Gigantische Kerle mit Kraft

Von Carsten Probst |
Das Mönchehaus Museum Goslar zeigt monumentale Bronzeskulpturen der 1975 geborenen Stella Hamberg. Es sind Arbeiten aus ihrer Serie "Berserker", die durch ihre Masse ebenso beeindrucken wie durch ihre - für die zeitgenössische Kunst ungewöhnliche - Materialität.
"Bronze war ja lange so fast ein bisschen verpöntes Material geworden, also man hat das immer nur verbunden mit dieser ganzen Kunstgeschichte, und keiner hat sich mehr darangewagt, und genau dieser Punkt, dass sich keiner mehr daranwagte, hat mich gereizt, also eigentlich reizen mich immer die Punkte, die kein anderer mehr anpackt."

Sagt Stella Hamberg, und man glaubt es ihr sofort. Ihre Art zu Reden hat in der Tat etwas Zupackendes. Etwas, das sich bewusst dem Machen zu- und von der Theorie abwendet. Und ihre Skulpturen unterstreichen diesen Eindruck.

Stella Hambergs Art, über Kunst, über ihre Kunst zu reden ruft Erinnerungen wach an vergangene Zeiten, an die Beschwörungen der Einheit von Kunst und Leben, an das Existenzielle des Ausdrucks, wie man es in Deutschland zuletzt bei den neoexpressionistischen "Wilden" der sechziger Jahre gehört hat. Aber Hamberg ist keine neue "Wilde", sie geht in ihrer Reflexion ein paar Schritte weiter, ein paar Stufen tiefer in die Kunstgeschichte, die sie offenkundig mit aller Unbefangenheit zu kapern gedenkt:

"Und dann kommt natürlich dazu, dass es ein wunderbares Material ist. Also wie man auch sieht, diese ganzen Strukturen. Kein Kunststoff kann so toll das Modellierte auszeichnen wie Bronze. Und es ist natürlich ein Material, was von sich aus schon eine eigene Kraft mitbringt, was auch immer wieder eine Herausforderung ist, aber es ist wunderbar, wenn das dann zusammenfindet, diese Ausstrahlung, die Bronze hat, dieses Ewige, was Bronze ausstrahlt, und das dann eben mit meiner Sprache zu besetzen."

Den Argwohn, den sie mit ihrer Figuration und Materialwahl bei manchen Kritikern ausgelöst hat, hat sie zur Kenntnis genommen, lässt sich dadurch nicht von ihrer Linie abbringen. Man wirft ihr Traditionalismus vor, Bedienung erzkonservativer Geschmäcker, Kunstgewerbe.

Und es mag ja sogar stimmen, dass die 1975 in Hessen geborene Bildhauerin mit ihrer Art von Kunst tatsächlich gut in das Programm der Galerie Eigen & Art passt, zu deren höchst erfolgreichem Geschäftsmodell die Beschwörung des Ewigen und Allmächtigen gehört. In der direkten Begegnung mit der Künstlerin vermittelt sich aber ein viel weniger pathetisches Bild.

Hamberg ist durchdrungen vom Spiel des Handwerklichen, das in ihren Figuren buchstäblich über sich selbst hinauswächst. In ihren drei Kolossalstatuen der "Berserker", die durch ihre prominente Aufstellung im Dresdner Albertinum schnell bekannt geworden sind, geht es ihr darum, eine Figur durch Gegensätze zum Leben zu erwecken, wie sie sagt:

"Bei den 'Berserkern' wollte ich einen Schritt weiter gehen und eine Figur schaffen, aber auch die Zerstörung einer Figur. Eine Bewegung, die sich selber stoppt. Er ist Figur, aber er ist auch Zerstörung von Figur durch die Art, wie es gearbeitet ist."

Insofern sei es ein Missverständnis, wenn man diese Figuren nur als neuen Monumentalismus interpretiere. Mit ihrem Vorgehen setzt sich Hamberg zugleich von ihrem Dresdner Lehrer Martin Honert ab. Honert vertritt die an den Kunsthochschulen noch immer weit überwiegende Richtung der konzeptuellen Skulptur mit ihrer Kritik der Repräsentation, ihren minutiös geplanten Entwürfen, die im Wesentlichen schon fertig sind, wenn es an die Ausführung geht. Hamberg dagegen bekennt: Ich stehe auf der genau anderen Seite.

"Ich suche ja bewusst das Spontane, ich will ja auch die Unvollkommenheit in der langsamen Entwicklung von Skulpturen, die es auch einem möglich macht, immer wieder nochmal eine andere Kurve zu schlagen und das Bild wirklich mit der Zeit zu entwickeln und nicht vorher schon im Kopf abzuschließen."

Gleichwohl erscheint es in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung, wie sie nun in Goslar zu sehen ist, als sei ihre Arbeit in thematischer Hinsicht doch von Martin Honerts Werk beeinflusst. Auch bei Honert gibt es Riesen oder andererseits kleine, im Raum verteilte, wie verloren wirkende Figuren, die einfach nur dastehen wie in Hambergs Figurengruppe "Ghost Light" aus dem letzten Jahr, bei denen direkt ein Thema Honerts anzuklingen scheint:

"Bei den Figuren ging es ja nicht mehr um Bewegung und Widerstand oder um ein Ringen, sondern da ging es eher um eine Ruhe oder Gelassenheit oder eine Selbstvergessenheit, so um einen inneren Moment des totalen Entrücktseins, und da suche ich eigentlich immer nach der bestmöglichen plastischen Sprache. Und bei den Figuren hab' ich wirklich versucht, alles auf ein Minimum zu reduzieren: Was bleibt, wenn man alles streicht. Also: Ist man nur, solange man etwas tut, oder gibt es auch ein Sein jenseits der Tat?"
Und doch wirkt Stella Hambergs Zugriff auf dieses Thema authentisch, immer auf der Grenze zwischen Erscheinen und Negieren balancierend. Das scheint im Übrigen schon ihre Wahl des Studienortes beeinflusst zu haben. Berlin und Dresden standen 1998 zur Debatte. Die Hessin entschied sich für die Hochschule in Dresden, weil sie, wie sie sagte, wissen wollte, wie da so ist im Osten.

Den westlichen Hochschulbetrieb jener Zeit erlebte sie mit seiner ganzen Konzeptualität als eingefahren, etabliert und arrogant. Sie gehört zu einer jungen Künstlergeneration, die sich vom "alten Westen" distanziert hat und neue Wege sucht, auch wenn sie noch nicht vollkommen sind. Alles, nur kein Vollkommenheitsdogma mehr...