Gillian Anderson: "Want. Sexuelle Fantasien"
© dtv Want. Sexuelle Fantasien der Frauen im 21. Jahrhundertdtv, München 2024
Traut Euch!
07:57 Minuten
382 Seiten
25,00 Euro
Ungefilterte Bekenntnisse über geheime sexuelle Fantasien: In „Want“ von Gillian Anderson erzählen Frauen, was sie für Wünsche und Sehnsüchte haben.
„Als Frauen wissen wir, dass es beim Sex um mehr geht als nur um Sex. Aber so viele sprechen nicht darüber. Unsere tiefsten Ängste und Fantasien bleiben in uns verschlossen, bis jemand mit dem Schlüssel daherkommt. Hier ist der Schlüssel.“
So begann Gillian Anderson ihren Aufruf, den sie zusammen mit der britischen Tageszeitung „The Guardian“ startete, und tausend Frauen auf der ganzen Welt folgten ihr. Sie beschrieben ausführlich ihre geheimen Wünsche. Anonym. Einzige Angaben zur Person sollten – wenn möglich – sein: Nationalität, ethnischer Hintergrund, Religion, Jahreseinkommen, sexuelle Orientierung, Beziehungsstatus, Kinder.
Der Bruder der Freundin ist leider tabu
Für das vorliegende Buch wurden nun 175 dieser Briefe ausgewählt. Sie sind mal wenige Zeilen kurz, dann wieder mehrere Seiten lang. „Ich würde alles dafür geben, den Bruder meiner besten Freundin ficken zu dürfen. (…) Er ist tabu“, schreibt eine Australierin, um anschließend seitenlang darüber zu erzählen, was sie gerne alles mit ihm erleben würde: „Ohne Vorwarnung dreht er mich auf den Rücken und dringt so hart in mich ein, dass ich fast ohnmächtig werde. Ich komme und komme und komme.“
In einem anderen Brief heißt es: „Mir gefällt die Vorstellung, komplett vollgespritzt zu werden.“ Und die Schreiberin erzählt anschließend, warum sie das so anmacht. Eine Amerikanerin schreibt: „Meine geheimste Sexfantasie bin ich“, um anschließend ausführlich den perfekten Sexualakt mit ihrem Klon zu beschreiben. Und der Brief einer Afroamerikanerin ist nur zwei Zeilen lang: „In meiner Fantasie liebt mich ein Mann für das, was mich ausmacht, und sieht in mir nicht nur eine lebende Sexpuppe.“
Fantasie ohne Grenzen
Persönlich und intim geben diese Briefe Einblicke in das, was heute noch als unsagbar gilt. Als schambehaftet. Erniedrigung und Unterwerfung etwa. Sex mit mehreren Männern, Sex mit Fremden, Sex mit Frauen, obwohl man heterosexuell ist, Sex mit Männern, obwohl man homosexuell ist. Die Briefe erzählen aber auch von veränderten Sexualpraktiken, etwa von der Verhütung, die wegen Aids heute oft mit Kondomen erfolgt. Sperma in sich aufnehmen ist für viele der Schreibenden unvorstellbar und umso reizvoller.
Über 380 Seiten füllen diese Texte. Sie sind aufgeteilt auf 13 Kapitel, die unter Überschriften wie „fremde“, „erkundungen“, „sicher und geborgen“ zusammengefasst wurden. Jedem dieser Kapitel ist ein einführender Text vorangestellt, den Gillian Anderson selbst geschrieben hat. Und allein diese wie auch das von der Schauspielerin verfasste Vorwort sind eine Freude: offen, explizit und doch immer feinfühlig schreibt die 56-Jährige, was sie mit den Sexfantasien verbindet, wie sie sie berühren, was sie ihr vor Augen führen.
Frei von Erwartungen? Oder ein Hilferuf?
Erleichterung etwa sieht Anderson darin, wenn Frauen einfach nur noch Körper sein wollen, der „genommen“ wird. Endlich mal nicht zuständig sein. Dem kann die Schauspielerin, die in der erfolgreichen Netflix-Serie „Sex Education“ eine Sextherapeutin mimt, viel abgewinnen.
„Und das ist meines Erachtens auch das, was uns Fantasien letzten Endes bieten: die Möglichkeit, für einen Augenblick außerhalb der Wirklichkeit zu existieren, wo es weder Regeln noch Erwartungen gibt.“ Um wenig später zu bedenken: „Gleichzeitig wirken die Fantasien aber auch wie ein emotionaler Aufschrei oder Hilferuf. Bitte nehmt mir für einen Moment alles ab!“
Auf den Spuren von Nancy Friday
„Want“ ist angelehnt an das Buch „My Secret Garden“ von Nancy Friday, das erstmals 1973 erschien und einen Aufschrei auslöste. In manchen Ländern wurde es sogar verboten und stand auf dem Index. Was zeigt: Die weibliche Fantasie machte einer männerdominierten Gesellschaft Angst.
Heute ist das unvorstellbar. Zumindest in der westlich dominierten Welt. Da reiht sich „Want“ in die Vielzahl der Veröffentlichungen zu weiblicher Sexualität und Körperwahrnehmung perfekt ein, die für Selbstermächtigung stehen. Insofern bravo, dass es „Want“ gibt.
Dennoch sei eine kleine Anmerkung erlaubt: Warum einer Schauspielerin die Rolle der Herausgeberin geben, deren Expertise zum Thema im Frau sein und in der Darstellung einer Sextherapeutin im Film liegt? Warum bei einem so wichtigen Thema den Promifaktor nutzen, wo es doch erfolgreiche wie progressive Sexualwissenschaftlerinnen gibt? Zumal es unter den Lesebewertungen immer auch die kritische Frage gibt, ob sich hinter den anonymen Frauen nicht in Wirklichkeit Männer verbergen?
Diesen Menschen hätte man durch eine wissenschaftlichere Aufstellung des Buches den Wind aus den Segeln genommen. Gleichzeitig zeigt die vermeintliche Sorge vor falscher Urheberschaft erneut, dass man „so was“ Frauen nicht zutraut. Insofern ist „Want“ dann doch genau richtig. Zumal der weibliche Körper erneut der Gefahr ausgesetzt ist, politisch missbraucht zu werden. Also Frauen, traut Euch!