Die Krachschleuder fürs Armenviertel
Vor 35 Jahren erschien im "Texas Monthly"-Magazin die erste Anzeige für eine Boombox: ein tragbares Komponentensystem, das schnell zum urbanen Statussymbol der afroamerikanischen Jugend wurde - und zu einem subversiven Werkzeug.
Als im Juli 1981 im Texas Monthly-Magazine die erste Anzeige für ein neuartiges tragbares Komponentensystemerschien, da wurde es auf dem Foto gehalten von fünf fröhlich lachenden afro- und latinoamerikanischen Basketballspielern der großen göttlichen Harlem Globetrotters - das passte perfekt zur angepeilten Zielgruppe des Geräts.
Und der Text sagte: Fünf große Performer, die perfekt zusammenspielen – und schwärmte dann anstatt von den Basketballern von einem bulligen Kasten, in dem zwei Boxen und ein Radio steckten, ein Kassettenrekorder und ein Verstärker, und wenn man den Henkel abmachte, konnte man die Einzelteile sogar nebeneinander aufbauen wie eine normale Stereoanlage.
Das war nämlich die japanische Herstelleridee dieser Dinger: Stereoanlagen für Jugendliche, die bald zu Haus ausziehen oder einfach fürs Jugendzimmer.
Zum Klischee vom missratenen Jugendlichen
Aber natürlich nahmen die Latinos und Afros, die tatsächlich dann die Hauptkäufer waren, die Dinger nicht auseinander, sondern setzten sie auf der Schulter und zogen damit dann nach draußen, an die Luft, wo sie sich mit ihren Kumpels trafen: in den ärmeren Vierteln, natürlich, weshalb die Geräte noch diesen anderen Spitznamen kriegten: Ghettoblaster – also Krachschleuder fürs Armenviertel.
Auf dem Basketballplatz stand das Ding dann in der Ecke und beschallte das Spiel; im Central Park liefen Rollschuhläufer dazu im Kreis und verstärkten den Sound ins Gigantische, indem sie alle Blaster auf denselben Radiosender einstellten: der Sound von 50 Basslautsprecherpaaren – Woooow! Bald gehörten die Gettoblaster auch zum Breakdancen und Graffiti-sprühen.
Und so wurden die freundlich gemeinten Jugendzimmer-Stereoanlagen zum Symbol für eine grimmig wirkende Subkultur - zum Klischee vom mißratenen Jugendlichen mit dem reisekoffergroßen Radio auf der Schulter.
Besitzer hatten Herrschaft über die Musik
Tatsächlich hatten in den verrufenen Vierteln natürlich die Besitzer von Boomboxen meist das Sagen, denn erstens waren sie - notgedrungen, wenn sie den ganzen Tag dieses Ding mit sich rumschleppten - ziemlich stark: Große Baßtöner brauchen dicke Magneten an den Lautsprechern, und die sind schwer! Aber immerhin hatte der MC, der das Ding trug - der Zeremonienmeister dieser Beschallungsorgien - stets eine Gefolgschaft von Kumpels hinter sich, die die zwanzig dicken D-Ersatzbatterien tragen konnten, die alle paar Stunden fällig waren.
Und zweitens aber hatten die Besitzer der gern mit Graffiti bemalten Gettoblaster die Herrschaft über die Musik. Der Lautstärkeregler steckte das Territorium ab für die musikalische Mission - für die öffentliche Rebellion, in der "Fight The Power" und "Fight For Your Right To Party" noch ein und dasselbe bedeuteten, nämlich den Stolz der Straßenkultur und die Selbstermächtigung der Nicht-Gehörten. Reclaim The Streets – und sei es auch nur mit Beats, Bass und Lautstärke!
Und so wurde der Ghettoblaster auch zu dem einzigen Vehikel, das den frühen Stimmen des Hip-Hop Gehör verschaffte.
Niedergang dauerte bis Mitte der 90er
Und meist hatten die Boomboxen zwei Kassettenrekorder eingebaut, und wenn man an einem Typen vorbeikam, der gerade einen ultracoolen Beat abspielte, konnte man sich schnell eine Kopie davon ziehen lassen.
Der Ghettoblaster war ein subversives Werkzeug der Popmusik zur Gemeinschaftsbildung: das urbane Lagerfeuer, das man auf der Schulter mit sich rumschleppen konnte.
Aber als diese Subkultur-Maschine zur Mode wurde, drängten bald Billiggeräte aus Taiwan und Hongkong auf den amerikanischen Markt: Die waren aus Plastik, das kein Gewicht mehr tragen konnte, also wurden die Lautsprecher kleiner, und alles sah loser-mäßig billig aus... Anfang der achtziger Jahre waren bei den Gehäusen und Lautsprecherverkleidungen ja noch massives Metall und echter Chrom verbaut worden!
Der Niedergang dauerte bis Mitte der 90er. Aber da war auch Hiphop zum Mainstream geworden und die meisten Graffitis von U-Bahnen abgewaschen. Die Kopfhörer-Sozialisation, die mit dem Walkman dann folgte, hinterließ erstmal ein Loch in den jugendlichen Gemeinschaften, und die rollenden Discos, die heute am Abend die Straßen der Stadt bewummsen, sind auch nur, naja, irgendwie - autistisch...