Gier, Geld, Genom
Mit "Zeit der Asche" hat der gelobte wie umstrittene mexikanische Schriftsteller Jorge Volpi eine Trilogie abgeschlossen, die er 1999 mit dem preisgekrönten "Klingsor-Paradox" begann. In einem großen Bogen behandelt Volpi darin die Zeit von 1929 bis 2000 und demonstriert an fünf exemplarischen Personen, wie die Welt zwischen Kommunismus und Kapitalismus zerrieben wurde.
Der Einstieg nimmt einen gefangen: Tschernobyl im April 1986, als im Reaktorblock 4 der GAU beginnt. Und die Tage danach, in denen das bürokratische Monster Sowjetunion reagiert auf das Monster Kernschmelze - mit "Liquidatoren" und Vertuschungsaktionen.
Nach diesem "Präludium" raubt einem die Gefangennahme bald den Atem: Man findet sich wieder in einer Blase aus großer Geste, seitenlanger Nachhilfe in Zeitgeschehen und einer Prosa wie ausformuliertes Recherchematerial für ein Filmprojekt, Reißbrettfiguren inbegriffen. "Und ab und zu ein weißer Elefant", seufzt man dankbar bei einzelnen Szenen, die Stil, Atmosphäre und Plausibilität haben, ein wenig Kellerschen "Sitz im Leben".
Sieben Hauptfiguren - fünf davon Frauen - sollen verkörpern, was Kommunismus und Kapitalismus in inniger Konkurrenz, später Kollaboration aus der Welt gemacht haben. Der Kürze halber hier nur mit Vornamen genannt: Irina (geboren 1932) und Arkadi (1929), beide Biologen und Elite des homo sovieticus, geraten nach und nach in Dissidenz und sind so voller Forscherdrang und Politik, dass Tochter Oksana (1976) dazwischen zerquetscht wird.
Jennifer und Jack (Mitte 1940er), Elite des homo wallstreeticus, sie Bankerin beim Internationalen Währungsfonds, er Gründer einer börsennotierten Biotechnik-Firma, korrupt und machtgeil.
Jennifers Schwester Allison, Antithese und Dauerkonkurrentin, weilt just an Bord der Rainbow Warrior, als diese vom französischen Geheimdienst mit Minen versenkt wird. Schließlich Éva (1956), mit den Eltern aus Ungarn in die USA geflüchtet, Kybernetik-Genie und Sexmaniac mit depressiver Grundierung. Spielort: alle Kontinente. Zeit: 1929 bis 31. Dezember 2000. Themen: Gier, Geld, Genom.
Das alles erzählt Juri, geboren 1958 in Baku, Afghanistan-Soldat, Erdölingenieur und Hobby-Schreiber, später, perestroikagestützt, Reporter, weltberühmt durch ein Buch über Michail Chodorkowski, attentat- und alkoholgefährdet. Auf Seite 38 führt er sich selbst ein und bringt den Deus ex Machina gleich mit. Er steht vor Gericht, er hat Éva umgebracht und klagt, "dass ich zu einer Figur in einem Krimi werde, dieser Abraum der Vorstellungskraft, dieser literarische Virus, wo ich dieses unechte und überflüssige Genre doch immer verachtet habe". Schreibt dann aber im Knast "das einzige Buch, das zu schreiben sich lohnt. (...) eine Abrechnung." Eben dieses. Laut Verlagswerbung "ein globales Gesellschaftsepos, orchestriert wie ein Krimi".
Juris Sätze, so bar jeder ironischen Brechung wie der ganze Roman, klingen fatal nach einem Selbstporträt des Autors. Mit "Zeit der Asche" hat der gelobte wie umstrittene mexikanische Schriftsteller die Trilogie abgeschlossen, die er 1999 mit dem preisgekrönten "Klingsor-Paradox" begonnen hatte. (Den zweiten Teil "El fin de locura" gibt es nicht auf Deutsch.)
Kriminalliteratur ist nichts davon, die bezieht ihre Kraft aus sich selbst: Sie braucht weder fünf Seiten Personenregister (fiktiv wie real) noch einen Autor, der im Buch selbst als sein eigener Philologe brilliert, dem aber entgeht, dass das Timing am Ende nicht stimmt.
Seit 2007 ist Volpi – nach Stationen als Jurist, Literaturwissenschaftler und Kulturattaché – Fernsehdirektor. Womöglich wegen eines Seufzers, den er seinem Juri eingegeben hatte? "Wie sehr würde ich es mir wünschen, nicht der Erzähler dieser Geschichte sein zu müssen, dieser Anhäufung von Geschichten – von Unfällen –, und zu verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen!"
Rezensiert von Pieke Biermann
Jorge Volpi: Zeit der Asche
Roman in drei Akten
Aus dem Spanischen von Kirstin Bleiel und Catalina Rojas Hauser
Klett Cotta, Stuttgart 2009
512 Seiten, 24,90 EUR
Nach diesem "Präludium" raubt einem die Gefangennahme bald den Atem: Man findet sich wieder in einer Blase aus großer Geste, seitenlanger Nachhilfe in Zeitgeschehen und einer Prosa wie ausformuliertes Recherchematerial für ein Filmprojekt, Reißbrettfiguren inbegriffen. "Und ab und zu ein weißer Elefant", seufzt man dankbar bei einzelnen Szenen, die Stil, Atmosphäre und Plausibilität haben, ein wenig Kellerschen "Sitz im Leben".
Sieben Hauptfiguren - fünf davon Frauen - sollen verkörpern, was Kommunismus und Kapitalismus in inniger Konkurrenz, später Kollaboration aus der Welt gemacht haben. Der Kürze halber hier nur mit Vornamen genannt: Irina (geboren 1932) und Arkadi (1929), beide Biologen und Elite des homo sovieticus, geraten nach und nach in Dissidenz und sind so voller Forscherdrang und Politik, dass Tochter Oksana (1976) dazwischen zerquetscht wird.
Jennifer und Jack (Mitte 1940er), Elite des homo wallstreeticus, sie Bankerin beim Internationalen Währungsfonds, er Gründer einer börsennotierten Biotechnik-Firma, korrupt und machtgeil.
Jennifers Schwester Allison, Antithese und Dauerkonkurrentin, weilt just an Bord der Rainbow Warrior, als diese vom französischen Geheimdienst mit Minen versenkt wird. Schließlich Éva (1956), mit den Eltern aus Ungarn in die USA geflüchtet, Kybernetik-Genie und Sexmaniac mit depressiver Grundierung. Spielort: alle Kontinente. Zeit: 1929 bis 31. Dezember 2000. Themen: Gier, Geld, Genom.
Das alles erzählt Juri, geboren 1958 in Baku, Afghanistan-Soldat, Erdölingenieur und Hobby-Schreiber, später, perestroikagestützt, Reporter, weltberühmt durch ein Buch über Michail Chodorkowski, attentat- und alkoholgefährdet. Auf Seite 38 führt er sich selbst ein und bringt den Deus ex Machina gleich mit. Er steht vor Gericht, er hat Éva umgebracht und klagt, "dass ich zu einer Figur in einem Krimi werde, dieser Abraum der Vorstellungskraft, dieser literarische Virus, wo ich dieses unechte und überflüssige Genre doch immer verachtet habe". Schreibt dann aber im Knast "das einzige Buch, das zu schreiben sich lohnt. (...) eine Abrechnung." Eben dieses. Laut Verlagswerbung "ein globales Gesellschaftsepos, orchestriert wie ein Krimi".
Juris Sätze, so bar jeder ironischen Brechung wie der ganze Roman, klingen fatal nach einem Selbstporträt des Autors. Mit "Zeit der Asche" hat der gelobte wie umstrittene mexikanische Schriftsteller die Trilogie abgeschlossen, die er 1999 mit dem preisgekrönten "Klingsor-Paradox" begonnen hatte. (Den zweiten Teil "El fin de locura" gibt es nicht auf Deutsch.)
Kriminalliteratur ist nichts davon, die bezieht ihre Kraft aus sich selbst: Sie braucht weder fünf Seiten Personenregister (fiktiv wie real) noch einen Autor, der im Buch selbst als sein eigener Philologe brilliert, dem aber entgeht, dass das Timing am Ende nicht stimmt.
Seit 2007 ist Volpi – nach Stationen als Jurist, Literaturwissenschaftler und Kulturattaché – Fernsehdirektor. Womöglich wegen eines Seufzers, den er seinem Juri eingegeben hatte? "Wie sehr würde ich es mir wünschen, nicht der Erzähler dieser Geschichte sein zu müssen, dieser Anhäufung von Geschichten – von Unfällen –, und zu verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen!"
Rezensiert von Pieke Biermann
Jorge Volpi: Zeit der Asche
Roman in drei Akten
Aus dem Spanischen von Kirstin Bleiel und Catalina Rojas Hauser
Klett Cotta, Stuttgart 2009
512 Seiten, 24,90 EUR