Gitarrist Marc Sinan über Armenien-Konflikt

"Es kann tödlich sein, die Wahrheit zu sagen"

Der Musiker Marc Sinan
Marc Sinan © Graz Diez
Marc Sinan im Gespräch mit Ulrike Timm |
Das an den Völkermord an den Armeniern erinnernde Musikprojekt "Aghet" hat die türkische Regierung erbost: Dabei geht es den Komponisten um Versöhnung und Dialog. Marc Sinan ist Gitarrist und Solist in einem der Stücke. Er hat selbst armenische Wurzeln.
Kunst ist politisch – davon ist der Musiker Marc Sinan überzeugt. Er will die Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren wach halten, auch mit seiner Teilnahme an dem gerade in Dresden aufgeführten Projekt "Aghet".
Die türkische Regierung protestierte und forderte die EU auf, ihre Förderung für das Stück zurückzuziehen. Der Eklat war perfekt.
Sinans Großmutter überlebte das Massaker von 1915 nur knapp als Kind, ihre Eltern wurden ermordet: Sie wuchs bei türkischen Pflegeeltern auf. Jetzt ist die Geschichte seiner Großmutter in das Projekt "Aghet" eingegangen. Der Gitarrist Marc Sinan hofft, dass sie zum Dialog beitragen wird.

Warnungen anfangs nicht ernst genommen

Marc Sinan kann sein politisches Engagement und seine musikalische Arbeit nicht von einander trennen: "Ich empfinde es als meine Pflicht, den Menschen beizustehen, denen ich mich nahe fühle", sagte er im Deutschlandradio Kultur.
"Das sind sowohl die Menschen, die die türkische Zivilgesellschaft bilden als auch die Armenier. Ich fühle mich in der Pflicht sie darin zu unterstützen, dass die türkische Gesellschaft freier wird und dass die armenische Gesellschaft von der Last befreit wird, seit über 100 Jahren keine Entschuldigung zu bekommen."
Er sei in einer Familie aufgewachsen, in der ihm gesagt wurde, er dürfe nicht darüber sprechen, dass er Armenier sei. "Ich habe das nie so besonders ernst genommen, aber als dann der armenische Journalist Hrant Dink auf offener Straße erschossen wurde, wurde mir klar, dass es tödlich sein kann, die Wahrheit auszusprechen."

"Das darf so nicht geschehen"

Sinan übte scharfe Kritik an der internationalen Staatengemeinschaft, die dabei zuschaue, wie 5300 Kurden seit Juli 2015 erschossen worden sind, weil sie "angeblich Terroristen" seien und der gesamte Stadtkern von Diyarbakir enteignet wurde.
"Das ist eine hochgradig problematische politische Situation und das darf so nicht geschehen." Die Gesellschaft in der Türkei werde von Angst gesteuert: "Die Angst der Menschen, die den Völkermord aussprechen, dafür sterben zu müssen, die Angst der Intellektuellen, die für den Frieden einen Brief schreiben und dafür ins Gefängnis gehen und die Angst der einfachen Leute, dass es morgen nicht besser, sondern schlechter sein könnte."
Er wünsche sich, dass die Gesellschaft mutiger werde und Menschen aussprechen könnten, was sie denken und fühlen.
Das an den Völkermord an den Armeniern erinnernde Musikprojekt "Aghet" hat die türkische Regierung aufgebracht: Dabei geht es den Komponisten Zeynep Gedizlioğlu (Türkei), Helmut Oehring (Deutschland) und Vache Sharafyans (Armenien) vor allem um Dialog und Versöhnung.
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