Gisela von Wysocki: „Der hingestreckte Sommer“
Suhrkamp, Berlin 2021
252 Seiten, 24 Euro
Gisela von Wysocki
Der Ton der Dringlichkeit
Gisela von Wysockis neues Buch „Der hingestreckte Sommer“ wird von Kritikern sehr gelobt. Die Schriftstellerin blickt auf ein breit gefächertes Werk zurück. Für sie geht es um die Frage, was Sprache kann und der Leserschaft von der Welt zeigt.
Die Figuren in ihrem Buch „Der hingestreckte Sommer“ kommen ihr manchmal wie Reisende vor, erzählt die Schriftstellerin Gisela von Wysocki. „Sie tragen alle ihre unbekannten Erzählungen bei sich und ich biete ihnen dafür einen Boden.“
49 Geschichten hat sie aufgeschrieben. Es geht unter anderem um einen Schubkarrenbesitzer im Leipzig der Nachkriegszeit, der den Sarg von Johann Sebastian Bach zurück in die Thomaskirche bringt. Und auch wenn von Wysocki betont, dass es keine autobiografischen Texte seien, geht es auch um ihren Vater, den Schallplattenproduzenten Georg von Wysocki, und um ihre Abiturprüfung.
Die Musikalität des Vaters
Viele Geschichten haben einen Bezug zur Musik. Von der Musik ihres Vaters sei ihr die Musikalität geblieben, sagt die Autorin: „Er war ein Klavierspieler und Chansons-Vater. Und aus diesen beiden Elementen habe ich vielleicht Rhythmus und musikalische Vorgänge in meine Sprache aufgenommen.“
Und doch habe sie sich als Kind mit der Sprache schwergetan. Im Kapitel „Das Elend mit den Buchstaben“ erzählt sie vom Ehrgeiz ihrer Mutter, ihr schon früh das Schreiben beizubringen. „Ich bin aber so sehr an Erscheinungen gebunden. Und ich konnte keine Verbindung zwischen diesen kleinen eckigen und runden Formen der Buchstaben und all den Dingen, die mich umgaben, herstellen.“
Als Jugendliche las von Wysocki dann sehr viel, was bei ihrer Abiturprüfung zu einem guten Gespräch mit ihrem Schuldirektor führte, der ihr Talent erkannte – im Gegensatz zu ihrer Deutschlehrerin. „Zwischen mir und dieser Lehrerin hatte sich über Jahre hinweg eine stabile Feindschaft aufgebaut“, erzählt von Wysocki.
Die Schriftstellerin blickt inzwischen auf ein breitgefächertes Werk zurück: Essays, Romane, viele erfolgreiche Theaterstücke und Hörspiele. Die Kritiker sind von ihren Prosawerken durchweg begeistert und feiern Gehalt und Stil als klug, prägnant und besonders poetisch.
Die alles entscheidende Frage
Für sie gehe es um die alles entscheidende Frage, was Sprache könne und was sie den Leserinnen und Lesern von der Welt zeige, sagt von Wysocki:
„Gelingt es der Sprache etwas Ungesehenes sichtbar zu machen, Wahrnehmungen ins Licht zu rücken, die im Schatten liegen - Bilder, Eindrücke und Erfahrungen, die Versöhnung nicht zulassen, Bruchstellen im Gefüge der Realität. In dieser Welt sind wir nicht zu Hause, doch wir geben den Wunsch danach nicht auf.“
In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die Texte ihres neuen Buches:. „Meine Sprache hat den Ton einer Dringlichkeit, dass eine ganz bestimmte Erfahrung über die Welt mitgeteilt werden möchte.“