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"Allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen"
Berg und See, Rütlischwur und Apfelschuss: Was heute "Großes Kino" heißen würde, nannte man um 1830 "Grand Opéra". Mit Gioacchino Rossini und dem "Guillaume Tell" wurde ein Italiener zum Pionier der französischen Oper.
James Joyce wusste es ganz genau. Der irische Schriftsteller und leidenschaftliche Opernfreund hatte bei Rossini mitgezählt und in der Tenorpartie des Arnold folgende Spitzentöne statistisch ermittelt: 456 Mal das G, 93 Mal das As, 54 Mal das B, 15 Mal das H, 19 Mal das C und zweimal das Cis. Die Arie "Asile héréditaire" und das anschließende Ensemble Arnolds und der Eidgenossen gehören zu den gefürchteten "Stimm-Killern" des Repertoires, wenngleich sie natürlich auch eine dankbare Herausforderung darstellen.
Tödliche Töne
Angeblich brachte der Tenor Gilbert Duprez in dieser Partie 1837 erstmals in der dokumentierten Geschichte des Gesangs das Hohe C mit der Bruststimme heraus - statt wie üblich mit der Kopfstimme. Dem Komponisten gefiel das gar nicht: Rossini soll den dabei produzierten Klang mit dem Kreischen eines Kapauns, dem die Kehle durchgeschnitten wird, verglichen haben.
Jenseits von Schiller
Es fällt jedenfalls auf, dass die Partie des Arnold hier noch exponierter ist als die Titelpartie, die Rossini einem Bariton zugedacht hat. Das ist einer der vielen Unterschiede der 1829 vollendeten Oper zu Friedrich Schillers "Wilhelm Tell"-Drama von 1804. Der Grund liegt auf der Hand: Schiller schrieb zwar das populärste, aber bei weitem nicht einzige Theaterstück über den sagenhaften Kampf der Schweizer gegen die Habsburger, so wie auch Rossinis für Paris komponierte Oper nicht die erste "Tell"-Oper ist.
Eine Oper für Komponisten
Dennoch brach mit dem umfangreichen Vierakter des italienischen Komponisten ein neues Opernzeitalter an. Am Vorabend der Juli-Revolution von 1830, die das französische Bürgertum erheblich stärkte, schuf Rossini mit "Guillaume Tell" eine Blaupause für die literarisch und politisch hochsensible Form der Grand Opéra mit ihren Massenszenen und Balletteinlagen. Die Wirkung war enorm: Hector Berlioz, eigentlich ein Kritiker Rossinis, hielt diese Oper für ein Meisterwerk. Richard Wagner tat es ihm gleich, und was wären Giuseppe Verdis Annäherungen an die französische Oper ohne diese Vorlage?
Mehr als nur ein Galopp
Nach der Uraufführung zog sich Rossini ins Privatleben zurück, aß viel, komponierte wenig, schrieb keine Oper mehr. Sein bahnbrechender, schwer zu besetzender und aufwendig zu inszenierender "Tell" geriet im 20. Jahrhundert – vom populären Galopp aus der Ouvertüre abgesehen – ein wenig in Vergessenheit. Neben vielen Einzelstücken hat der Plattenmarkt nur fünf offizielle Gesamteinspielungen hervorgebracht, deren erste 1972 entstand und ebenso prominent besetzt ist wie die folgenden Aufnahmen. Die jüngste Produktion, die 2010 unter Antonio Pappanos Leitung in Rom entstand, gibt mit einer exzellenten jüngeren Sängerriege allerdings Anlass zu der Hoffnung, dass die immense Herausforderung dieses Werkes auch künftig angenommen werden wird.