"Die Täter sind immer Gewinner"
Mit einer neuen Sicherheitsarchitektur will die Bundesregierung Terror und Amok begegnen. Der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer ist skeptisch, ob das funktioniert. Denn Täter, die aus dem eigenen Tod einen Gewinn zögen, setzten die Sicherheitsparameter außer Kraft.
Natürlich sei es aus psychologischen Gründen notwendig und sinnvoll zu demonstrieren, dass man nach den jüngsten Anschlägen etwas gegen die Verunsicherung in der Bevölkerung tun wolle, sagt der Gewalt- und Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer. Auf der anderen Seite sei der Ausbau der Sicherheitsarchitektur aber auch ein Problem.
"Denn wir haben es ja mit einem Sicherheitsparadoxon zu tun, und das besteht darin, dass je größer der Sicherheitsapparat ausgebaut wird, desto mehr Sicherheitslücken entdeckt man gleichzeitig auch wieder."
Sicherheitsbehörden und Terroristen "lernen" voneinander
Außerdem habe man es mit "lernenden Systemen" zu tun. "Die Sicherheitsagenturen lernen von den Attentätern, aber die Attentäter lernen auch von den Sicherheitsbehörden und deren Apparaten", betont Heitmeyer.
"Denken Sie beispielsweise an Nizza, wo die Alltagswaffe Lastwagen plötzlich auf der Attentatsbühne erschienen ist. Oder denken Sie an die Kirche jetzt in Frankreich, also Orte, die bisher als moralisch geschützt galten."
Insofern müsse man mit einer Erfolgsgarantie vorsichtig sein.
Kollektive Demütigung als Triebkraft des islamistischen Terrors
Schwierig werde es besonders im Fall des islamistischen Terrors. "Hier sind es kollektive Demütigungen und daraus eine kultivierte Opferrolle, die mit moralischer Überlegenheit verbunden ist, die dann wiederum als Legitimation dient, um über das Leben anderer zu entscheiden", betont Heitmeyer.
"Die Täter sind immer Gewinner, gerade im Tod, etwa wenn es sich um islamistische Täter handelt, die daraus dann noch einen Gewinn ziehen."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Die Täter verhöhnen das Land, das sie aufgenommen hat", das hat Angela Merkel gestern in einer Pressekonferenz gesagt und ging damit auf die Attentäter der letzten Tage hierzulande, von Würzburg, von München, von Ansbach ein, um hernach einen Neunpunkte-Sicherheitsplan ins Gespräch zu bringen. Aber was nutzt der, und womit haben wir es bei diesen Taten eigentlich zu tun?
Am Telefon ist jetzt der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der viele Jahre die deutschen Zustände untersucht hat und seine Forschungsergebnisse über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit veröffentlicht hat. Schönen guten Morgen!
Wilhelm Heitmeyer: Guten Morgen!
von Billerbeck: Amok, Attentat, Terror – wie wichtig ist es eigentlich hier, begrifflich zu unterscheiden?
Heitmeyer: Es ist schon sehr wichtig. Ich spreche deshalb auch nicht über Einzeltatbestände in München, Würzburg und Ansbach. Das sollte ein Wissenschaftler nie tun, denn die Umstände verändern sich ja immer mit neueren Erkenntnissen. Es geht darum, die Wissensbestände, die im Rahmen, Kontext eigener Forschung und auch von Wissenschaftlern da sind, zu nennen. Und da muss man sehr deutlich sagen, dass Amok, Attentate und Terror schon unterschiedlich sind.
Amok: einmaliger Überlegenheitsakt eines Unterlegenen
Beim Amok geschieht ja Gewalt in einem sozialen Kontext gegen namentlich nicht bekannte Opfer. Da sehen wir in unseren Forschungen, dass es sich um einen doppelseitigen Kontrollverlust handelt. Beim Täter ist es der Verlust der Kontrolle über das eigene Leben, und es sind individuelle negative Anerkennungsbilanzen gegenüber der sozialen Umwelt.
Auf der anderen Seite hat die soziale Umwelt einen Kontrollverlust, weil wir die Trigger Causes, also die Auslöser nicht kennen, weil vielfach erlittene Unterlegenheit in einen einmaligen Überlegensakt verwandelt werden sollen, bis hin zur öffentlichen Unsterblichkeit. Bei Attentaten sind es in der Regel Dinge, die auf Eliten zielen, und zwar ganz gezielt auf Personen.
Beim Terror ist es wieder der politische Kontext, der entweder verbrämt wird für die Tat oder fester Bestandteil von Überzeugungen sind. Und hier sind es kollektive Demütigungen und daraus eine kultivierte Opferrolle, die mit moralischer Überlegenheit verbunden ist, die dann wiederum als Legitimation dient, um über das Leben anderer zu entscheiden.
Aus dem eigenen Tod Gewinn ziehen
von Billerbeck: Also haben wir damit erst mal die Begriffe geklärt. Trotzdem hören wir ja in den letzten Tagen gerade von Politikern sehr oft den Begriff Terror und Terroristen. Und da könnte man ja unterstellen, dass diese Begriffsverwirrung nicht zufällig ist, sondern gezielt eingesetzt wird. Denn gegen Terror kann man Aktionismus zeigen, gegen Amoktaten beispielsweise schlicht nicht.
Heitmeyer: Das ist richtig, denn ich hatte ja schon gesagt, bei Amok sind es in der Regel individuelle Gründe, die dazu führen und die Trigger Causes, die Auslöser sind nicht bekannt. Beim Terror ist es in der Tat so, dass es ja kollektive Demütigungen sind, die dort in der Welt sind.
Gleichzeitig ist aber beim Terror auch ein Kontrollverlust einzuräumen. Der besteht ja darin, dass die traditionellen Parameter der Risikoabschätzung etwa durch die Täter außer Kraft gesetzt sind. Die Täter sind immer Gewinner, gerade im Tod, etwa wenn es sich um islamistische Täter handelt, die daraus dann auch noch einen Gewinn ziehen.
"Man muss vorsichtig sein mit einer Erfolgsgarantie"
von Billerbeck: Nun hat die Kanzlerin gestern einen Neunpunkteplan bekannt gegeben oder in Aussicht gestellt, sagen wir mal. Für mehr Sicherheit soll der sorgen. Meinen Sie, dass das klappt, oder ist das nur eine hilflose Aktion gegen den Kontrollverlust, von dem Sie eben gerade gesprochen haben?
Heitmeyer: Ja, auf der einen Seite ist das aus psychologischen Gründen natürlich notwendig und sinnvoll, zu zeigen, dass man gegen die Verunsicherung in der Bevölkerung vorzugehen gedenkt und das nicht alles schleifen lässt. Gleichzeitig ist aber der Ausbau, so wie ich das verstanden habe mit dem Neunpunkteplan, der Ausbau der Sicherheitsarchitektur durch die Bundeskanzlerin, durch die Bundesregierung, gleichzeitig aber auch ein Problem, denn wir haben es ja mit einem Sicherheitsparadoxon zu tun. Das besteht darin, dass je größer der Sicherheitsapparat ausgebaut wird, desto mehr Sicherheitslücken entdeckt man gleichzeitig auch wieder.
Denn wir haben es ja mit lernenden Systemen zu tun. Das heißt auf der einen Seite, die Sicherheitsagenturen lernen von den Attentätern, aber die Attentäter lernen auch von den Sicherheitsbehörden und deren Apparaten. Also, dieses lernenden Systeme sind es, die da uns Schwierigkeiten bereiten.
Denken Sie beispielsweise an Nizza, wo die Alltagswaffe Lastwagen plötzlich auf der Attentatsbühne erschienen ist. Oder denken Sie an die Kirche jetzt in Frankreich, also Orte, die bisher als moralisch geschützt galten. Man muss vorsichtig sein mit einer Erfolgsgarantie, die, und das betonen ja alle, nicht zu geben ist.
Gesellschaftliche Ursachen von Amok in den Blick nehmen
von Billerbeck: Das heißt, es gibt keine Antworten auf den Terror? Das ist doch für die Politik unerträglich. Das heißt doch, wir können nichts tun.
Heitmeyer: Doch, sicherlich kann man etwas tun, aber das sind ja eher gesellschaftliche Vorgänge und nicht so sehr Sicherheitsvorgänge. Denken Sie, selbst bei den Amokläufern geht es, selbst wenn wir unsere Erkenntnisse zum Gegenstand nehmen von Überlegungen, dass es nicht darum gehen kann, wie es häufig passiert, dass es personalisierende Ursachenzuschreibung durch psychologische, psychische Erkrankungen gibt. Damit entlastet man auch Gesellschaft und nimmt nicht wahr, was im sozialen Umfeld dieser Menschen passiert im Hinblick auf diese Kontrollverluste. Schwieriger ist es in der Tat, etwa beim islamistischen Terror, weil dort eben dieser Kontrollverlust durch die Heilserwartung im Tod eine Rolle spielt, also dass selbst diese Sicherheitsparameter einfach völlig außer Kraft sind – das wird schwierig.
von Billerbeck: Das sagt Wilhelm Heitmeyer, der Bielefelder Soziologe, nach der gestrigen Pressekonferenz von Angela Merkel zu den Anschlägen und ihrem Sicherheitskonzept. Ich danke Ihnen!
Heitmeyer: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.