Verkommene Eliten, tote Provinz
Ein Reporter ist die Hauptfigur ihres neuen Romans, die Verkommenheit des politischen Systems in Frankreich ihr Thema. Warum sich Gila Lustiger gerade diesem Sujet zuwandte, hat sie im Interview mit Deutschlandradio Kultur verraten.
Gila Lustiger hat einen großen Gesellschaftsroman geschrieben, der in Frankreich spielt und die jüngere Geschichte des Landes sowie "seine speziellen sozialen und ökonomischen Verhältnisse mit äußerster Präzision abbildet", heißt es in unserer Kritik zu dem Buch. Mit Lustiger blicken wir auf die Zentren der Macht und die Eliten, aber ebenso in die Banlieues, in Arbeiterfamilien und Provinznester, lernen Islamisten, Arbeitslose, Krebskranke kennen.
Der Grund, dieses Buch zu schreiben, sei ihr Gefühl gewesen, Frankreich nicht mehr zu verstehen, sagt die Autorin, die in Paris lebt. Der Aufstieg von Marine Le Pen, antisemitische Ausschreitungen, junge Franzosen als IS-Kämpfer in Syrien: Das alles warf für sie Fragen auf. Daraufhin schaute Lustiger näher hin und lief erst einmal sechs Wochen bei der Pariser Polizei mit, um sich einer Welt zu nähern, in der Mord, Drogen und Prostitution alltäglich sind.
Frankreich ist kein Land, in dem man einfach aufsteigen kann
Ihr Buch bezeichnet sie als "Gesellschaftsroman, der sich im Gewand eines Krimis versteckt". Sie habe die Krimi-Struktur gewählt, um nicht einen Essay zu schreiben. Leider debattiere und erkläre sie gern und zu oft, gibt Lustiger zu. In einem Krimi müsse man hingegen handlungsorientiert erzählen.
Lustiger hat während der Arbeit an "Die Schuld der anderen" zwei Dinge neu entdeckt: Frankreich sei kein Land, in dem man einfach aufsteigen könne. Wer einen Migrationshintergrund habe und aus den Banlieues komme, habe kaum Chancen, Karriere zu machen. Zudem erlebte sie das Land als gespalten: in die Zentren und die Provinzen. Diese beschreibt sie als "Löcher mit drei Berufsschulen und einem Kino". Wer dort lebt, wird abgehängt.
Wie Lustiger Frankreich sieht, ist nun klar. Aber wie sehen die Franzosen das Buch von Lustiger? Sie habe "sehr viel Angst" vor der französischen Übersetzung, gesteht die Autorin – und rechnet mit dem Vorwurf, Franzosen-"Bashing" zu betreiben.