Giacomo Pellizzari: "Der steile Anstieg zum Olymp - 14 legendäre Radfahrer und ihre Geschichten"
Übersetzung aus dem Italienischen von Luis Ruby, Piper Verlag, München 2018, 272 Seiten, 22 Euro
Auf du und du mit den Radsport-Stars
Blinde Anbetung trifft auf schlechten Stil: Wer nur Gutes über den Radsport hören möchte, ist mit Giacomo Pellizzaris Band "Der steile Anstieg zum Olymp" gut bedient, muss dafür aber bei der Lektüre der 14 Sportler-Biografien so manche Stilblüte in Kauf nehmen.
Wenn man von einem Buch sagt, es sei mit Herzblut geschrieben, dann kann das im Subtext bedeuten: Der Verstand hat während des Schreibens manchen Ruhetag gehabt. Und so verhält es sich bei Giacomo Pellizzaris "Der steile Anstieg zum Olymp - 14 legendäre Radfahrer und ihre Geschichten". Warum auch immer: Pellizzari widmet das Buch David Bowie. Und außerdem, was bei der vorliegenden Materie weit verständlicher ist, jedem, "der sich einmal als Held gefühlt hat, wenigstens für einen Tag".
Der Clou: An jedem Porträtierten macht Pellizzari einen dominanten Zug aus, der quasi zum Leitmotiv der Darstellung wird. Bernard Hinault, der fünfmalige Tour-Sieger, firmiert als "der Zähe", der früh an Drogenkonsum verstorbene Marco Pantani als "der Dickschädel", Eddy Merckx, mit über 500 Siegen der erfolgreichste Radsportler überhaupt, als "der Unersättliche", Lance Armstrong als "der Großkotz".
Blinde Anbetung, unfreiwillig satirisch
Das Besondere, auch besonders Irritierende: Pellizzari duzt sie alle, und zwar ständig. "Also trittst du an [Fabian Cancellara], als hättest du einen zweiten Motor in dir." "Und so fährst du auf Angriff [Claudio Chiappucci], immer und überall, auch da, wo es keinen Sinn gibt." Das zeugt von totaler Vertrautheit mit den Fahrern, ihren großen Momenten, ihrer Persönlichkeit. Es hat aber auch etwas Ranschmeißerisches. Es überschreitet oft die Grenze zur blinden Anbetung. Und manchmal wird's unfreiwillig satirisch, als hätte jemand zeigen wollen, dass Begeisterung total gaga machen kann.
Nach Tonfall und Dichte sind alle Porträts ähnlich. Innerhalb dieses gesetzten Rahmens kann man je nach Gusto Favoriten ausmachen. Dem Rezensenten hat das Porträt des Italieners Francesco Moser gefallen. Pellizzari schreibt es rund um dessen erfolgreichen Angriff auf den Stundenweltrekord in Mexiko City 1984. Anrührend ist das Porträt des intellektuell angehauchten, charakterlich schwierigen Pferdeschwanz-Trägers Laurent Fignon, der einst die Tour der France 1989 gegen Greg LeMond mit acht Sekunden Rückstand verlor. Das Fignon-Porträt reicht bis zu dessen Beerdigung auf dem Pariser Friedhof Pére-Lachaise, wo der mental verwandte Formel 1-Weltmeister Alain Prost im Hintergrund steht. Gut getroffen ist auch der Spanier Miguel Indurain, der als "der Bescheidene" firmiert. Indurain, von bäuerlicher Herkunft, Familienmensch, fuhr im Banesto Team lange klaglos für seinen Kapitän Delgado, er fuhr, als müsse er "keinem was beweisen", wie Pellizarri betont. Und dann gewann Indurain die Tour fünfmal, ohne Aufregung, ohne emotionale Attacken, ruhig bis zur Langeweile, rhetorisch stets äußerst gedämpft – und doch charismatisch, eine Rennrad-Majestät. Pellizzari bringt's rüber.
Informationen zur Doping-Problematik fehlen völlig
Dass Radsport ein weltumspannendes Geschäft geworden ist, dass man die Rennen auch als reine Werbe-Kampagnen für die namengebenden Team-Sponsoren sehen kann – das interessiert Pellizzari überhaupt nicht. Auch harte Sachinformationen zur Doping-Problematik fehlen völlig. Immerhin, im Zentrum des Porträts von Lance Armstrong steht dessen blechernes Doping-Geständnis in der Talkshow von Oprah Winfrey. Auf generelle Einschätzungen zur Seuche des Radsport und ihrer lange oder immer noch halbherzigen Bekämpfung lässt sich Pellizzari nirgends ein. Teils referiert er die Ausreden auffällig gewordener Fahrer, als stünde er treu auf ihrer Seite – so im Fall von Eddy Merckx, der als "die rollende Apotheke" galt. Kein Wort zur Festina-Affäre 1998 rund um den Bergfahrer Richard Virenque, bis dato die größte Doping-Affäre der Sportgeschichte. Nirgends ist kritischer Geist zu entdecken. Verherrlichung ist der Weg. Und Verherrlichung ist das Ziel.
Auf fast jeder Seite unterlaufen Pellizzari eklatante Stilblüten. Da wird Hinault zum "Stier", liegt aber im nächsten Satz im Schützengraben und feuert – obwohl er gerade nichts anderes tut, als das berüchtigte Kopfsteinpflaster-Rennen Paris-Rubaix zu fahren. Die Beine Greg Lemonds sind "zwei Kolben, die die Zeit in Stücke brechen". Felice Gimondi hat den hungrigen "Blick eines Tigers", der genauso Claudio Chiappucci eigen ist, doch Chiappucci besitzt auch noch die "Geschwindigkeit eines Düsenjets". Pellizzari will mit aller Macht das Übermenschliche sichtbar machen, die Leidensfähigkeit, den Heroismus, er will Magie, Ekstase und Triumph in größter Verdichtung darstellen – und dabei "überpacet" er oft, wie Sportler sagen würden. Das Resultat ist nicht selten ungenießbarer Metaphernsalat.
Eine kindische, manipulative Scheinwelt
Insofern kann man Pellizzaris Buch als Symptom nehmen. Wer wissen und vor allem wer spüren will, wie Aficionados ticken, die sich in ihrer Hingerissenheit durch keinen Doping-Skandal, keinen Kommerzialisierungs-Exzess, keine Funktionärs-Unlauterkeit je irritieren lassen, der ist hier richtig. Für Liebhaber wie Pellizzari erhebt sich jedes Rennen himmelhoch über irgendwelche misslichen Störgeräusche. Wenn die Attacken aus dem Peloton heraus gefahren werden, wenn an mythischen Anstiegen menschliche Körper menschliche Grenzen verschieben, wenn die Sprinter bei 70 Km/h ihre Duelle ausfechten, dann rast auch das Herz der Fans. Sie sind in den Kampf involviert, sie erleben Pathos, Tragik und Triumph mit, nun ja, existenzieller Intensität.
Für Skeptiker wird bei all dem eine kindische, manipulative Scheinwelt sichtbar. Aber das ist Aficionados à la Pellizzari völlig schnuppe. Und wer sich beim Kampf der Kapitäne zum Col du Tourmalet oder nach Alp d'Huez hinauf einfach nicht aus dem Fernsehsessel erheben kann – der sollte ruhig zugeben, dass er auch ein bisschen pellizzari ist.