"Gibt's nicht" gibt's doch
Auf einen Wagen warten sie in Jauernack-Buschbach immer. Nicht weil der zu spät kommen würde, sondern weil sie ihn da brauchen - den Wagen des fliegenden Händlers. Er ist der einzige mobile Laden im Ort, seit der KONSUM Anfang der 90er Jahre schloss, für immer schloss.
Kein Geschäft mehr im Ort - 132.000 Sachsen in 74 Gemeinden oder Stadtteilen haben keine Möglichkeit, in der Nähe Waren des täglichen Bedarfs zu kaufen. Obwohl es den täglichen Bedarf der Leute gibt. Und so versorgen heute 500 fliegende Händler und 550 Direktvermarkter jene Orte, die zu geschäftsfreien Zonen mutierten. Sachsens Wirtschaftsminister will deshalb wieder mehr Läden in die Provinz locken, hat bestehende Förderprogramme ausgeweitet.
"Dann nehm ich noch vier Semmeln."
"Ja!"
"Und zwei Milchzöpfe. Haben Sie eine Tüte Mehl?"
"Ja!"
"Ach so. Ich habe meinen Zettel, aber ich weiß gar nicht, wo ich ihn jetzt habe…"
Ohne ihren Zettel verlässt Marianne Mauermann Donnerstags nie das Haus. Immer die gleiche Routine: Am Vormittag verschafft sich die 79-jährige aus Jauernick-Buschbach - einem 500-Seelen-Dorf unweit der polnischen Grenze - einen Überblick darüber, was sie braucht: Butter?! Noch da. Milch? Ebenfalls. Aber das Mehl fehlt. Und Zwieback. Meist kommt die Rentnerin auf fünf, sechs Sachen. Lebt ja alleine, da braucht sie nicht so viel.
Mit ihrer "kleinen Gedankenstütze" macht sich Marianne Mauermann gegen halb drei dann auf den Weg zur Dorfstraße. Setzt sich auf die Bank zu ihren zwei Freundinnen. Und wartet. Bis es drei wird. Und die zwei Wagen vom Bäcker und Fleischer vorfahren.
"Ich kaufe alles hier. Weil es hier kein Geschäft mehr gibt. Und man hätte auch Gelegenheit: Man könnte auch in die Stadt fahren, aber: Wenn man es hier bequem hat, holt man sich hier das nötigste. Aber alles haben sie ja nicht. Bisserl Fleisch, bisserl Wurst."
"Leberwurst. Rohwurst. Alles eigene Produkte."
Seit sechs Uhr morgens ist Joachim Gottschling jetzt schon auf den Beinen. Donnerstags, meint der Metzger, der mit seinem geröteten Gesicht und dem Schnauzer so aussieht, als sei er gerade einem Werbeclip der Fleischerinnung aus den 70er Jahren entsprungen: Donnerstags ist "sein Horrortag". Neun Orte in knapp acht Stunden, Jauernick ist die vorletzte Station.
"Die Dörfer - dann, je nach Bedarf, eben bloß zwanzig Minuten. Man kennt ja die Kunden. Da frage ich dann, wenn ich jemanden sehe: Wollen Sie noch was? Die Kunden hier sind alle Ältere. Das ist selten mal ein junger Mensch, eine junge Frau. Hier: Alles Ältere."
"Ja, das kann ich ihnen auch zeigen. (Blättert.) Und der alte Bäckerladen. Sehen Sie: Ist der alte Konsum hier. So sah der an der Dorfstraße aus..."
Joachim Lehmann verwaltet die Geschichte von Jauernick-Buschbach. Alles fein säuberlich abgeheftet in der Dorfchronik. Hat er über ein Jahr dran gesessen. Gab sogar Geld dafür: Eine ABM-Maßnahme. Glück gehabt. Meint der 61-jährige.
Lehmann kennt die Eckdaten des Ortes aus dem Eff-Eff: Gründung der ersten Kirche 967, 1241 erste urkundliche Erwähnung. Jauernick-Buschbach hat die Hussitenkriege überstanden, den Dreißigjährigen Krieg und die Hohenzollern, die sich nach dem Ende der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts das prosperierende Görlitz samt Jauernick-Buschbach einverleibten.
War man halt nicht mehr sächsisch, sondern nieder-schlesisch. Preußisch also. Es folgten: Weltkrieg Eins und Zwei. Und der Aufstieg zum Luftkurort. Bis in Zeiten des realexistierenden Sozialismus der Braunkohletagebau dem Ort so sehr auf die Pelle rückte, dass nicht nur die Erde wegrutschte, sondern es wegen unterirdischer Brände auch zum Himmel stank.
Haben sie auch überstanden. Doziert der Dorfchronist. Genau wie die Wende. Als ihnen der Kanzler der Einheit "blühende Landschaften" versprach.
"Im Prinzip ist ja nach der Wende einiges zusammengebrochen. Im Einkaufsbereich - erst mal angefangen - fürs Örtliche. Der Konsum wurde geschlossen. 1990, glaube ich. Also, die Dorfverkäuferinnen - die kannte man ja alle. Das war die Dolli zum Beispiel. Die Dora Sieber. Da kann ich mich gut erinnern. Und die Frau Trodler."
"Na ja, da war ich dann - bis ich dann 'gehen durfte' - bis 1990. Kurz vor Weihnachten - da war ich nicht mehr gefragt. Mit 416 Mark konnte ich gehen."
32 Jahre hat Inge Trodler im Konsum Textilien und Industriewaren verkauft. Erst oben direkt neben der Barock-Kirche, später dann im alten Gut – unter einem Dach mit der Lebensmittelabteilung.
"Ich habe das noch mitgemacht - diese D-Mark-Umgestaltung. Wo keiner richtig wußte, wo es lang geht. Und na ja: Es war schlimm. Und die Chefin sagt, wenn ich gewusst hätte, dass es läuft... Aber die Leute fahren ja alle hin, wo es billiger ist, ne, was?! Und ich von mir aus würde sagen: Ich würde lieber in einen Laden gehen, wo ich gut beraten und gut bedient werde. Aber das ist ja heute nicht mehr aktuell."
"Da ist gar nicht viel, jetzt. (Öffnet Kühlschrank.) Eben was man so zum Frühstück braucht. Senf auch. Paar Wiener Würste. Zitronensaft, mal zum Tee dazu. Ein bisschen Apfelsaft und Milch hier unten. (Lacht.)"
H-Milch. Die Hausmarke von Edeka. Da kauft Peter Mauermann meist ein: Sind zwar mehr als zehn Kilometer bis nach Görlitz, aber dafür bekommt der Bau-Ingenieur, der nach der Wende mal Bürgermeister von Jauernick-Buschbach war, in der Filiale dort alles, was er braucht.
Von einem Discounter zum anderen hetzen: Ist nicht sein Ding. Geht ihm zu viel Zeit drauf. So wie damals, zu DDR-Zeiten. Da ist er manchmal vier, fünf Mal die Woche zum Konsum.
"Man wusste, wann welche Ware kommt. Und musste eben jedes Mal da sein, damit man das gekriegt hat, was man brauchte. (Lacht.) Ich weiss gar nicht mehr die Tage genau: An einem Tag kam das Bier, an einem Tag kam das Fleisch. Vor allen Dingen, wenn mal Sondersachen kamen wie Südfrüchte oder mal ein Stück Schinken, das gab es vielleicht mal kurz vor Weihnachten. Unterm Ladentisch. Da hat man gar nicht gefragt, das wurde auf den Tisch gelegt. Und das musste man sich schnell wegnehmen, damit - falls Fremde in dem Laden sind - die das nicht auch noch haben wollen. (Lacht.)."
Die Zeiten sind vorbei, seinen Schinken bekommt Peter Mauermann jetzt das ganze Jahr. Weiß er schon zu schätzen. Einerseits. Andererseits vermisst er ihn schon: Seinen "ollen" Konsum. Aber ist nicht mehr.
"Was hatten wir noch? Eine Poststelle! Die Post war auch mit im Gemeindeamt. Das war bloß eine Stube da drin. Hat auch gereicht. Ein, zwei Jahre wird die bestanden haben. Da sind sogar noch Gitter rein gemacht worden, ins Fenster - von der Deutschen Post. Und alles. Das sah noch aus, als ob sich das langfristig halten sollte. Und ein halbes Jahr später war zu."
Zu ist auch das Gemeindeamt. Schon eine Weile: 1994 wurde Jauernick-Buschbach im Zuge der sächsischen Gemeindereform der Großgemeinde Margersdorf zugeschlagen. "Macht die Sache nicht einfacher" - findet Ortsvorsteher Helmut Zaunick:
"Mit Lobbyarbeit ist hier eigentlich nicht viel zu machen. Nämlich: Wir haben nur einen einzigen Gemeindevertreter oder der Gemeinderat im Gemeinderat sitzen."
Das ist Peter Mauermann.
"Und der hat es eben absolut schwer, gegen die anderen Gemeinderäte. Es sind 17. Aus den sieben Ortsteilen. Und er: Bloß mit einer Stimme kommt er gegen die anderen nicht an. Wo wir noch selbständig waren, da haben wir mit unseren Mitteln besser hantieren können als jetzt - als Ortsteil. Da haben wir noch mit vielen Fördermitteln unsere Struktur, wie Feuerwehr und so weiter, direkt modernisieren können."
Schon seit Jahren warten Helmut Zaunick und die anderen darauf, dass die Straße von Jauernick runter nach Buschbach saniert wird. Und schon seit Jahren erhalten sie dieselbe Antwort: Kein Geld, andere Projekte hätten Vorrang. "So ist das halt, wenn man die Eigenständigkeit verliert", sinniert Zaunick - nur um schnell hinzuzufügen, es habe sich seit der Wende aber auch einiges getan.
Die Barockkirche samt Friedhof: renoviert. Genau wie der katholische Wenzeslausstift und die Kreuzberg-Baude, das Bildungszentrum der evangelischen Kirche. Mehr als 30 neue Einfamilienhäuser sind entstanden, viele alte Häuser renoviert worden.
Seines zum Beispiel. Schon die Großeltern haben hier gewohnt. Einfache Bauern, die Hühner und Schweine hatten. Im Schweinestall ist heute Zaunicks "Büro" - wie er das nennt. Sitzt er in letzter Zeit häufiger drin.
"Ich bin seit vier Jahren zu Hause. Ich war bei Vattenfall. Und bei Vattenfall hat man die Regelung geschaffen: Jahrgang 50, 51 in den Vorruhestand zu schicken. Und da bin ich mit 53 in den Vorruhe. Ich hätte gerne noch weiter gemacht. Aber: Wenn eben die Struktur so ist, da musste man eben gehen. Und wenn man eben mit 85 Prozent geht, dann geht das schon."
Helmut Zaunick ist nicht der einzige in Jauernick-Buschbach, der frühzeitig in den Ruhestand geschickt wurde. Joachim Lehmann - dem Ortschronisten - ist es ähnlich gegangen.
"Nachdem die Entscheidung kam: Das Kraftwerk wird geschlossen: Zum 31.12.1997. Mich hat das ja selber betroffen. Ich war also über 30 Jahre in der Energiewirtschaft tätig. War für uns natürlich ein Riesenverlust. Sie können sich ja vorstellen: Es sind ja im Kraftwerk 3000 Personen beschäftigt und im Tagebau Oberlausitz ebenfalls 3000. Also, es sind in Summe so über 6000 Menschen, die hier dann Ende 97 ihre Arbeit eingebüßt hatten."
Beruflich Fuß gefasst hat Joachim Lehmann seitdem nicht mehr. Ein paar Fortbildungen, das ABM-Projekt zur Erstellung der Dorfchronik, das war es. Jetzt ist er 61 - und Rentner. Dürfte Karin Meinert bekannt vorkommen. Die Ortsvorsitzende der Volkssolidarität hat 37-einhalb Jahre für das Kraftwerk gearbeitet - in der Instandhaltung als Koordinatorin. Bis es 1999 nichts mehr Instand zuhalten und zu koordinieren gab.
Auf Altenpflegerin wollte Karin Meinert danach umsatteln. Ging aber nicht, beschied ihr das Arbeitsamt, weil: Sie sei a) überqualifiziert und b) schlicht zu alt. Als ihr Mann schwer erkrankte, hatte sie die Nase voll - und entschloss sich, lieber zu Hause ihren Mann zu pflegen, als weiter das Arbeitsamt davon zu überzeugen, dass sie vielleicht doch noch nicht zu alt sei für einen halbwegs anspruchsvollen Job.
Karin Meinerts Mann ist 2004 gestorben. Über den Verlust ist sie nur schwer hinweg gekommen. Sagt sie. Ist einfach so zusammen gebrochen: Ihr altes Leben. Ihr Mann, ihre Arbeit - einfach weg. Genau wie das Dorf ihrer Jugend.
"Wir hatten Bäckereien, wir hatten Tischler. Wir hatten Schuster, wir hatten Fleischer, wir hatten vier Gaststätten. Wir hatten eine eigene Post. Ja, und das einzige, was noch übrig geblieben ist, ist die Gaststätte."
"Wir befinden uns hier im Berggasthof in Jauernick-Buschbach. Und mein Name ist Enrico Zimmermann."
Der Berggasthof hatte schon zu DDR-Zeiten einen Namen. Bis von Görlitz und Dresden kamen die Besucher wegen der gutbürgerlichen Küche. Vor allem Wild. Das ist heute noch so.
"Wildschwein acht Euro. Das teuerste Gericht ist Rehbraten mit 12,60 Euro."
Meist erhält Enrico Zimmermann das Wild direkt von den Jägern aus Jauernick-Buschbach. Frei Haus. Wildschwein, Reh, Hirsch. Auf rund 60 Kilo bringt es ein ausgewachsener Hirsch, das reicht für knapp eine Woche. Alle anderen Lebensmittel werden von außerhalb angeliefert.
"Wir haben eigentlich in Jauernick nur noch ein Hof, der im Landwirtschaftsbereich macht. Aber der versorgt sich selber. Da wird auch nie viel verkauft."
Mauermann (Kramt in ihrer Tasche.): "So! Noch was?! Und das ist Streuselkuchen? Die zwei hier?"
Bäckerin: "Das hier? Ne, das ist Preiselbeer. Da ist bloß Streusel druff. Und das hier sind Streuselschnecken."
Mauermann: "Nehme ich Streuselschnecken…"
Kommt einiges zusammen – bei Marianne Mauermann.
"Muss ja die ganze Woche reichen. Die Semmel reichen die ganze Woche."
"Komm' doch nur einmal die Woche."
"Und dann wird halt, wenn sie alt sind, aufgebacken."
Drei oder vier Tage alte Brötchen: Damit kann Marianne Mauermann ihren Kindern nicht kommen. Ganz zu schweigen von den Enkelkindern. Aber ist ja auch eine andere Generation: die "jungen Leute". Meint die 79-jährige. Bleiben ja auch meist unter sich. In ihrer Kindheit war das noch anders, wohnten drei, manchmal sogar vier Generationen unter einem Dach. Der Zusammenhalt, klagt die Rentnerin, der Zusammenhalt sei nicht mehr der gleiche. Auch im Dorf.
"Sind ja viele zugezogen in Jauernick, die lernt man gar nie kennen. Weil man einfach nicht mit ihren zusammen kommt."
"Die Treffmöglichkeit: Post, Konsum und so was - das fehlt den Leuten als Verbindung, als Treffelement - das hat sich ein bisserl mehr ins Hausbereich hingezogen. Und das, würde ich sagen, ist negativ."
Findet Joachim Lehmann. Tatsächlich wirken die Straßen in Jauernick-Buschbach nicht nur um die Mittagszeit wie ausgestorben. Selten ein Auto, noch seltener Kindergeschrei. Stattdessen Stille. Und ab und zu eine Seniorin, die langsam die Treppen zur Kirche hochsteigt.
"Und die Jugend?! Das ist wieder ein Punkt. Ist eben leider bei uns, dass viele Jugendliche aufgrund der fehlenden Arbeitsbedingungen wegziehen - in die alten Bundesländer. Und da haben wir bestimmt so zehn Jugendliche, die im Raum Bodensee, Baden-Württemberg und im bayerischen Raum Fuß gefasst haben. Und dort habe ich leider die Sorge, dass die nicht mehr wieder kommen werden."
Schon gar nicht in den Festsaal des Berggasthofs. Aufwendig renoviert hat Einrico Zimmermann ihn zusammen mit seiner Frau - "im Landhausstil", aber voll wird er nur noch zu Hochzeiten oder runden Geburtstagen. Lässt sich an zwei Händen abzählen. Müssen sie sich halt etwas einfallen lassen, um über die Runden zu kommen - die Zimmermanns. Der Biergarten etwa: Im Sommer können die Wanderer und Motorradfahrer, die hier Station machen, bei gutem Wetter bis zum Iser- und Riesengebirge schauen. Bringt zusätzliches Geld - genau wie der Lieferservice. Während der Woche liefert Enrico Zimmermann jeden Tag rund acht Privatkunden Mittagessen: Eine Arztpraxis, ein Frisör, manchmal auch die Evangelische Bildungsstätte. Wie gesagt: Bringt zusätzlich etwas ein, nur: Große Reichtümer sind damit auch nicht zu verdienen.
"Die Leute verdienen hier eben nicht die Wucht. Und wenn man in die Gaststätte geht, bezahlt man für ein Bier 2,40 Euro."
Anderer Mann: "2,60 Euro!"
"Oder 2,60, ne?! Und das ist schon ganz schön gewaltig. Bei manchen Familien, wo bloß einer arbeiten geht, der andere ist arbeitslos, oder ist sogar Hartz-IV-Empfänger. Und da tut man schon den Euro im Portemonnaie zwei, drei Mal umdrehen, bevor man in die Gaststätte geht."
Zu DDR-Zeiten war das noch anders. Erinnert sich der Ortsvorsteher.
"Weil man hat ja für einen 50er ein Bier gekriegt. Ja, und da konnte man auch mal eine Runde reinhauen. Und jetzt wird man sich das schon überlegen."
Wann Karin Meinert das letzte Mal in der Gaststätte war: Kann sie sich nicht mehr daran erinnern. Muss lange her sein. Geht so und so nur noch selten aus. Aber zumindest hat sie noch ihre ehrenamtliche Arbeit für die Volkssolidarität. Hält sie auf Trab. Das Organisieren der Kaffeekränze für ihre Senioren, die Vorträge, die Ausflüge nach Görlitz oder weiter weg. 72 Mitglieder hat die Volkssolidarität in Jauernick-Buschbach.
"Es wird immer weniger. Wir haben da auch Probleme bei unseren Veranstaltungen. Wir hatten sonst: Der Durchschnitt war bei Weihnachtsfeiern beispielsweise 80. Jetzt haben wir nur noch 50, so etwa. Und andere Veranstaltungen, von den Mitgliedern her, muss ich sagen: Wir haben wenig Jüngere. Wer tritt noch diesem Verein ein? Es kostet alles Geld. Na ja! Es ist schon ein Abbruch zu verzeichnen."
Dass viele in Jauernick-Buschbach den Gürtel enger schnallen müssen - nicht zuletzt die Rentner - das spürt auch Joachim Gottschling.
"Ich will mal sagen: Die letzte Woche im Monat. Aber jetzt geht es schon los, dass Monatsmitte die Zählerei vorm Laden los geht. So sieht das aus. Wir verdienen einfach zu wenig. So einfach ist das. Das ist nie dem Standard, dem heutigen deutschen Standard, angepasst. Unser Lohn. Das kann nicht funktionieren. Und die Arbeitslosigkeit dazu. Aber selbst die, die arbeiten gehen: Man kann es bloß einmal ausgeben. So was wie Urlaub. Oder wenn sie mal reden von Kultur, Kino?! Das gibt es nicht mehr. Ich kann es mir nicht mehr leisten. Meine Frau ist Invalide geworden. Das ist nur, dass es sich immer dreht. Dass man lebt. Mehr ist nimmer."
"Und ein Päckerl Zwieback?! Haben Sie das auch?"
"Das habe ich auch…"
"Wir haben das Glück, dass zweimal Verkaufswagen am Dienstag und am Donnerstag nach Jauernick kommen."
"Dienstag?! Ne! Kommt bloß donnerstags."
"Bloß noch donnerstags?!"
"Drei Jahre ist bestimmt nur noch donnerstags."
Rentiert sich halt nicht, zwei Mal die Woche nach Jauernick-Buschbach zu kommen: Zu wenig Kaufkraft. Eigentlich sind sich ja auch alle einig in Jauernick-Buschbach: Dass es am besten wäre, wenn sie wieder einen eigenen Laden hätten. Erklärt der Ex-Bürgermeister. Aber gar nicht so einfach.
"Der Umsatz ist hier ja doch nicht so. Und man sieht es im Nachbarort, wo noch so eine Verkaufsstelle ist: Die haben eben auch ganz schön zu tun, dass die sich halten können. Wie es überall ist - auf diesen Landverkaufsstellen. Der Umsatz fehlt natürlich. Und die können die Preise ja doch nicht so machen, wie in den Großverkaufsstellen."
Gegen Marktkauf, Edeka und Co. kommt Joachim Gottschling auch nicht an - ganz zu schweigen von Aldi und Lidl. Wenn er mit denen konkurrieren wollte - vom Preis her - könnte er gleich einpacken. Meint der Fleischermeister. Qualität und Service statt "Dauertiefpreise" und "Super-Schnäppchen" - mit dieser Strategie will sich der 56-jährige über Wasser halten.
"Ich hoffe, bis zur Rente. Da dürfen wir ja jetzt bis 66 gehen. Aber ob sich das so lange tragen wird, das ist die Frage."
Könnte schwierig werden. Laut einer Studie des sächsischen Wirtschaftsministeriums wird die Nachfrage in gut einem Drittel der Gemeinden des Freistaates bis 2020 um drei bis sieben Prozent abnehmen. Keine besonders guten Aussichten für Jauernick-Buschbach. Aber ganz haben sie die Hoffnung im Dorf noch nicht aufgegeben. Dass es vielleicht doch noch wieder etwas werden könnte mit dem eigenen Laden.
"Ich sage mal so: Wenn diese Dinge umgesetzt werden - mit dem Berzdorfer See und dem Erholungsgebiet. Und dem Tourismus. Was ja alles so geplant ist. Könnte es oder muss es sogar passieren, dass sich hier ein Laden etablieren muss, um gerade Urlauber und Leute, die den Ort besuchen, auch zu versorgen in irgendeiner Weise."
Müssen sie halt ein langen Atem haben - Enrico Zimmermann und anderen. Volllaufen wird der Berzdorfer See nämlich erst…
"…um 2013, 15."
Bäckerin: "Alles?"
Mauermann: "Ja, danke."
Bäckerin: "14,30 Euro."
"Dann nehm ich noch vier Semmeln."
"Ja!"
"Und zwei Milchzöpfe. Haben Sie eine Tüte Mehl?"
"Ja!"
"Ach so. Ich habe meinen Zettel, aber ich weiß gar nicht, wo ich ihn jetzt habe…"
Ohne ihren Zettel verlässt Marianne Mauermann Donnerstags nie das Haus. Immer die gleiche Routine: Am Vormittag verschafft sich die 79-jährige aus Jauernick-Buschbach - einem 500-Seelen-Dorf unweit der polnischen Grenze - einen Überblick darüber, was sie braucht: Butter?! Noch da. Milch? Ebenfalls. Aber das Mehl fehlt. Und Zwieback. Meist kommt die Rentnerin auf fünf, sechs Sachen. Lebt ja alleine, da braucht sie nicht so viel.
Mit ihrer "kleinen Gedankenstütze" macht sich Marianne Mauermann gegen halb drei dann auf den Weg zur Dorfstraße. Setzt sich auf die Bank zu ihren zwei Freundinnen. Und wartet. Bis es drei wird. Und die zwei Wagen vom Bäcker und Fleischer vorfahren.
"Ich kaufe alles hier. Weil es hier kein Geschäft mehr gibt. Und man hätte auch Gelegenheit: Man könnte auch in die Stadt fahren, aber: Wenn man es hier bequem hat, holt man sich hier das nötigste. Aber alles haben sie ja nicht. Bisserl Fleisch, bisserl Wurst."
"Leberwurst. Rohwurst. Alles eigene Produkte."
Seit sechs Uhr morgens ist Joachim Gottschling jetzt schon auf den Beinen. Donnerstags, meint der Metzger, der mit seinem geröteten Gesicht und dem Schnauzer so aussieht, als sei er gerade einem Werbeclip der Fleischerinnung aus den 70er Jahren entsprungen: Donnerstags ist "sein Horrortag". Neun Orte in knapp acht Stunden, Jauernick ist die vorletzte Station.
"Die Dörfer - dann, je nach Bedarf, eben bloß zwanzig Minuten. Man kennt ja die Kunden. Da frage ich dann, wenn ich jemanden sehe: Wollen Sie noch was? Die Kunden hier sind alle Ältere. Das ist selten mal ein junger Mensch, eine junge Frau. Hier: Alles Ältere."
"Ja, das kann ich ihnen auch zeigen. (Blättert.) Und der alte Bäckerladen. Sehen Sie: Ist der alte Konsum hier. So sah der an der Dorfstraße aus..."
Joachim Lehmann verwaltet die Geschichte von Jauernick-Buschbach. Alles fein säuberlich abgeheftet in der Dorfchronik. Hat er über ein Jahr dran gesessen. Gab sogar Geld dafür: Eine ABM-Maßnahme. Glück gehabt. Meint der 61-jährige.
Lehmann kennt die Eckdaten des Ortes aus dem Eff-Eff: Gründung der ersten Kirche 967, 1241 erste urkundliche Erwähnung. Jauernick-Buschbach hat die Hussitenkriege überstanden, den Dreißigjährigen Krieg und die Hohenzollern, die sich nach dem Ende der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts das prosperierende Görlitz samt Jauernick-Buschbach einverleibten.
War man halt nicht mehr sächsisch, sondern nieder-schlesisch. Preußisch also. Es folgten: Weltkrieg Eins und Zwei. Und der Aufstieg zum Luftkurort. Bis in Zeiten des realexistierenden Sozialismus der Braunkohletagebau dem Ort so sehr auf die Pelle rückte, dass nicht nur die Erde wegrutschte, sondern es wegen unterirdischer Brände auch zum Himmel stank.
Haben sie auch überstanden. Doziert der Dorfchronist. Genau wie die Wende. Als ihnen der Kanzler der Einheit "blühende Landschaften" versprach.
"Im Prinzip ist ja nach der Wende einiges zusammengebrochen. Im Einkaufsbereich - erst mal angefangen - fürs Örtliche. Der Konsum wurde geschlossen. 1990, glaube ich. Also, die Dorfverkäuferinnen - die kannte man ja alle. Das war die Dolli zum Beispiel. Die Dora Sieber. Da kann ich mich gut erinnern. Und die Frau Trodler."
"Na ja, da war ich dann - bis ich dann 'gehen durfte' - bis 1990. Kurz vor Weihnachten - da war ich nicht mehr gefragt. Mit 416 Mark konnte ich gehen."
32 Jahre hat Inge Trodler im Konsum Textilien und Industriewaren verkauft. Erst oben direkt neben der Barock-Kirche, später dann im alten Gut – unter einem Dach mit der Lebensmittelabteilung.
"Ich habe das noch mitgemacht - diese D-Mark-Umgestaltung. Wo keiner richtig wußte, wo es lang geht. Und na ja: Es war schlimm. Und die Chefin sagt, wenn ich gewusst hätte, dass es läuft... Aber die Leute fahren ja alle hin, wo es billiger ist, ne, was?! Und ich von mir aus würde sagen: Ich würde lieber in einen Laden gehen, wo ich gut beraten und gut bedient werde. Aber das ist ja heute nicht mehr aktuell."
"Da ist gar nicht viel, jetzt. (Öffnet Kühlschrank.) Eben was man so zum Frühstück braucht. Senf auch. Paar Wiener Würste. Zitronensaft, mal zum Tee dazu. Ein bisschen Apfelsaft und Milch hier unten. (Lacht.)"
H-Milch. Die Hausmarke von Edeka. Da kauft Peter Mauermann meist ein: Sind zwar mehr als zehn Kilometer bis nach Görlitz, aber dafür bekommt der Bau-Ingenieur, der nach der Wende mal Bürgermeister von Jauernick-Buschbach war, in der Filiale dort alles, was er braucht.
Von einem Discounter zum anderen hetzen: Ist nicht sein Ding. Geht ihm zu viel Zeit drauf. So wie damals, zu DDR-Zeiten. Da ist er manchmal vier, fünf Mal die Woche zum Konsum.
"Man wusste, wann welche Ware kommt. Und musste eben jedes Mal da sein, damit man das gekriegt hat, was man brauchte. (Lacht.) Ich weiss gar nicht mehr die Tage genau: An einem Tag kam das Bier, an einem Tag kam das Fleisch. Vor allen Dingen, wenn mal Sondersachen kamen wie Südfrüchte oder mal ein Stück Schinken, das gab es vielleicht mal kurz vor Weihnachten. Unterm Ladentisch. Da hat man gar nicht gefragt, das wurde auf den Tisch gelegt. Und das musste man sich schnell wegnehmen, damit - falls Fremde in dem Laden sind - die das nicht auch noch haben wollen. (Lacht.)."
Die Zeiten sind vorbei, seinen Schinken bekommt Peter Mauermann jetzt das ganze Jahr. Weiß er schon zu schätzen. Einerseits. Andererseits vermisst er ihn schon: Seinen "ollen" Konsum. Aber ist nicht mehr.
"Was hatten wir noch? Eine Poststelle! Die Post war auch mit im Gemeindeamt. Das war bloß eine Stube da drin. Hat auch gereicht. Ein, zwei Jahre wird die bestanden haben. Da sind sogar noch Gitter rein gemacht worden, ins Fenster - von der Deutschen Post. Und alles. Das sah noch aus, als ob sich das langfristig halten sollte. Und ein halbes Jahr später war zu."
Zu ist auch das Gemeindeamt. Schon eine Weile: 1994 wurde Jauernick-Buschbach im Zuge der sächsischen Gemeindereform der Großgemeinde Margersdorf zugeschlagen. "Macht die Sache nicht einfacher" - findet Ortsvorsteher Helmut Zaunick:
"Mit Lobbyarbeit ist hier eigentlich nicht viel zu machen. Nämlich: Wir haben nur einen einzigen Gemeindevertreter oder der Gemeinderat im Gemeinderat sitzen."
Das ist Peter Mauermann.
"Und der hat es eben absolut schwer, gegen die anderen Gemeinderäte. Es sind 17. Aus den sieben Ortsteilen. Und er: Bloß mit einer Stimme kommt er gegen die anderen nicht an. Wo wir noch selbständig waren, da haben wir mit unseren Mitteln besser hantieren können als jetzt - als Ortsteil. Da haben wir noch mit vielen Fördermitteln unsere Struktur, wie Feuerwehr und so weiter, direkt modernisieren können."
Schon seit Jahren warten Helmut Zaunick und die anderen darauf, dass die Straße von Jauernick runter nach Buschbach saniert wird. Und schon seit Jahren erhalten sie dieselbe Antwort: Kein Geld, andere Projekte hätten Vorrang. "So ist das halt, wenn man die Eigenständigkeit verliert", sinniert Zaunick - nur um schnell hinzuzufügen, es habe sich seit der Wende aber auch einiges getan.
Die Barockkirche samt Friedhof: renoviert. Genau wie der katholische Wenzeslausstift und die Kreuzberg-Baude, das Bildungszentrum der evangelischen Kirche. Mehr als 30 neue Einfamilienhäuser sind entstanden, viele alte Häuser renoviert worden.
Seines zum Beispiel. Schon die Großeltern haben hier gewohnt. Einfache Bauern, die Hühner und Schweine hatten. Im Schweinestall ist heute Zaunicks "Büro" - wie er das nennt. Sitzt er in letzter Zeit häufiger drin.
"Ich bin seit vier Jahren zu Hause. Ich war bei Vattenfall. Und bei Vattenfall hat man die Regelung geschaffen: Jahrgang 50, 51 in den Vorruhestand zu schicken. Und da bin ich mit 53 in den Vorruhe. Ich hätte gerne noch weiter gemacht. Aber: Wenn eben die Struktur so ist, da musste man eben gehen. Und wenn man eben mit 85 Prozent geht, dann geht das schon."
Helmut Zaunick ist nicht der einzige in Jauernick-Buschbach, der frühzeitig in den Ruhestand geschickt wurde. Joachim Lehmann - dem Ortschronisten - ist es ähnlich gegangen.
"Nachdem die Entscheidung kam: Das Kraftwerk wird geschlossen: Zum 31.12.1997. Mich hat das ja selber betroffen. Ich war also über 30 Jahre in der Energiewirtschaft tätig. War für uns natürlich ein Riesenverlust. Sie können sich ja vorstellen: Es sind ja im Kraftwerk 3000 Personen beschäftigt und im Tagebau Oberlausitz ebenfalls 3000. Also, es sind in Summe so über 6000 Menschen, die hier dann Ende 97 ihre Arbeit eingebüßt hatten."
Beruflich Fuß gefasst hat Joachim Lehmann seitdem nicht mehr. Ein paar Fortbildungen, das ABM-Projekt zur Erstellung der Dorfchronik, das war es. Jetzt ist er 61 - und Rentner. Dürfte Karin Meinert bekannt vorkommen. Die Ortsvorsitzende der Volkssolidarität hat 37-einhalb Jahre für das Kraftwerk gearbeitet - in der Instandhaltung als Koordinatorin. Bis es 1999 nichts mehr Instand zuhalten und zu koordinieren gab.
Auf Altenpflegerin wollte Karin Meinert danach umsatteln. Ging aber nicht, beschied ihr das Arbeitsamt, weil: Sie sei a) überqualifiziert und b) schlicht zu alt. Als ihr Mann schwer erkrankte, hatte sie die Nase voll - und entschloss sich, lieber zu Hause ihren Mann zu pflegen, als weiter das Arbeitsamt davon zu überzeugen, dass sie vielleicht doch noch nicht zu alt sei für einen halbwegs anspruchsvollen Job.
Karin Meinerts Mann ist 2004 gestorben. Über den Verlust ist sie nur schwer hinweg gekommen. Sagt sie. Ist einfach so zusammen gebrochen: Ihr altes Leben. Ihr Mann, ihre Arbeit - einfach weg. Genau wie das Dorf ihrer Jugend.
"Wir hatten Bäckereien, wir hatten Tischler. Wir hatten Schuster, wir hatten Fleischer, wir hatten vier Gaststätten. Wir hatten eine eigene Post. Ja, und das einzige, was noch übrig geblieben ist, ist die Gaststätte."
"Wir befinden uns hier im Berggasthof in Jauernick-Buschbach. Und mein Name ist Enrico Zimmermann."
Der Berggasthof hatte schon zu DDR-Zeiten einen Namen. Bis von Görlitz und Dresden kamen die Besucher wegen der gutbürgerlichen Küche. Vor allem Wild. Das ist heute noch so.
"Wildschwein acht Euro. Das teuerste Gericht ist Rehbraten mit 12,60 Euro."
Meist erhält Enrico Zimmermann das Wild direkt von den Jägern aus Jauernick-Buschbach. Frei Haus. Wildschwein, Reh, Hirsch. Auf rund 60 Kilo bringt es ein ausgewachsener Hirsch, das reicht für knapp eine Woche. Alle anderen Lebensmittel werden von außerhalb angeliefert.
"Wir haben eigentlich in Jauernick nur noch ein Hof, der im Landwirtschaftsbereich macht. Aber der versorgt sich selber. Da wird auch nie viel verkauft."
Mauermann (Kramt in ihrer Tasche.): "So! Noch was?! Und das ist Streuselkuchen? Die zwei hier?"
Bäckerin: "Das hier? Ne, das ist Preiselbeer. Da ist bloß Streusel druff. Und das hier sind Streuselschnecken."
Mauermann: "Nehme ich Streuselschnecken…"
Kommt einiges zusammen – bei Marianne Mauermann.
"Muss ja die ganze Woche reichen. Die Semmel reichen die ganze Woche."
"Komm' doch nur einmal die Woche."
"Und dann wird halt, wenn sie alt sind, aufgebacken."
Drei oder vier Tage alte Brötchen: Damit kann Marianne Mauermann ihren Kindern nicht kommen. Ganz zu schweigen von den Enkelkindern. Aber ist ja auch eine andere Generation: die "jungen Leute". Meint die 79-jährige. Bleiben ja auch meist unter sich. In ihrer Kindheit war das noch anders, wohnten drei, manchmal sogar vier Generationen unter einem Dach. Der Zusammenhalt, klagt die Rentnerin, der Zusammenhalt sei nicht mehr der gleiche. Auch im Dorf.
"Sind ja viele zugezogen in Jauernick, die lernt man gar nie kennen. Weil man einfach nicht mit ihren zusammen kommt."
"Die Treffmöglichkeit: Post, Konsum und so was - das fehlt den Leuten als Verbindung, als Treffelement - das hat sich ein bisserl mehr ins Hausbereich hingezogen. Und das, würde ich sagen, ist negativ."
Findet Joachim Lehmann. Tatsächlich wirken die Straßen in Jauernick-Buschbach nicht nur um die Mittagszeit wie ausgestorben. Selten ein Auto, noch seltener Kindergeschrei. Stattdessen Stille. Und ab und zu eine Seniorin, die langsam die Treppen zur Kirche hochsteigt.
"Und die Jugend?! Das ist wieder ein Punkt. Ist eben leider bei uns, dass viele Jugendliche aufgrund der fehlenden Arbeitsbedingungen wegziehen - in die alten Bundesländer. Und da haben wir bestimmt so zehn Jugendliche, die im Raum Bodensee, Baden-Württemberg und im bayerischen Raum Fuß gefasst haben. Und dort habe ich leider die Sorge, dass die nicht mehr wieder kommen werden."
Schon gar nicht in den Festsaal des Berggasthofs. Aufwendig renoviert hat Einrico Zimmermann ihn zusammen mit seiner Frau - "im Landhausstil", aber voll wird er nur noch zu Hochzeiten oder runden Geburtstagen. Lässt sich an zwei Händen abzählen. Müssen sie sich halt etwas einfallen lassen, um über die Runden zu kommen - die Zimmermanns. Der Biergarten etwa: Im Sommer können die Wanderer und Motorradfahrer, die hier Station machen, bei gutem Wetter bis zum Iser- und Riesengebirge schauen. Bringt zusätzliches Geld - genau wie der Lieferservice. Während der Woche liefert Enrico Zimmermann jeden Tag rund acht Privatkunden Mittagessen: Eine Arztpraxis, ein Frisör, manchmal auch die Evangelische Bildungsstätte. Wie gesagt: Bringt zusätzlich etwas ein, nur: Große Reichtümer sind damit auch nicht zu verdienen.
"Die Leute verdienen hier eben nicht die Wucht. Und wenn man in die Gaststätte geht, bezahlt man für ein Bier 2,40 Euro."
Anderer Mann: "2,60 Euro!"
"Oder 2,60, ne?! Und das ist schon ganz schön gewaltig. Bei manchen Familien, wo bloß einer arbeiten geht, der andere ist arbeitslos, oder ist sogar Hartz-IV-Empfänger. Und da tut man schon den Euro im Portemonnaie zwei, drei Mal umdrehen, bevor man in die Gaststätte geht."
Zu DDR-Zeiten war das noch anders. Erinnert sich der Ortsvorsteher.
"Weil man hat ja für einen 50er ein Bier gekriegt. Ja, und da konnte man auch mal eine Runde reinhauen. Und jetzt wird man sich das schon überlegen."
Wann Karin Meinert das letzte Mal in der Gaststätte war: Kann sie sich nicht mehr daran erinnern. Muss lange her sein. Geht so und so nur noch selten aus. Aber zumindest hat sie noch ihre ehrenamtliche Arbeit für die Volkssolidarität. Hält sie auf Trab. Das Organisieren der Kaffeekränze für ihre Senioren, die Vorträge, die Ausflüge nach Görlitz oder weiter weg. 72 Mitglieder hat die Volkssolidarität in Jauernick-Buschbach.
"Es wird immer weniger. Wir haben da auch Probleme bei unseren Veranstaltungen. Wir hatten sonst: Der Durchschnitt war bei Weihnachtsfeiern beispielsweise 80. Jetzt haben wir nur noch 50, so etwa. Und andere Veranstaltungen, von den Mitgliedern her, muss ich sagen: Wir haben wenig Jüngere. Wer tritt noch diesem Verein ein? Es kostet alles Geld. Na ja! Es ist schon ein Abbruch zu verzeichnen."
Dass viele in Jauernick-Buschbach den Gürtel enger schnallen müssen - nicht zuletzt die Rentner - das spürt auch Joachim Gottschling.
"Ich will mal sagen: Die letzte Woche im Monat. Aber jetzt geht es schon los, dass Monatsmitte die Zählerei vorm Laden los geht. So sieht das aus. Wir verdienen einfach zu wenig. So einfach ist das. Das ist nie dem Standard, dem heutigen deutschen Standard, angepasst. Unser Lohn. Das kann nicht funktionieren. Und die Arbeitslosigkeit dazu. Aber selbst die, die arbeiten gehen: Man kann es bloß einmal ausgeben. So was wie Urlaub. Oder wenn sie mal reden von Kultur, Kino?! Das gibt es nicht mehr. Ich kann es mir nicht mehr leisten. Meine Frau ist Invalide geworden. Das ist nur, dass es sich immer dreht. Dass man lebt. Mehr ist nimmer."
"Und ein Päckerl Zwieback?! Haben Sie das auch?"
"Das habe ich auch…"
"Wir haben das Glück, dass zweimal Verkaufswagen am Dienstag und am Donnerstag nach Jauernick kommen."
"Dienstag?! Ne! Kommt bloß donnerstags."
"Bloß noch donnerstags?!"
"Drei Jahre ist bestimmt nur noch donnerstags."
Rentiert sich halt nicht, zwei Mal die Woche nach Jauernick-Buschbach zu kommen: Zu wenig Kaufkraft. Eigentlich sind sich ja auch alle einig in Jauernick-Buschbach: Dass es am besten wäre, wenn sie wieder einen eigenen Laden hätten. Erklärt der Ex-Bürgermeister. Aber gar nicht so einfach.
"Der Umsatz ist hier ja doch nicht so. Und man sieht es im Nachbarort, wo noch so eine Verkaufsstelle ist: Die haben eben auch ganz schön zu tun, dass die sich halten können. Wie es überall ist - auf diesen Landverkaufsstellen. Der Umsatz fehlt natürlich. Und die können die Preise ja doch nicht so machen, wie in den Großverkaufsstellen."
Gegen Marktkauf, Edeka und Co. kommt Joachim Gottschling auch nicht an - ganz zu schweigen von Aldi und Lidl. Wenn er mit denen konkurrieren wollte - vom Preis her - könnte er gleich einpacken. Meint der Fleischermeister. Qualität und Service statt "Dauertiefpreise" und "Super-Schnäppchen" - mit dieser Strategie will sich der 56-jährige über Wasser halten.
"Ich hoffe, bis zur Rente. Da dürfen wir ja jetzt bis 66 gehen. Aber ob sich das so lange tragen wird, das ist die Frage."
Könnte schwierig werden. Laut einer Studie des sächsischen Wirtschaftsministeriums wird die Nachfrage in gut einem Drittel der Gemeinden des Freistaates bis 2020 um drei bis sieben Prozent abnehmen. Keine besonders guten Aussichten für Jauernick-Buschbach. Aber ganz haben sie die Hoffnung im Dorf noch nicht aufgegeben. Dass es vielleicht doch noch wieder etwas werden könnte mit dem eigenen Laden.
"Ich sage mal so: Wenn diese Dinge umgesetzt werden - mit dem Berzdorfer See und dem Erholungsgebiet. Und dem Tourismus. Was ja alles so geplant ist. Könnte es oder muss es sogar passieren, dass sich hier ein Laden etablieren muss, um gerade Urlauber und Leute, die den Ort besuchen, auch zu versorgen in irgendeiner Weise."
Müssen sie halt ein langen Atem haben - Enrico Zimmermann und anderen. Volllaufen wird der Berzdorfer See nämlich erst…
"…um 2013, 15."
Bäckerin: "Alles?"
Mauermann: "Ja, danke."
Bäckerin: "14,30 Euro."