Gewinner und Verlierer des Freihandels

Piräus - auf der Drehscheibe der neuen Seidenstraße

31:26 Minuten
In Hafen von Piräus stapeln sich Container
Die chinesische Reederei COSCO ist eine der größten der Welt: Sie betreibt in Griechenland den Hafen von Piräus. © picture alliance / Angelos Tzortzinis
Von Caspar Dohmen |
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Freihandel ist gut: Dieses über 200 Jahre alte Mantra bestimmt die Wirtschaftstheorie bis heute. Ob das in der Praxis für alle aufgeht, zeigt ein Blick in den Hafen von Piräus – der in der Exportstrategie Chinas eine zentrale Rolle spielt.
In drei Buchten haben die Griechen in der Antike den Hafen von Piräus angelegt. Der Sitz der Hafengesellschaft ist in der größten. In den Fensterflächen des glänzend weißen Gebäudes spiegeln sich das blaue Meer und ein Kreuzfahrtschiff. Am Eingang steht ein Blitze schleudernder dynamischer Zeus, der höchste Gott des griechischen Olymp.
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Chinas neue Seidenstraße© Katapult / Deutschlandradio
Wie sieht es in der Praxis aus, wenn auch geostrategische Machtüberlegungen eine Rolle spielen? Der Hafen von Piräus ist die ideale Arena um diese Fragen zu diskutieren. Er spielt eine zentrale Rolle in dem Megaprojekt Seidenstraße, mit dem China seinen Handel ausweiten will.
Der britische Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo veröffentlichte vor 200 Jahren seine grundlegende Begründung der Vorteile des Freihandels. Was passiert, wenn man das Ganze auf die chinesische Exportstrategie anwendet? Wer profitiert von der neuen Seidenstraße und wer verliert? Verfechter und Kritiker des Freihandels finden etwa im Hafen von Piräus eine ideale Arena um alten Fragen neu zu stellen.
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Die alte Seidenstraße© Katapult / Deutschlandradio

Manuskript zur Sendung:

Ein Lastenkran greift von dem Riesenschiff Tampa Triumph einen von den abertausenden Containern und hievt ihn auf den Kay herunter. Wie Bauklötze stapeln sich grüne, graue, blaue und silberne Standardcontainer mit den Schriftzügen der großen Reedereien: Evergreen, Italia, Hapag Lyold, Maersk oder COSCO. Container sind das Symbol für den weltumspannenden Handel mit Gütern, der seit dem Jahr 1950 sagenhaft um mehr als das 250-fache gestiegen ist.
"Bei jedem klugen Hausvater ist es eine Regel niemals etwas im Hause machen zu lassen, was ihn weniger kosten würde, wenn er es kaufte." (Adam Smith)
"Eine Ausweitung des Handels mit anderen Ländern wird den Wert eines Landes nicht sofort erhöhen, aber sie wird auf Dauer sehr stark dazu beitragen, die Masse der Güter zu erhöhen und damit auch die Summe der Genüsse." (David Ricardo)
Ricardo hatte messbar recht mit der Mehrung des Wohlstands. Aber bei dessen Verteilung gibt es Gewinner und Verlierer. Zu den größten Gewinnern zählt derzeit China und es soll weitergehen. Das Land will sich durch das Megavorhaben der neuen Seidenstraße noch weitere Anteile am Weltmarkt sichern, indem es Handelsrouten ausbaut. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Seeverbindung durch den Suezkanal und das Mittelmeer bis zum ersten Tiefseehafen auf europäischer Seite: Piräus, dem Hafen von Athen.

Piräus als Drehkreuz der neuen Seidenstraße

Nektarios Demenopoulos aus der Kommunikationsabteilung der Hafengesellschaft kurvt mit seinem Kleinwagen durch die Containerschluchten. Viel hat sich verändert, seitdem die Chinesen hier den Betrieb übernommen haben. Es gibt riesige Kräne, neue Hubwagen, mehr Ladeflächen und Anlegemöglichkeiten. Je schneller Schiffe entladen werden, desto kürzer verweilen sie im Hafen – das ist bares Geld für die Reeder und ein zentraler Wettbewerbsfaktor für einen Hafen. Plötzlich bläst der Manager zum Aufbruch.

In drei Buchten haben die Griechen in der Antike den Hafen von Piräus angelegt. Der Sitz der Hafengesellschaft ist in der größten. In den Fensterflächen des glänzend weißen Gebäudes spiegeln sich das blaue Meer und ein Kreuzfahrtschiff. Am Eingang steht ein Blitze schleudernder dynamischer Zeus, der höchste Gott des griechischen Olymp. Nur zwei rote chinesische Lampions erinnern am Eingang an die neuen Betreiber. Hafendirektor Captain Fu Chengqiu, 68 Jahre alt und schlohweißes Haar, wartet bereits mit drei Kollegen und empfängt mit einem festen Händedruck.

Seit 2010 hat Captain Fu – eine Mischung aus Pionier, Manager und Krieger - das Kommando im Hafen. Er hat den dramatischen Wandel des Landes erlebt. Als Fu als junger Mann Ende der 1960er-Jahre bei der chinesischen Luftwaffe diente, war das Land noch wirtschaftlich abgekapselt. Als China sich unter Deng Xiao Ping ab 1978 für die Weltwirtschaft öffnete, war er Kapitän. Als sein Heimatland zu einer globalen Wirtschaftsmacht aufstieg, arbeitete er als Manager in Italien.
Captain Fu und Autor Caspar Dohmen
Captain Fu und Autor Caspar Dohmen. Seit 2010 hat der Chinese das Kommando über den Hafen.© Caspar Dohmen
Als China mit dem Jahrhundertprojekt einer modernen Seidenstraße begann, übernahm Captain Fu die wichtige Aufgabe in Piräus. Chefs chinesischer Staatskonzerne geben westlichen Journalisten eigentlich keine Interviews. Aber dem lokalen Chef Captain Fu scheint es fern der Heimat erlaubt zu sein. Er präsentiert er sich diplomatisch und wechselt bei der Beantwortung der Fragen schnell ins Chinesische, lässt sich dolmetschen.

Vom Eroberer zum Investor?

COSCO, eine der größten Reedereien der Welt, sei wegen der guten geografischen Lage am Hafen interessiert gewesen. Die Märkte in Europa, am Schwarzen Meer und im Nahen Osten sind gut erreichbar. COSCO erwarb 2009 die Konzession für den Betrieb eines Containerterminals, später für den gesamten Hafen. Captain Fu ist also auch für das Geschäft mit Fähren, Kreuzfahrschiffen sowie den Autoverladehafen verantwortlich. Über sich selbst redet Captain Fu nicht, auch sonst erteilt er immer wieder seinem griechischen Kollegen Tassos Vamvakidis das Wort.

COSCO sei als Investor gekommen und nicht als Eroberer wie viele anfangs gedacht hätten. Mittlerweile hat sich die Stimmung beruhigt, werden die Chinesen von der linken griechischen Regierung als Investoren willkommen geheißen. Im Flur der Hafenverwaltung reihen sich Fotografien von griechisch-chinesischen Begegnungen. Piräus ist für die Chinesen ein wichtiger Kreuzungspunkt ihres Projekts einer Seidenstraße der Neuzeit.
Über tausende Kilometer sollen Handelskorridore über Wasser und Land nach Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa ausgebaut werden: Schienenwege, Pipelines, Stromleitungen, Containerterminals und Häfen. China hat eine neue Weltwirtschaftskarte entworfen, sich selbst im Zentrum. Aber darüber will Captain Fu nicht reden.
Sie seien Geschäftsleute und keine Politiker. Vielleicht reagiert er schmallippig, weil China in Europa zunehmend als wirtschaftliche Bedrohung wahrgenommen wird. Die Einparteiendiktatur sichert sich Rohstoffe und landwirtschaftliche Flächen in Afrika, kauft Technologieschmieden wie den Roboterhersteller Kuka in Deutschland und hat eine asiatische Entwicklungsbank angeschoben.
Frankreichs Präsident Emanuel Macron hat Anfang des Jahres vor einer neuen "Hegemonie" der Volksrepublik gewarnt. Die neue Seidenstraße von China nach Europa dürfe die Transitländer nicht "zu Vasallen" machen. Tatsächlich werden die meisten Projekte in den Transitländern mit Krediten aus China finanziert. Die Rückzahlung der Gelder dürfte manche Länder überfordern, sagt Jan Gaspers vom Mercator-Institut für Chinastudien: "Dann kann man natürlich dann um politische Gefälligkeiten bitten an der Stelle, anstatt harte Währung zu bekommen."
Auch Europa müsse auf der Hut sein: "Wir werden Marktanteile verlieren, wir Europäer, denn China erschließt sich da auch sehr systematisch mit seinen Infrastrukturprojekten Märkte und das wird auch auf Kosten von Europa und westlichen Unternehmen gehen, das ist ja ganz klar."
Weil sich die Chinesen die Rosinen aus dem Welthandel herauspicken, ist sogar die bisherige Handelsarchitektur der Welthandelsorganisation bedroht, bei der prinzipiell für alle gleiche Regeln gelten. Aber die teils hoch subventionierten chinesischen Staatskonzerne verfolgen mit Rückendeckung der Regierung langfristige strategische Ziele für China, während ihre westlichen Konkurrenten vor allem an eine Maximierung der Gewinne ihrer Aktionäre denken. Mittlerweile droht ein Handelskrieg zwischen den USA und Europa, während sich China als Hüter des Freihandels gebärdet, obwohl es ständig gegen dessen Regeln verstößt.
"Also wir dürfen auf gar keinen Fall China das Feld überlassen", sagt Jan Gaspers, "das wäre fatal. Und das ist auch wirklich was, was die Politiker der Bevölkerung wieder besser erklären müssen, dass Freihandel natürlich zu vielen Ungleichheiten in den letzten Jahren geführt haben, auch in der westlichen Welt. Aber wenn wir das Feld anderen überlassen, dass wir dann weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben und das Ganze noch andere dramatische Formen annehmen wird: für europäische Industrie, für das verarbeitende Gewerbe - da werden wir wirklich unschöne Zeiten erleben."
Europa steht vor schweren Entscheidungen: Soll es auf den freien Handel setzen oder sich gegen Chinas Vormarsch schützen? Lassen sich beide Ziele miteinander vereinbaren? Ist der Schaden durch den heutigen Freihandel bereits größer als der Nutzen?

Freihandel I

Alle Theorien zum freien Handel gehen auf den britischen Ökonomen David Ricardo zurück. Der Börsenmakler und Wissenschaftler stellte im 18. Jahrhundert eine Überlegung an: Ricardo wollte zeigen, warum sich für zwei Länder Freihandel selbst dann lohnt, wenn eines der beiden Länder Güter günstiger herstellen kann. Um dieses zentrale Argument in Ricardos Modell zu veranschaulichen, beschreibt der Ökonom Mathias Binswanger die Arbeitsteilung in einer Kanzlei:
"Warum soll der Anwalt eine Sekretärin anstellen, obwohl er schneller und besser Maschine schreiben kann als die Sekretärin. Die Antwort, die liegt eigentlich in den Opportunitätskosten: Also was entgeht dem Anwalt, wenn er selbst Briefe schreibt, er könnte ja in dieser Zeit eigentlich an seinen Fällen arbeiten, mit denen verdient er viel mehr Geld, also lohnt es sich eben für den Anwalt, wenn er diese Sekretärin anstellt. Er verdient dann entsprechend mehr Geld, er kann die Sekretärin bezahlen und hat dann immer noch zusätzliches Einkommen übrig. Und auf diese Weise profitieren sowohl die Sekretärin als auch der Anwalt."
Der Anwalt hat zwar einen absoluten Vorteil im Briefeschreiben, er kann das schneller als die Sekretärin. Umgekehrt hat er aber einen komparativen Nachteil im Briefeschreiben, weil ihm dadurch höhere Einnahmen anderweitig entgehen. Jetzt kann man den Anwalt ersetzen durch ein Land und die Sekretärin durch ein anderes Land und dann ergibt sich im Wesentlichen das Argument des komparativen Vorteils.
"Ricardo hat das Beispiel so formuliert", sagt Mathias Binswanger, "dass Portugal das überlegene Land war, es konnte sowohl Wein mit weniger Arbeitsstunden herstellen als auch Tuch, also Portugal hatte in beiden Gütern einen absoluten Vorteil, jetzt hat er aber argumentiert, dass Portugal einen komparativen Nachteil hat bei der Tuchherstellung, also das sollen sie den Engländern dann überlassen, weil sie könnten ja in der gleichen Zeit noch viel mehr Wein herstellen und würden dann entsprechend profitieren."
Später verfeinerten Ökonomen das Modell – aber prinzipiell beruht die ganze ökonomische Handelstheorie bis heute auf dem alten Modell von Ricardo, oft verkürzt auf die Parole: Freihandel ist gut, Protektionismus schlecht.
"Das ist ein sehr einfaches Argument", so Mathias Binswanger, "das wie eine Art Freipass für Freihandel verwendet werden kann, wenn man es in dieser reinen Form verwendet. Wenn ich nur die Kosten anschaue, dann stimmt das tatsächlich, dann ist Freihandel immer gut und Protektionismus ist schlecht, weil Freihandel dazu führt, dass man dort produziert, wo es am günstigsten ist, das sorgt dann für eine optimale Allokation der Ressource Arbeit global sozusagen, wenn man überall Freihandel hat."

China entwickelte sich zur Werkbank der Welt

Je besser und schneller die Transportmöglichkeiten vom Reich der Mitte in alle Welt sind, desto besser kann es seine ökonomische Stärke ausspielen. Deswegen pumpt China viel Geld in die neue Seidenstraße.
Captain Fu schaut von seinem Schreibtisch durch ein Panoramafenster auf das Geschehen im Hafen. Unter seinem Kommando ist es betriebsamer geworden. COSCO – die viertgrößte Containerreederei der Welt – brachte Geschäft mit. Schon jetzt ist es die Drehscheibe für asiatische Unternehmen wie Sony oder Huawei für Waren nach Mitteleuropa. Das Frachtvolumen hat sich mehr als vervierfacht – eine rasante Entwicklung.
Vor dem Einstieg der Chinesen war Piräus die Nummer 93 im Ranking der Containerhäfen, heute steht es auf Platz 38. China ist der große Profiteur des Welthandels. Auch im Handel mit Europa macht China ein Plus von sagenhaften 174,5 Milliarden Euro. Die zweitgrößte Volkswirtschaft nimmt die Vorteile der Globalisierung in Anspruch, verwehrt anderen jedoch die gleichen Rechte, obwohl das Land der Welthandelsorganisation angehört.
So hat der Autobauer Geely in Schweden Volvo übernommen und ist kürzlich heimlich mit fast zehn Prozent bei Daimler eingestiegen. Gleiches könnte ein europäischer Autobauer in China nicht machen. Hat die EU fahrlässig die einseitigen Vorteile Chinas vergrößert, indem sie zuließ, dass COSCO das Kommando in dem wichtigen Tiefseehafen Piräus übernimmt?

Der vergebliche Kampf der Gewerkschaften

Mit dem Taxi geht es vom Sitz der Hafengesellschaft vorbei an den Anlegestellen großer Fähren auf eine kleine Anhöhe am anderen Ende des Hafens. Darauf steht ein zweistöckiger Betonriegel von dem Farbe abblättert. In den Fluren ist an einigen Stellen die Deckenbekleidung abgefallen, blickt man auf grelle Neonröhren. Hier hat eine der Gewerkschaften der Hafenarbeiter ihr Büro.
Einige Arbeiter umringen Giorgos Gogos, wollen vor Schichtanfang schnell noch über Lohnabzüge reden. Gogos, ursprünglich Fotograf, dann Hafenarbeiter, ist seit sieben Jahren Gewerkschaftssekretär der Dockarbeiter von Piräus.
Er dreht sich mit kräftigen Fingern eine schmale Zigarette, zündet sie an, macht einen tiefen Zug und erzählt dann von dem großen, verlorenen Kampf gegen die Privatisierung. Noch heute kleben Fetzen der Streikaufrufe an Häuserwänden oder Laternen in den Straßen von Piräus.

Schon 2005 habe die griechische Regierung den Verkauf des Hafens an COSCO vorgehabt. Es sollte eine bilaterale Vereinbarung zwischen Griechenland und China geben. Den Plan hätten griechische Reeder verfolgt, die mit Chinesen mehr Geschäft machen wollten, erläutert Gogos. Das Vorhaben scheiterte - zunächst.
Gewerkschafter Giorgos Gogos
Gewerkschafter Giorgos Gogos - den Kampf gegen die Privatisierung haben die Arbeiter verloren.© Caspar Dohmen
Die Gewerkschaft beschwerte sich bei der EU-Kommission, die den geplanten Deal damals untersagte. Während der griechischen Schuldenkrise änderte sich die Lage. Die EU-Kommission drängte auch auf Druck Deutschlands die Griechen zu harten Sparmaßnahmen. Griechenland kürzte etwa die Löhne der öffentlich Beschäftigten um 35 Prozent. Ein Hafenarbeiter verdiente nur noch etwa 1200 Euro. Die Griechen mussten auch öffentliches Eigentum verkaufen, wie den Hafen von Piräus. Am Ende bot nur noch der chinesische Staatskonzern COSCO.
Die Chinesen bauten einen neuen Containerterminal. Hier gibt es nur rund 270 Festangestellte, die restlichen der rund 1200 Arbeiter sind bei Subunternehmen beschäftigt. Eine Zweiklassengesellschaft, die es auch in vielen europäischen Firmen gibt. Die alte, besser bezahlte Belegschaft arbeitet an einem zweiten Containerterminal, das aber immer weniger zu tun hat.
Aber die Chinesen passen sich den Gepflogenheiten an. Die neuen Eigentümer waren es nicht gewohnt, sich mit Gewerkschaften an einem Tisch zu setzen und zu verhandeln. Mittlerweile gäbe es einen Tarifvertrag, erzählt Gogos. Man habe Kompromisse machen müssen - aber er zumindest findet die Vereinbarung besser für die Beschäftigten als etwa die bei der Telefongesellschaft, die die Deutsche Telekom gekauft hat.

Der neue Hafen ist ein Erfolgsprojekt

Eine chinesische Familie steht auf der Akropolis und lässt sich deren Geschichte auf dem Smartphone erklären. In der Ferne sieht man die Kräne des Hafens von Piräus. Künftig will COSCO hier auch mehr Geld mit Tourismus verdienen. Leer stehende Lagerhäuser im Hafen wollen chinesische Investoren zu Fünfsterne-Hotels umbauen. Sie wollen mehr Touristen aus Europa und China nach Piräus locken und erreichen, dass sie dort länger verweilen, bevor sie Urlaub auf einer der griechischen Inseln machen oder von hier aus eine Kreuzfahrt starten. Jan Gaspers vom Mercator-Institut für Chinastudien.
"Aus griechischer Sicht ist es das ein absolutes Erfolgsprojekt nach allem, was wir bislang wissen, es hat dem Hafen neues Leben eingehaucht. Es gibt sogar eher wie man zumindest hört von Beobachtern vor Ort positive Effekte auf die lokale Wirtschaft, also alle die von dieser Hafenwirtschaft profitieren im Umland. Insofern ist es erst Mal für eine, sagen wir, immer noch relativ problematisch aufgestellte griechische Wirtschaft erst mal eine sehr, sehr gute Investition. Ist überhaupt keine Frage."
Die Eingangshalle des Akropolis-Museum. Ein Bereich ist mit roten Stellwänden abgegrenzt. Auf einem Monitor läuft ein Video über chinesische Landschaftsmalerei. Daneben ist eine wertvolle Schale aus Bronze ausgestellt. Die Leihgabe des Shanghai Museums stammt aus der chinesischen Kaiserzeit der Zhou-Dynastie, die bis zum Jahr 256 vor Christus dauerte. Schon damals verbanden Wege Asien und Europa. Ein gerne genutztes Bild, vergessen wird dabei schnell, dass dieser Handel damals ziemlich einseitig verlief. Denn die Chinesen produzierten die begehrten Produkte wie Seide, Perlen oder Porzellan und verkauften sie an die Europäer fast nur gegen Gold und Silber.
Möglich war dieser Handel in größerem Umfang später nur, weil Europa seit Beginn der Neuzeit aus den Kolonien große Mengen Edelmetalle von den Inkas und Azteken raubte. Die breite Bevölkerung profitierte damals nicht von dem Handel, sondern fast nur die Schicht der Herrschenden.
Bisherige Szenarien des Westens für China haben sich als falsch erwiesen. Als irrig erwies sich die Hoffnung China werde sich mit steigendem Wohlstand demokratisieren: Wandel durch Handel. Genauso falsch war die Prognose, China werde an seinen Widersprüchen zusammenbrechen. Stattdessen hat China seinen eigenen, teils gelenkten Kapitalismus entwickelt. Das müsste auch den Blick auf den Freihandel verändern.
"Denn eins ist ja klar", sagt Jan Gaspers, "in China steckt der Staat überall in den Schlüsselindustrien mit drin und da wird ganz massiv Industriepolitik gefahren. Wir müssen also darüber nachdenken, wenn wir unsere liberale wirtschaftliche Grundordnung schützen wollen, zu welchem Grad müssen wir dann eben Dinge tun, die wir auf den ersten Blick vielleicht nicht als ganz so wahnsinnig liberal betrachten, aber die elementar sind, um diese liberale Grundordnung zu schützen."
Welthandel funktioniert eben nicht nur nach Lehrbuchtheorien, sondern ist auch ein Resultat von politischer Gestaltung und Machtverhältnissen. Das war auch schon zu Zeiten von David Ricardo so.

Freihandel II

Ricardo entlehnte sein ökonomisches Modell der komparativen Kostenvorteile einem historischen Handelsvertrag zwischen England und Portugal aus dem Jahr 1703. England durfte fortan zu Vorzugszöllen Textilien nach Portugal und in dessen Kolonien wie Brasilien exportieren. Portugal durfte ungehindert seine Produkte nach England ausführen, besonders Wein. Außerdem verbündeten sich beide Länder politisch und militärisch, worauf Portugal wegen seines Zwists mit den Niederlanden und Spanien dringend angewiesen war. Die Engländer nutzten die Schwäche der Portugiesen schonungslos aus.
"Das heißt, man hat Portugal damals den Freihandel aufgezwungen", erklärt Mathias Binswanger. "Und das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die damals führende Wirtschaftsmacht Portugal dann einen Abstieg erlebt hat und England eigentlich zur neu führenden Wirtschaftsnation dann wurde."
In Ricardos Modell gewannen beide Seiten. In der Wirklichkeit war Portugal bald als Wirtschaftsmacht abgemeldet. Denn die Portugiesen beschränkten sich auf die Landwirtschaft und überließen die Textilindustrie – damals die zukunftsträchtigste Industrie überhaupt – den Engländern. Zudem war die Entwicklung der Textilindustrie mit technischem Fortschritt in anderen Bereichen wie dem Maschinenbau oder der Energieerzeugung verbunden. Auch darauf verzichtete Portugal de facto. Selbst die Grundannahmen von Ricardos Modell entsprachen nicht dem echten Leben.
"Nun war aber dieses Modell reine Fiktion", sagt Mathias Binswanger, "weil England hat ja überhaupt nie wirklich Wein angebaut - nicht - und damit dieses Modell funktioniert, müssten eigentlich beide Länder beide Güter herstellen können, dass war da schon einmal nicht der Fall."
Außen vor bleibt in dem Modell auch der Faktor Zeit. Bei Ricardo treten die Vorteile des Freihandels gleich auf, in der Realität gibt es langandauernde Anpassungsprozesse.
"Wenn jetzt die Portugiesen eben ihre Tuchindustrie aufgeben haben", so Binswanger, "was das Resultat war davon, dass sie die Zölle abbauen mussten, dann konnten natürlich nicht alle diejenigen, die vorher jetzt in der Tuchindustrie tätig waren jetzt automatisch dann zu Bauern werden, dass heißt die wurden stattdessen eben zu einem großen Teil arbeitslos."
Binswanger greift auf sein Beispiel einer Kanzlei zurück: "Das ist etwa die gleiche Situation, wie wenn man einem unterbeschäftigten Anwalt eine Sekretärin aufzwingt, weil sobald er nicht mehr genügend Fälle hat, an denen er eigentlich arbeiten kann, dann lohnt es sich für ihn natürlich nicht mehr, wenn er eine Sekretärin anstellt. Dann muss er die ja bezahlen, verdient aber gar nichts im Rest der Zeit, dann ist es natürlich besser für ihn, wenn er die Briefe wieder selbst schreibt, weil sonst gerät er in den wirtschaftlichen Ruin."
Die Chinesen sind heute nur deswegen so erfolgreich, weil sie sich der Empfehlungen anderer Ökonomen bedient haben, genauso wie einst die USA und Deutschland am Anfang ihrer industriellen Entwicklung. Beide Länder schützten sich gegen die Konkurrenz aus Großbritannien, dem Mutterland der Industrialisierung. Nur so konnte etwa in Deutschland eine Stahlindustrie erfolgreich sein. Begründet hat dieses Vorgehen als erster Friedrich List im 19. Jahrhundert. Der deutsche Ökonom sprach in seiner Theorie von einem Erziehungszoll, plädierte in bestimmten Fällen für einen Importzoll.
"Sie werden eingeführt werden mit dem Zweck des Schutzes und der allmählichen Mehrung der produktiven Kräfte der Nation." (Friedrich List)
Erst wenn Länder über einen ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand verfügten, mache Freihandel Sinn. Der Sachverhalt wird in der Praxis oft ausgeblendet. Vor allem besagt die Handelstheorie nur etwas darüber, wie der größte Gewinn erzielt werden kann. Sie sagt aber nichts über die Verteilung aus. Die ist oft ziemlich ungleich.
Taverne in Piräus
Eine Taverne in Piräus: Viele Hafen-Beschäftigte arbeiten bei Subunternehmen.© Caspar Dohmen
Eine Taverne im Hafen von Piräus. Kleine Holztische und Stühle mit Korbgeflecht und der Geruch von Holzkohle, Olivenöl und frittierten Sardinen hängt in der Luft. Die Wand schmücken Malereien, auf denen die Waren noch mit Segelschiffen transportiert wurden, so wie zur Zeit Ricardos. Aber seit dessen Tagen haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verändert und damit auch die Verteilung des Wohlstandsgewinns. Zu den Gewinnern zählen die Herrscher über die globalen Wertschöpfungsketten: Der Profit der größten 30.000 Konzerne hat sich seit 1989 verfünffacht. Möglich machte dies eine für Konzerne lukrative internationale Arbeitsteilung:
Günstig in Asien hergestellte Produkte werden auf den Märkten in den Industrieländern verkauft und dabei hohe Margen eingestrichen. Gleichzeitig tricksen Konzerne legal auf Teufel komm raus, um Steuern zu vermeiden. Profitieren Unternehmen vom Welthandel, bedeutet dies eben nicht automatisch, dass davon auch die Heimatländer entsprechend profitieren.
"Bei Ricardo ging man ja davon aus, dass man irgendein Gut in einem bestimmten Land produziert", erklärt Mathias Binswanger, "und dann das dort produziert, wo man einen komparativen Vorteil hat. Heute ist natürlich diesen internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind viel komplexer, da geht es nicht nur darum, wo man jetzt ein bestimmtes Gut produziert. Es geht heute vielmehr darum, welchen Teil der Wertschöpfungskette eines Gutes man wo produziert, weil viele Wertschöpfungsketten sind heute global. Und wenn wir ein Produkt anschauen wie iPhone heute zum Beispiel, dann sind da in Wirklichkeit Produktionsvorgänge in den unterschiedlichsten Ländern damit verbunden."
Noch fällt ein großer Teil der Wertschöpfung bei westlichen Konzernen an, aber das will China ändern.

"Ja, es ist in der Tat so, dass China großes Interesse daran hat, die Wertschöpfungskette immer weiter hochzuklettern", sagt Jan Gaspers, "also auch Hochtechnologieprodukte beispielsweise zu exportieren: die Seidenstraßeninitiative ist dabei im übrigen ein wichtiger Baustein, denn mit dem Ausbau von Infrastruktur geht es ja nicht primär darum sagen wir mal, den lokalen Wirtschaften auf die Beine zu helfen, sondern es geht darum, neue Exportkanäle für chinesische Produkte zu schaffen und auch tatsächlich Handelspattern komplett neu zu konfigurieren, zum Vorteil Chinas und potenziell zum Nachteil Europas und dem Rest der Welt, also sprich Märkte zu schaffen oder zu vergrößern für chinesische Produkte und vor allem zunehmend auch Dienstleistungen: E-Commerce ist da ein ganz wichtiges Stichwort."
China ist Weltspitze in der digitalen Wirtschaft, anders als Europa. Schon fordern Fachleute bei uns eine strategische Industriepolitik, um China Paroli zu bieten. Früher hat Europa auf solche Weise bereits den USA die Stirn geboten, als sie etwa mit Airbus einen eigenen Flugzeugbauers schufen. Künftig könnte Europa etwa im globalen Wettbewerb eine Chance beim Thema Datensicherheit haben, weil anders als in China Datenschutz hier etwas zählt.

Die Grenzen des Freihandels

Tintenfische, Thunfisch und anderes Meeresgetier auf Eis gepackt. Es ist ein einziges Geklapper, Geschabe und Geschrei auf dem Fischmarkt von Athen. Händler preisen Waren an. Kunden feilschen. Flinke Hände verpacken Fische in Zeitungspapier. Hier ist der Archetyp des Handels quicklebendig. Der Preis ist dabei nur ein Auswahlkriterium für Käufer, sie achten auch auf die Qualität oder manche darauf, wo der Fisch herkommt, etwa aus der Zucht oder dem Meer. Dafür sind Konsumenten auch bereit mehr zu zahlen, etwa für regionale, fair oder biologisch hergestellte Produkte.
Wenn die Landwirtschaft in der EU dem freien Wettbewerb ausgesetzt wäre, blieben fast nur noch Agrarfabriken übrig. Überhaupt muss es im 21. Jahrhundert um mehr gehen, als möglichst viele Güter effizient herzustellen. Die Menschheit muss mit den knapper werdenden Ressourcen auskommen und darf den Planeten nicht länger mit Müll, Gift und Emissionen zerstören.

Arbeitsteilung weit überschritten", sagt Reinhard Loske. Er saß als Abgeordneter für die Grünen im Bundestag und lehrt heute an der Universität Witten Herdecke Wirtschaft. Geht es um die notwendige sozial-ökologischen Transformation, kommt Loske auf den Handel zu sprechen. Er redet aber nicht über den Ausbau des Freihandels, sondern über dessen Grenzen.
"Wenn die Preise die ökologische Wahrheit sagen würden, wenn also die internationalen Preise für Containerverkehr und Luftverkehr usw. auch nur annähernd die externen Kosten spiegeln würden, also Klimaschäden, Umweltschäden usw. dann wäre der Grad der internationalen Arbeitsteilung nicht annähernd so hoch wie er jetzt ist."
Fischmarkt in Athen
Der Fischmarkt in Athen - hier zählt nicht nur der Preis, auch Qualität und Herkunft müssen stimmen.© Caspar Dohmen
Er knüpft an Äußerungen des großen Ökonomen John Maynard Keynes in den 1930er-Jahren an.
"Er sagt, ich glaube nicht, dass die Vorzüge, die die internationale Arbeitsteilung uns gebracht hat heute noch gelten. Und deswegen plädiert er eigentlich implizit mindestens mal für Grenzen der internationalen Arbeitsteilung, bei ihm heißt es ja auch: Lasst Güter in der Heimat herstellen, wann immer möglich, und er sagt dann Reisen, Kunst, Kultur, Wissenschaft, das sind Dinge die international sind, aber lasst Güter in der Heimat herstellen, wann immer möglich. Verglichen mit der heutigen Freihandelsideologie ist das ja wirklich eine sehr fundamental und wie ich finde fundamental richtige Einsicht."
Die Menschen haben im antiken Griechenland auf der Agora nicht nur einen Markt abgehalten, sondern auch über gesellschaftliche Ziele debattiert. Hier lebte auch Aristoteles, der der Ökonomie ihren Namen gab und diese 'oikonomia' als eigenständige Disziplin auf den Weg brachte. In seinem Denken spielte der Homo politicus eine wichtigere Rolle als der Homo oeconomicus. Handel sollte kein Selbstzweck sein, sondern ein Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele. Es würde Sinn machen, daran auch in ökonomischen Lehrbüchern zu erinnern.

Autor: Caspar Dohmen
Sprecher: Jan Uplegger
Technik: Alexander Brennecke
Regie: Frank Merfort
Redaktion: Martin Hartwig

Die Erstausstrahlung dieses Features von Caspar Dohmen war am 16. April 2018.
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