Gewinne jetzt, Zukunft später
Der Politikwissenschaftler Klaus Leggewie und der Sozialpsychologe Harald Welzer fordern in ihrem Buch "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten" angesichts von Wirtschafts- und Klimakrise ein radikales Umdenken. Sie appellieren dabei vor allem an das Bürgertum.
Der Refrain eines R.E.M. Songs gab dem Buch seinen Titel. "It's the end of the world as we know it (and I feel fine)". Das trifft den Kern und Tenor des Buches: So kann es nicht weitergehen, und das ist gut so. Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von attac, hat sich in zahlreichen Publikationen zu Demokratiedefiziten, Rechtsradikalismus, Globalisierung geäußert. Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie der Uni Witten-Herdecke, hat sich vor allem mit der Vergangenheitsbewältigung befasst, aber auch mit dem Klimawandel. Es ist ihr erstes gemeinsames Buch.
Wirtschaftskrise, Klimakrise, Ressourcenknappheit, Artensterben, Demokratieverdrossenheit – die Analyse des derzeitigen Zustandes der westlichen Demokratien fällt verheerend aus. Die beiden Autoren trauen dem Kapitalismus westlicher Prägung nicht zu, Lösungswege zu finden. Ihre Argumentation ist schlüssig und nachvollziehbar. Genauso überzeugend begründen sie allerdings auch, warum autoritär-diktatorische Regime wie China keine Alternative sind.
Dabei ist nicht nur eine Krise zu lösen, sondern gleich ein ganzes Bündel, eine Metakrise unter dem Oberbegriff Klimawandel. Ein Wirtschaftssystem, darin sind sich die beiden Autoren auch einig, das allein im Wachstum sein Heil sucht, forciert damit nur seinen Untergang. Kurzzeitdenken beherrscht Politik wie Wirtschaft. Politiker sehen nicht über die nächste Legislaturperiode hinaus, Unternehmen planen vierteljährlich. Gewinne jetzt. Zukunft später.
Unverständlich, warum die Autoren das Verständnis ihrer Gedankengänge durch allzu viele Fremdwörter unnötig erschweren. Offenkundig richtet sich das Buch an das Bildungsbürgertum. Das ist umso bedauerlicher, als die Autoren für viele der Widersprüche, die unser Handeln auszeichnen, nachvollziehbare und einleuchtende Erklärungen finden. Ihren Einsichten wäre ein breites Publikum durchaus zu wünschen. Vor allem ihr Analyseansatz überzeugt, denn die Autoren verknüpfen sozialpsychologische Erkenntnisse mit Einsichten aus der Verhaltensforschung, begründen kulturgeschichtlich irrationale Denkmuster, die unter anderem erklären, warum wir oftmals wider bessere Einsicht handeln.
Für umso wichtiger halten der Politikwissenschaftler Klaus Leggewie und der Sozialpsychologe Harald Welzer ein kulturelles Umdenken, das die Transformation der Gesellschaft erlaubt, eine dritte industrielle Revolution ähnlich wie den Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft auslöst. Sie setzen dabei auf den mündigen Bürger, der der Politik durchaus Beine machen kann.
Als erfolgreiche Beispiele nennen sie u.a. die 68-er und 89-er Revolte, die Antiatomkraft- oder Umweltbewegung. Die Titelüberschrift "Apo 2.0 oder Bürger auf die Barrikaden" zeigt die Zielrichtung. Allerdings geht es diesmal nicht um die Verwirklichung totalitärer Gesellschaftsmodelle. "Die Apo 2.0", so schreiben sie, "zielt auf die Renaissance des Gemeinwesens. Sie ist keine Organisation, sondern eine Haltung." Es ist die Haltung der Verweigerung. Und sie beginnt im Kleinen.
Bereits im Alltag beim Einkauf lässt sich an der Kasse Umweltbewusstsein zeigen. Die Autoren setzen hier auf die gut verdienende, gut ausgebildete Mittelschicht, die durch ihr Verhalten Zeichen setzen kann. Schon heute engagieren sich viele in Vereinen und nichtstaatlichen Organisationen für das Gemeinwohl. Wenn ein Wir-Gefühl, eine "Wir-Identität" wichtiger wird als Erfolg, Status und Besitz, könnte die Transformation der Gesellschaft, so die Autoren optimistisch, und als deren Ergebnis die Klimawende gelingen. Das aufgeklärte Bürgertum der westlichen Demokratie als Retter der Welt – da darf man wohl schon ein paar Fragezeichen setzen. Dennoch eine gelungene Anregung, die konventionellen Schuldzuweisungen zu überdenken und selbst aktiv zu werden.
Besprochen von Johannes Kaiser
Claus Leggewie/Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten,
S. Fischer Verlag, 278 Seiten, 19,95 Euro
Wirtschaftskrise, Klimakrise, Ressourcenknappheit, Artensterben, Demokratieverdrossenheit – die Analyse des derzeitigen Zustandes der westlichen Demokratien fällt verheerend aus. Die beiden Autoren trauen dem Kapitalismus westlicher Prägung nicht zu, Lösungswege zu finden. Ihre Argumentation ist schlüssig und nachvollziehbar. Genauso überzeugend begründen sie allerdings auch, warum autoritär-diktatorische Regime wie China keine Alternative sind.
Dabei ist nicht nur eine Krise zu lösen, sondern gleich ein ganzes Bündel, eine Metakrise unter dem Oberbegriff Klimawandel. Ein Wirtschaftssystem, darin sind sich die beiden Autoren auch einig, das allein im Wachstum sein Heil sucht, forciert damit nur seinen Untergang. Kurzzeitdenken beherrscht Politik wie Wirtschaft. Politiker sehen nicht über die nächste Legislaturperiode hinaus, Unternehmen planen vierteljährlich. Gewinne jetzt. Zukunft später.
Unverständlich, warum die Autoren das Verständnis ihrer Gedankengänge durch allzu viele Fremdwörter unnötig erschweren. Offenkundig richtet sich das Buch an das Bildungsbürgertum. Das ist umso bedauerlicher, als die Autoren für viele der Widersprüche, die unser Handeln auszeichnen, nachvollziehbare und einleuchtende Erklärungen finden. Ihren Einsichten wäre ein breites Publikum durchaus zu wünschen. Vor allem ihr Analyseansatz überzeugt, denn die Autoren verknüpfen sozialpsychologische Erkenntnisse mit Einsichten aus der Verhaltensforschung, begründen kulturgeschichtlich irrationale Denkmuster, die unter anderem erklären, warum wir oftmals wider bessere Einsicht handeln.
Für umso wichtiger halten der Politikwissenschaftler Klaus Leggewie und der Sozialpsychologe Harald Welzer ein kulturelles Umdenken, das die Transformation der Gesellschaft erlaubt, eine dritte industrielle Revolution ähnlich wie den Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft auslöst. Sie setzen dabei auf den mündigen Bürger, der der Politik durchaus Beine machen kann.
Als erfolgreiche Beispiele nennen sie u.a. die 68-er und 89-er Revolte, die Antiatomkraft- oder Umweltbewegung. Die Titelüberschrift "Apo 2.0 oder Bürger auf die Barrikaden" zeigt die Zielrichtung. Allerdings geht es diesmal nicht um die Verwirklichung totalitärer Gesellschaftsmodelle. "Die Apo 2.0", so schreiben sie, "zielt auf die Renaissance des Gemeinwesens. Sie ist keine Organisation, sondern eine Haltung." Es ist die Haltung der Verweigerung. Und sie beginnt im Kleinen.
Bereits im Alltag beim Einkauf lässt sich an der Kasse Umweltbewusstsein zeigen. Die Autoren setzen hier auf die gut verdienende, gut ausgebildete Mittelschicht, die durch ihr Verhalten Zeichen setzen kann. Schon heute engagieren sich viele in Vereinen und nichtstaatlichen Organisationen für das Gemeinwohl. Wenn ein Wir-Gefühl, eine "Wir-Identität" wichtiger wird als Erfolg, Status und Besitz, könnte die Transformation der Gesellschaft, so die Autoren optimistisch, und als deren Ergebnis die Klimawende gelingen. Das aufgeklärte Bürgertum der westlichen Demokratie als Retter der Welt – da darf man wohl schon ein paar Fragezeichen setzen. Dennoch eine gelungene Anregung, die konventionellen Schuldzuweisungen zu überdenken und selbst aktiv zu werden.
Besprochen von Johannes Kaiser
Claus Leggewie/Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten,
S. Fischer Verlag, 278 Seiten, 19,95 Euro