärkt zu drehen, um weitere Vermarktungsflächen zu bekommen. Also aus zwei Halbzeiten vier Viertel zu machen, Auszeiten einzuführen für Werbeunterbrechungen und so weiter und so weiter. Da bin ich schon sehr konservativ und sage: Wir müssen darauf achten, dass wir jetzt im Marketing das Kernprodukt nicht kaputt machen, sondern eben da so zusagen an den Dingen festhalten, die im Kern wichtig sind an diesem Sport. Und da sind die Regeln natürlich das Allererste.

Deutschlandradio Kultur: Welchen Anteil haben die Medien an dieser doch relativ unguten Entwicklung, dass die Schraube eigentlich schon überdreht ist?

Marco Bode: Die Medien sind immer Verstärker von sowieso schon existierenden Prozessen und Entwicklungen und führen natürlich dazu, dass dieses Rad häufig noch etwas schneller gedreht wird als bis dahin. Wir haben ja ganz generell, glaube ich, alle das Gefühl, dass wir in einer Welt leben, die sehr beschleunigt funktioniert inzwischen und wir auch Probleme haben, den immer neuen Entwicklungen überhaupt noch zu folgen - seien es jetzt Entwicklungen im Bereich social media, also soziale Netzwerke. Das sind ja auch Phänomene, die im Sport immer größere Bedeutung bekommen. Twitter, Facebook, YouTube sind alles Netzwerke, wo Sport heute auch extrem stattfindet, in Amerika wiederum noch mehr als hier. Vieles schwappt rüber. Manches kann sich in Europa nicht durchsetzen, aber da sind die Medien so zusagen Verstärker von Phänomenen, die schon da sind.

Deutschlandradio Kultur: Mit Profifußball lässt sich ja heutzutage sehr, sehr viel Geld verdienen. Die deutsche Fußballliga hat vor kurzem gerade erst einen Fernsehvertrag ab der Saison 2013/ 2014 über vier Spielzeiten für die neue Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro ausgehandelt. Aus Ihrer Sicht: Ist das gut? Ist das positiv für die Entwicklung des deutschen Profifußballs oder könnte es auch passieren, wie in anderen europäischen Top-Ligen, dass jetzt auch die Bundesligisten über ihre Verhältnisse leben und möglicherweise dann in eine ähnliche Schuldenfalle geraten, wie das in England, Spanien und Italien der Fall ist?

Marco Bode: Es kommt jetzt darauf an, wie auch die Vereine damit umgehen. Letztendlich muss man sich ja mal vergegenwärtigen, dass sich in der Wettbewerbssituation der Vereine relativ wenig ändert. Wir haben ja in Deutschland - Gott sei Dank, sag ich mal - eine Situation, dass die zusätzlichen Gelder generell einigermaßen gleichmäßig auf alle Vereine verteilt werden mit dem Grundgedanken dahinter, möglichst viel Wettbewerb auch zu haben. Trotzdem geht natürlich zwischen Bayern-München und dem SC Freiburg - jetzt nur als Beispiele - die Schere sehr weit auseinander.

Durch jetzt zusätzliches Geld oder noch höhere Einnahmen ändert sich am Prinzip erstmal gar nichts, denn alle Vereine haben ja etwas mehr Geld zur Verfügung. Das wird, wenn es nur in Spieler investiert wird, natürlich dazu führen, dass am Ende die Vereine möglicherweise noch mehr Geld ausgeben können, um einen bestimmten Spieler zu bekommen. Aber das kann der andere Club ja auch. Das heißt, am Ende profitieren wahrscheinlich vor allem die Spieler davon und Spielerberater, mag man vielleicht so zusagen kritisch anmerken.

Es ist aber auch für mich eine Chance der Vereine, dieses Geld möglicherweise auch anders einzusetzen. Also, man kann das ja auch sehr wohl zum Beispiel in eine verstärkte Talentförderung investieren. Man kann in Nachwuchsleistungszentren Infrastrukturen schaffen, die man sich bisher möglicherweise nicht leisten konnte. Da ist also schon auch eine gewisse strategische Bandbreite möglich, wie man mit dem Geld umgeht. Oder auch vorher gemachte Schulden abbauen, obwohl ich da gewisse Zweifel habe, dass das viele tun werden, aber es wäre zumindest eine Möglichkeit. Und ich hoffe, dass die Vereine sich da auch wirklich Gedanken machen, wie dieses Geld sinnvollerweise für die nächsten Jahre einzusetzen ist.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, Sie waren ja in mancherlei Hinsicht ein etwas anderer Profi, Sie sind beispielsweise erst mit 26 Nationalspieler geworden. Andere werden es viel eher, heutzutage sowieso. Zum anderen hatten Sie, wenn das richtig ist, was man liest, nie einen Berater, nie einen Manager. Sie haben alle Ihre Verträge selbst ausgehandelt, allerdings - auch das eine Besonderheit - Sie haben Ihre gesamte Karriere bei einem Verein verbracht, nämlich bei Werder Bremen.

Wäre das heute auch noch möglich, dass der Profi Marco Bode ohne Manager, ohne Berater auskäme, wo alles noch einen ganzen Tick kommerzieller geworden ist?

Marco Bode: Ich denke, ja. Auch zu meiner Zeit hatten fast alle Kollegen einen Berater. Und dagegen ist ja auch prinzipiell nichts zu sagen. Ich will jetzt nicht allen Fußballprofis raten, auf den Berater zu verzichten. Ich habe das für mich - wie Sie sagten, natürlich auch aus einer besonderen Situation heraus, dass ich nur für Werder gespielt habe - so entschieden und habe dadurch auch sehr viel gelernt. Also, die Verhandlungen und Gespräche mit Managern selbst zu führen, hat mich sicherlich auch menschlich weiter gebracht, weil: Das sind Situationen, an denen man auch wächst. Und ich habe ja, obwohl ich nur für Werder gespielt habe, auch mit dem einen oder anderen Club mal gesprochen.

Und dann ist es einfach auch ein gutes Gefühl, so zusagen den Mut zu entwickeln, seine Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Aber gute Berater können sicherlich auch sehr wichtig sein für Spieler.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja in Ihrer aktiven Zeit damals die Einkommen von Profifußballern mal mit dem Rest der Berufswelt verglichen. Da haben sie das Beispiel der Krankenschwester gebracht und haben gesagt, das Verhältnis wäre absurd. Die Einkünfte heute sind noch mal gestiegen. Ist das Ganze noch absurder geworden damit?

Marco Bode: Ja, zunächst mal bin ich nicht mit dieser These an die Öffentlichkeit gegangen, sondern ich wurde das in einem Interview gefragt. Die konkrete Frage war: Wie schätzen Sie in Relation zum Gehalt einer Krankenschwester das Gehalt von Fußballprofis ein? Und daraufhin habe ich gesagt: In Relation dazu sind unsere Gehälter absurd. Und dazu stand ich damals und dazu stehe ich auch heute, weil, das ist fast trivial das zu sagen, weil die Leistung der Krankenschwester und die Leistung des Fußballprofis so unterschiedlich honoriert wird in unserer Gesellschaft, dass das eigentlich nur als absurd zu bezeichnen ist.

Trotzdem habe ich auch damals schon gesagt: Es ist ja legitim für die Profis und für mich damals ja auch. Ich habe das Geld ja auch angenommen und habe ja auch Verhandlungen geführt, um möglichst viel für mich rauszuholen. Also, es ist ja legitim, das jetzt individuell auszunutzen. Aber trotzdem stimmt das Verhältnis natürlich nicht nur dort nicht, ja an vielen Stellen stimmen ja die Leistung und die Honorierung in finanzieller Art nicht unbedingt überein.

Das ist sicherlich noch mehr geworden. Die Durchschnittsgehälter in der Bundesliga sind sicher noch mal gestiegen. Aber gibt es eine Steigerung von "absurd"? Ich weiß nicht. Also, es ist immer noch genauso absurd, kann man sagen. Und, wie gesagt, ich habe das aber nicht aktiv für mich als These formuliert, sondern es ist nur für mich wichtig gewesen, daraus etwas abzuleiten, nämlich das, dass wir uns als Profis nicht, weil wir so viel Geld bekommen, auch so wichtig nehmen sollten. Sondern ich habe halt immer versucht, für mich daraus abzuleiten: Bleib ein normaler Mensch und ordne das ein. Nimm das als großes Privileg, dieses Geld, und als große Chance, aber glaub nicht, dass du irgendwie - so zusagen deswegen - mehr wert bist.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, die allerwichtigste Frage ganz zum Schluss: Aus berufenem Munde eine Prognose, wer wird denn Fußballeuropameister?

Marco Bode: Ja, das weiß ich natürlich auch nicht. Wir haben im Champions-League-Finale gesehen, dass manchmal der Bessere gewinnt, aber manchmal eben auch nicht. Ich hoffe, dass die Deutschen um den Titel mitspielen. Wir haben einige großartige Turniere schon gespielt, die WM 2010, auch bei der Europameisterschaft 2008 und 2006, die WM im eigenen Land. Also, wir hätten es eigentlich mal verdient. Und ich hoffe, dass es diesmal gelingt.

Deutschlandradio Kultur: Ganz herzlichen Dank, Herr Bode. Sie haben es übrigens nicht erwähnt, dass sie 2002 Vizeweltmeister waren mit der deutschen Mannschaft. So lange ist das ja auch noch nicht her.

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