Gilles Clément: "Die Weisheit des Gärtners"

Das Leben als Garten

Von Hans von Thotha |
Die Franzosen nehmen die Kunstform Garten viel ernster als die Deutschen. Und so hat der französische Autor und Gartenkenner Gilles Clément in seinem neuen Buch ein Bild vom Garten entwickelt, das Antworten auf existenzielle Fragen gibt.
"Als Territorium der Ungewissheit – unserer eigenen Ungewissheit – verwandelt der Garten unsere lächerlichen Gesten in heilige Augenblicke", schreibt Gilles Clément. Es gibt in der französischen Theorie eine Tradition, Zusammenhänge durch sprachlich anspruchsvolle Analyse eher zu verunklaren. Etwas Ähnliches scheint es bei unseren Nachbarn auch im Garten zu geben, den sie als Kunstform viel ernster nehmen als wir und in Institutionen wie der École nationale supérieure d´Horticulture oder der École nationale supérieure du paysage in Versailles lehren.
Dort unterrichtet Clément, Jahrgang 1943. Er hat bekannte Anlagen gestaltet (etwa den Parc André Citroen in Paris), und er formuliert seine Überlegungen über Parks und die Welt immer wieder in Essays. Unter dem Titel "Die Weisheit des Gärtners" sind jetzt einige davon auf deutsch erschienen.

Der Garten als Arche

Sie sind nicht alle gleichermaßen dicht, und nicht immer erschließen sie sich sofort. Aber im Fluss ergibt sich ein einleuchtender, hoffnungsvoller und nicht zuletzt schöner Ansatz. Unverkennbar ist der französische Intellektuelle, geistig sozialisiert in der Achtundsechziger Revolte (von der er am Rande schön erzählt), theoretisch ambitioniert, durchdrungen von der Ökologie-Bewegung. Fürs Spätwerk schält sich der Versuch heraus, das komplexe Zusammenspiel der Gewerke, die an einem Garten beteiligt sind, zu möglichst einfachen, schlagenden Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu kondensieren.
"Um mich der Tyrannei der gesellschaftlichen Raster zu entziehen, bezeichne ich mich als Gärtner", schreibt er. Aber Gärtnern bedeutet heute etwas anderes als früher. Der Garten ist zur Arche geworden, zum geschützten Raum, in dem Arten überleben. Da hat der Gärtner nicht mehr das Recht, am Zaun Halt zu machen. Er ist verantwortlich für die ganze Erde. Clément spricht vom "Planetarischen Gärtnern", vom Versuch einer "Nutzung der Diversität, ohne sie zu zerstören".

Leben als Chance zur Verwandlung

Ganz Achtundsechziger, setzt er auf die freie Entwicklung des Individuums – und lehnt, was für einen Gärtner eine ja durchaus nachvollziehbare Geisteshaltung wäre, die Vorstellung eines biologischen Determinismus entschieden ab. "Im Laufe seines Lebens findet das Lebewesen, gleichgültig, ob Pflanze, Tier oder Mensch, eine Chance, sich zu ändern (auf eigenen Wunsch oder auf äußeren Druck): Es verwandelt sich. Diese eingeschriebene Möglichkeit zur Transformation vererbt sich an die folgenden Generationen. Für den Menschen, das 'bewusste Tier', ergibt sich aus dieser Möglichkeit ein Vorhaben, ein geistiges Gebiet der Hoffnung. Ein Garten."
Manchmal wird Clément ganz konkret (etwa im Hohelied auf den Kompost als "königlicher Bezirk und Herz des Gartens"), manchmal verführt ihn die Sprache dazu, eher das Mystische zu beschwören: "Der Gärtner ist vielleicht nicht derjenige, der die Formen andauern lässt, aber wenn er kann, lässt er die Bezauberung fortleben. Man muss es versuchen."
Als Autor ist Clément halt Franzose, durch und durch. Sicher nichts für Einsteiger. Aber für alle, denen der Gedanke nicht fern ist, dass eine nachhaltige Philosophie der Natur am Garten nicht vorbeikommt und umgekehrt der Garten nicht an einer nachhaltigen Philosophie der Natur. Eine inspirierende Lektüre mit tiefen, auf viel Erfahrung beruhenden Einsichten.

Gilles Clément: Die Weisheit des Gärtners
Aus dem Französischen von Brita Reimers
Berlin, Matthes & Seitz 2017
107 Seiten, 16 Euro

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