Giulia Mensitieri: "Das schönste Gewerbe der Welt"

Gnadenlose Modewelt

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Cover des Buchs von Giulia Mensitieri: "Das schönste Gewerbe der Welt. Fashion und kreativer Kapitalismus".
Einblicke in die reale Arbeitswelt jenseits des schönen Scheins: Giulia Mensitieris Buch über die Modebranche. © Deutschlandradio / Matthes & Seitz
Von Eva Hepper |
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Bei Recherchen in der Pariser Modeindustrie stieß die Ethnologin Giulia Mensitieri auf ein erschütterndes Ausbeutungssystem. In der Branche sind fast alle nur prekär beschäftigt - eine Blaupause für den modernen Kapitalismus.
Die erste Modenschau des Dior-Chefdesigners Raf Simons 2012 in Paris war eine Veranstaltung der Extraklasse: Millionen Blumen zierten sämtliche Wände der Location und tauchten das spektakuläre Event in Duft und Farbe.
Kein Wunder, dass die anwesende Prominenz nicht nur von der Mode berauscht war - darunter Prinzessin Charlène von Monaco, die Schauspielerinnen Isabelle Huppert und Sharon Stone, die "Vogue"-Modepäpstin Anna Wintour und der Eigner der Marke (LVHM), Multimilliardär Bernard Arnault.

Dior scheute keine Kosten

Tatsächlich scheute man bei Dior keine Kosten für die üppige Inszenierung: Hunderttausende Euro flossen in die Miete der Örtlichkeit und die florale Pracht.
Hinter den Kulissen allerdings ging es weniger mondän zu: Die meisten der Models arbeiteten unbezahlt. Die Schnittmacherinnen und Assistenten bekamen lediglich den Mindestlohn. Das verrät Giulia Mensitieri in ihrer spannenden Doktorarbeit über die Pariser Modeindustrie.

Einblicke in die reale Arbeitswelt

Um Einblick in die reale Arbeitswelt jenseits des schönen Scheins zu bekommen, recherchierte die italienische Ethnologin monatelang am Rande von Modenschauen und Fotoshootings. Sie interviewte Insider, darunter Stylistinnen und Visagisten, Designerinnen, Fotografen und Models, Verkäufer und Journalisten. Schließlich verdingte sich die Autorin selbst als unbezahlte Praktikantin.
Als ihre – für eine breite Leserschaft leicht modifizierte – Forschungsarbeit 2018 in Frankreich erschien, sorgte diese auf Anhieb für Furore. Nun erscheint sie erstmals auf Deutsch.

Gnadenlose Ausbeutung

Und das Buch hat es in sich! Giulia Mensitieri entlarvt die französische Modeindustrie als gnadenloses Ausbeutungssystem, in dem die meisten Beschäftigten prekär arbeiten.
Fotostylistin Mia etwa trägt zwar Schuhe von Prada, weil sie mit Markengutscheinen entlohnt wurde, aber ihre Miete kann sie kaum bezahlen. Vanessa, ein junges Model, muss Schulden bei der Agentur abarbeiten, die Unsummen vorgestreckt hatte, ohne das im Vorfeld transparent zu machen. Oder der Verkäufer Gilbert: An seinem Stand werden monatlich drei Millionen Euro umgesetzt, aber er selbst hangelt sich von Probemonat zu Probemonat.
Man liest das atemlos und fragt sich gleichzeitig: Warum nehmen talentierte, kreative Menschen solche Arbeitsbedingungen hin?

Traumwelt und strukturelle Ungleichheit

Giulia Mensitieris Antworten darauf sind bestechend. So würden die prekär Beschäftigten durchaus entlohnt – und zwar mit dem "sozialen und symbolischen Kapital der Zugehörigkeit". Tatsächlich rissen sich alle ihre Interviewpartner darum, Teil der mondänen Glitzerwelt zu sein.
Es ist stark, wie die Ethnologin diese Melange aus Verführung, Traumwelt und harter, ausbeuterischer Arbeitsrealität in den Blick bekommt. So wird die Modebranche mit ihrer strukturellen Ungleichheit in letzter Konsequenz zur Blaupause für den modernen Kapitalismus.
Tatsächlich seien Unsummen im Spiel, so das Fazit aus Mensitieris aktuellem und spannend geschriebenem Buch: Das Geld lande eben nur nicht bei den Beschäftigten, sondern bei den Eignern der Labels.

Giulia Mensitieri: "Das schönste Gewerbe der Welt. Fashion und kreativer Kapitalismus"
Aus dem Französischen von Lena Müller
Matthes & Seitz, Berlin 2021
336 Seiten, 25 Euro

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