Gewohntes Niveau nicht erreicht
Als gestern Abend die letzte Papstpalastaufführung, Johan Simons und Paul Koeks lauter, variétéhafter und schlampig gearbeiteter "Kasimir und Karoline" mit verdienten Buh-Rufen verabschiedet wurde, war längst amtlich, dass diese Festivalausgabe fast durchgängig das in Avignon gewohnte Niveau nicht erreicht hatte.
Hier gehört nicht unbedingt alles hin, nur weil es stattliche internationale Ko-Produktionsetats aufweisen kann. Und dabei hatte alles so berauschend angefangen: Mit Arbeiten des Artiste Associé dieses Jahres. "Die schönsten Geschichten, so sagt es Wajdi Mouawad, steigen aus der Unterwelt auf die Theaterbühne, da wo Opfer, Mörder und Richter, ohne jede Schwarz-Weiß-Malerei von den ewigen Konflikten der Menschheit erzählen können."
Ein Theater der Krisen und der Kriege präsentierte das Festival d’Avignon in diesem Jahr, ein Theater aber auch, das zwischen Beirut und Ottawa, zwischen Kairo und Buenos Aires Formen der Erzählung auf dem Theater erforscht. Moawads Tetralogie "Le Sang des Promesses", "Das Blut der Versprechen", besteht aus drei alten Stücken zu Beginn des Avignon-Programms und einer Uraufführung vor wenigen Tagen. Der Frankokanadier libanesischer Herkunft sucht darin nach den Gründen für das Gewaltpotential, das sich zumal im Nahen Osten schicksalhaft von Generation zu Generation vererbt und nie zu erschöpfen scheint.
Mouawad: "Ich hatte bemerkt, dass es in meinen Stücken "Küste", "Brände" und "Wälder" immer wieder jemanden gibt, der "Ich verspreche dir ..." oder ähnliches sagt. Aber dieses Versprechen wird in den seltensten Fällen gehalten und später wird der Bruch des Versprechens zur Quelle von Kummer, Schmerz, von Blutvergießen, Missverständnissen und Verblendung."
Wajdi Mouawad versteht sich und die Protagonisten seiner Stücke als Kinder eines Krieges, als Erben unzähliger geheimgehaltener Geschichten, Traumata, die er auf seinem Theater der einfachen, direkten und plakativen Ästhetik in Zeitreisen durch ganze Familiengeschichten offen legt und damit zu bannen und zu heilen versucht. Es ist ein Theater, das sich ganz bewusst den Trost zum Ziel macht, mit all seinem Pathos und all seiner Naivität. Aber nur in den ersten drei Stücken der Tetralogie, denn mit der Uraufführung von "Ciel" - "Himmel" führt uns Mouawad die paranoide Welt vor Augen, wie sie der Krieg in seiner zeitgenössischen, globalisierten Form hervorbringt. Als Angst vor dem Terror, als verzweifelter Versuch, den nächsten drohenden Anschlag vorab zu vereiteln.
Eine düster-pessimistische Prognose steht am Ende des Opus Magnum dieses inszenierenden Poeten, dessen "neues Erzählen im Theater" vor allem junge Zuschauer anspricht.
In Wajdi Mouawads Stücken wechseln sich Erzählung, Drama und simple Beschreibung ab. Dem vergleichbar inszeniert, mit allerdings völlig anderer Thematik, der Schriftsteller und Filmregisseur Christophe Honoré Victor Hugos "Angelo, Tyran de Padou" als überraschenden Mix der Spielweisen und Genres.
"Mir gefällt, dass die Aufführung etwas ästhetisch unreines hat, denn genau das suche ich auch in meinem Kino. Ich mag die Konfrontation, den ästhetischen Bruch. Und bei diesem Stück hat es uns viel Spaß gemacht, von einer melodramatischen in eine völlig burleske Szene zu wechseln oder sogar innerhalb einer Szene überraschende Brüche zu erleben."
Honorés neuer Eklektizismus war nicht überzeugend. Auch die Collage literarischer Vorlagen von Aischylos bis Jonathan Littell, mit der der Pole Krzysztof Warlikowski in seinem "Apollonia” den Bogen von der Antike in die jüngere Geschichte spannen will, blieb ein wenig eine grandiose, gewaltig bebilderte Behauptung.
Das intelligenteste Spiel mit Erzählformen kam von den Libanesen Lina Saneh und Rabih Mroué, deren Photo-Romance in Avignon uraufgeführt wurde, bevor sie in diesem Winter auch in Berlin gastiert. Verschiedene Erzählebenen, Fiktion und Realität ineinander verwebend, zeigen sie eine Beiruter Romanze in Anlehnung an den Ettore-Scola-Film "Ein besonderer Tag" und erzählen zugleich von der tiefen politischen Zerrissenheit der libanesischen Gesellschaft.
"Unsere Arbeit besteht nicht aus Erklärungsversuchen. Es ist unmöglich die Situation im Libanon zu erklären und deshalb versuchen wir gar nicht erst, dem Zuschauer mit einfachen Konzepten zu kommen. Es ist angesichts der Medien - und damit meine ich nicht nur die libanesischen Medien - wichtig zu erklären: Ja, tatsächlich, die Situation ist kompliziert."
Auch ergänzt durch ein Filmprogramm und eine Ausstellung blieb der Nah-Ost-Schwerpunkt des Festivals insgesamt inkohärent. Auch da wo europäische Künstler sich mit aktuellen Krisenproblemen und vor allem der Finanz- und Wirtschaftkrise beschäftigen, blieben die Ergebnisse hinter dem Niveau zurück, dass die Kunst angesichts des historischen Umbruchs eigentlich erreichen müsste, um politisch wirklich nützlich und erhellend zu sein.
Marthalers Wiener Endzeitmeditation "Butzbach, eine Dauerkolonie" wurde zwar sehr positiv aufgenommen, aber ihre bitter-ironischen Ratschläge zur Krise ließen ebenso wie Pippo Delbonos "La Menzogna", "Die Lüge", die klare politische Stossrichtung vermissen. Zwar begann die Inszenierung des italienischen Ausnahmenkünstlers, in der sich wie immer Tanz, Politisches Kabarett und pathetisches Bildertheater verbinden, mit dem Brand einer alten Thyssen-Krupp-Fabrik und dem Tod von sieben Arbeitern begonnen, war dann aber schnell in ein privat empfundenes Leiden am entfesselten Kapitalismus abgeglitten, und eine Situation, in der Lüge und Selbstbetrug zur Normalität wird.
Das Festival d’Avignon droht - schon im Vorjahr deutete sich dies mit Romeo Castellucci als künstlerischem Leiter an - in zwei Teile zu zerfallen: Der singulären Großtat des jeweiligen "Artiste Associé", und dem Rest des Programms. Dass das Verhältnis wieder ausgeglichener wird, dafür könnte im kommenden Jahr an der Seite des französischen Autors Olivier Cadiot Christoph Marthaler als "artiste associé" sorgen.
Ein Theater der Krisen und der Kriege präsentierte das Festival d’Avignon in diesem Jahr, ein Theater aber auch, das zwischen Beirut und Ottawa, zwischen Kairo und Buenos Aires Formen der Erzählung auf dem Theater erforscht. Moawads Tetralogie "Le Sang des Promesses", "Das Blut der Versprechen", besteht aus drei alten Stücken zu Beginn des Avignon-Programms und einer Uraufführung vor wenigen Tagen. Der Frankokanadier libanesischer Herkunft sucht darin nach den Gründen für das Gewaltpotential, das sich zumal im Nahen Osten schicksalhaft von Generation zu Generation vererbt und nie zu erschöpfen scheint.
Mouawad: "Ich hatte bemerkt, dass es in meinen Stücken "Küste", "Brände" und "Wälder" immer wieder jemanden gibt, der "Ich verspreche dir ..." oder ähnliches sagt. Aber dieses Versprechen wird in den seltensten Fällen gehalten und später wird der Bruch des Versprechens zur Quelle von Kummer, Schmerz, von Blutvergießen, Missverständnissen und Verblendung."
Wajdi Mouawad versteht sich und die Protagonisten seiner Stücke als Kinder eines Krieges, als Erben unzähliger geheimgehaltener Geschichten, Traumata, die er auf seinem Theater der einfachen, direkten und plakativen Ästhetik in Zeitreisen durch ganze Familiengeschichten offen legt und damit zu bannen und zu heilen versucht. Es ist ein Theater, das sich ganz bewusst den Trost zum Ziel macht, mit all seinem Pathos und all seiner Naivität. Aber nur in den ersten drei Stücken der Tetralogie, denn mit der Uraufführung von "Ciel" - "Himmel" führt uns Mouawad die paranoide Welt vor Augen, wie sie der Krieg in seiner zeitgenössischen, globalisierten Form hervorbringt. Als Angst vor dem Terror, als verzweifelter Versuch, den nächsten drohenden Anschlag vorab zu vereiteln.
Eine düster-pessimistische Prognose steht am Ende des Opus Magnum dieses inszenierenden Poeten, dessen "neues Erzählen im Theater" vor allem junge Zuschauer anspricht.
In Wajdi Mouawads Stücken wechseln sich Erzählung, Drama und simple Beschreibung ab. Dem vergleichbar inszeniert, mit allerdings völlig anderer Thematik, der Schriftsteller und Filmregisseur Christophe Honoré Victor Hugos "Angelo, Tyran de Padou" als überraschenden Mix der Spielweisen und Genres.
"Mir gefällt, dass die Aufführung etwas ästhetisch unreines hat, denn genau das suche ich auch in meinem Kino. Ich mag die Konfrontation, den ästhetischen Bruch. Und bei diesem Stück hat es uns viel Spaß gemacht, von einer melodramatischen in eine völlig burleske Szene zu wechseln oder sogar innerhalb einer Szene überraschende Brüche zu erleben."
Honorés neuer Eklektizismus war nicht überzeugend. Auch die Collage literarischer Vorlagen von Aischylos bis Jonathan Littell, mit der der Pole Krzysztof Warlikowski in seinem "Apollonia” den Bogen von der Antike in die jüngere Geschichte spannen will, blieb ein wenig eine grandiose, gewaltig bebilderte Behauptung.
Das intelligenteste Spiel mit Erzählformen kam von den Libanesen Lina Saneh und Rabih Mroué, deren Photo-Romance in Avignon uraufgeführt wurde, bevor sie in diesem Winter auch in Berlin gastiert. Verschiedene Erzählebenen, Fiktion und Realität ineinander verwebend, zeigen sie eine Beiruter Romanze in Anlehnung an den Ettore-Scola-Film "Ein besonderer Tag" und erzählen zugleich von der tiefen politischen Zerrissenheit der libanesischen Gesellschaft.
"Unsere Arbeit besteht nicht aus Erklärungsversuchen. Es ist unmöglich die Situation im Libanon zu erklären und deshalb versuchen wir gar nicht erst, dem Zuschauer mit einfachen Konzepten zu kommen. Es ist angesichts der Medien - und damit meine ich nicht nur die libanesischen Medien - wichtig zu erklären: Ja, tatsächlich, die Situation ist kompliziert."
Auch ergänzt durch ein Filmprogramm und eine Ausstellung blieb der Nah-Ost-Schwerpunkt des Festivals insgesamt inkohärent. Auch da wo europäische Künstler sich mit aktuellen Krisenproblemen und vor allem der Finanz- und Wirtschaftkrise beschäftigen, blieben die Ergebnisse hinter dem Niveau zurück, dass die Kunst angesichts des historischen Umbruchs eigentlich erreichen müsste, um politisch wirklich nützlich und erhellend zu sein.
Marthalers Wiener Endzeitmeditation "Butzbach, eine Dauerkolonie" wurde zwar sehr positiv aufgenommen, aber ihre bitter-ironischen Ratschläge zur Krise ließen ebenso wie Pippo Delbonos "La Menzogna", "Die Lüge", die klare politische Stossrichtung vermissen. Zwar begann die Inszenierung des italienischen Ausnahmenkünstlers, in der sich wie immer Tanz, Politisches Kabarett und pathetisches Bildertheater verbinden, mit dem Brand einer alten Thyssen-Krupp-Fabrik und dem Tod von sieben Arbeitern begonnen, war dann aber schnell in ein privat empfundenes Leiden am entfesselten Kapitalismus abgeglitten, und eine Situation, in der Lüge und Selbstbetrug zur Normalität wird.
Das Festival d’Avignon droht - schon im Vorjahr deutete sich dies mit Romeo Castellucci als künstlerischem Leiter an - in zwei Teile zu zerfallen: Der singulären Großtat des jeweiligen "Artiste Associé", und dem Rest des Programms. Dass das Verhältnis wieder ausgeglichener wird, dafür könnte im kommenden Jahr an der Seite des französischen Autors Olivier Cadiot Christoph Marthaler als "artiste associé" sorgen.