Gladiatoren im Dienst der Wissenschaft
Sie essen Hülsenfrüchte und Knoblauch, schlafen in Zelten und schlagen mit Schwertern aufeinander ein. Das Treiben der studentischen Gladiatoren nahe Wien soll neue Aufschlüsse über den antiken Kampfsport liefern - mit Hollywood-Mythen hat es nichts zu tun, erklärt Projektleiter Josef Löffl.
Frank Meyer: Im Archäologischer Park Carnuntum in der Nähe von Wien trainieren zurzeit Gladiatoren. Im zivilen Leben sind Sie Studenten, und jetzt üben sie unter Anleitung eines Kampfsporttrainers und eines Althistorikers für öffentliche Gladiatorenkämpfe. Vorher haben sie sich ein halbes Jahr an der Universität Regensburg auf diese Kämpfe vorbereitet. Diese Gladiatorenkämpfe sollen der Wissenschaft dienen, als eine Form experimenteller Archäologie – das sagt der Althistoriker Josef Löffl von der Uni Regensburg. Und Josef Löffl ist jetzt für uns am Telefon. Seien Sie herzlich willkommen!
Josef Löffl: Grüß Gott, Herr Meyer!
Meyer: Sie schicken also Studenten als Gladiatoren in die Arena. Damit wir uns das vorstellen können: Mit welchen Waffen gehen denn die Studenten da, die Gladiatoren aufeinander los?
Löffl: Ja, ebenso wie in der Antike ist natürlich hier eigentlich der Hauptaugenmerk darauf, dass die Männer unverletzt aus der Arena rausgehen. Das heißt, im Gegensatz zu den verbreiteten Hollywoodmythen wird hier sicher nicht mit scharfen Waffen agiert, sondern immer mit stumpfem Gerät. Das heißt bei uns in erster Linie natürlich mit stumpfen Holzwaffen, während in der Antike oftmals eben auch stumpfe Metallwaffen verbreitet waren. Es geht also hier nicht darum, die Bereitschaft von Studenten, ihre Freizeit zu opfern, also hier irgendwie auszunutzen und die hier lebensgefährlichen Praktiken auszusetzen, sondern das ist ein Kampfsport, der mit gewissem Training eigentlich ein sehr geringes Verletzungsrisiko aufweist. Und unter diesen Voraussetzungen kann man dann eben ein Experiment zu dieser Thematik durchführen. Also es geht hier nicht um die Ausbildung von irgendwelchen Schlägertrupps, die sich hier ordentlich eins über die Mütze ziehen, sondern um die Rekonstruktion eines antiken Kampfsports.
Meyer: Bei den römischen Gladiatoren – so geht jedenfalls die Legende – drohte dem Unterlegenen ja doch aber ziemlich oft der Tod. Was ist mit Ihren Unterlegenen bei Ihrem Kampfsport?
Löffl: Also da glaube ich, dass Sie da einem Hollywoodmythos erliegen, weil diese Männer sind über Jahre hinweg ausgebildet worden als Sportprofis, um mit ihnen Geld zu verdienen. In der Tat sind denn auch in der Arena einige Verbrecher verurteilt worden, ad gladium, das heißt, man hat ihnen schlichtweg ein scharfes Schwert in die Hand gedrückt und hat dann die Todesstrafe dadurch vollzogen, dass sie sich dann gegenseitig in der Arena abgestochen haben. Aber bei diesen professionellen Gladiatoren, die also Teil einer Gladiatorenschule waren, wurde darauf geachtet, dass diese Männer möglichst lange am Leben blieben. In der Tat steigt dann die Todesrate im Lauf der römischen Geschichte an, aber für die Zeit, mit der wir uns hier auseinandersetzen, das späte erste Jahrhundert nach Christus, ist eigentlich die Situation folgende, dass es eigentlich eine Ausnahme war, dass einer dieser Männer in der Arena sein Leben verloren hat.
Meyer: Das lässt mich jetzt auch für Ihre Studenten hoffen. Herr Löffl, es gibt ja auch bei Römerfestspielen und anderen Anlässen Gladiatorenschaukämpfe, und Sie lassen nun Ihre Studenten als Gladiatoren auch vor Publikum auftreten. Was unterscheidet denn diese Schaukämpfe, die Sie da im Dienste der Wissenschaft machen, von den anderen, die zu reinen Unterhaltungszwecken abgehalten werden?
Löffl: Also der Begriff Schaukampf trifft die Sachlage nicht, und zwar handelt es sich hier nicht um abgesprochene Kämpfe, also um Kämpfe, deren Ausgang quasi Teil einer festen Choreografie ist, sondern diese Kämpfe werden wirklich nur durch das Können der jeweiligen Kombattanten entschieden. Das heißt, es isst wirklich … also jeder Kampf ist ein Teil des Experiments, und die Gladiatur war eben ein Publikumsunterhaltungsmedium. Es ist also sehr interessant, einfach die Leute dann auch mit dem derzeitigen Stand der Forschung zu konfrontieren, also das Publikum, das ja im Prinzip alle sozialen Schichten hier durchzieht, um auch einen Aufschluss darüber zu kriegen, ob die Leute sich damit identifizieren können. Bei einigen erntet man da unglaubliche Blicke, sind das jetzt wirkliche Gladiatoren oder was wird einem da überhaupt gezeigt, und wir versuchen natürlich auch, eine Art von Unterricht zu betreiben, also Hollywoodmythen aufzuweisen, eben wie gesagt diese Tatsache, dass sich hier die Leute wahllos blutrünstigst abgestochen haben, und eben dann die historische Wirklichkeit.
Das heißt, die Leute werden nicht in der Arena reingeschickt im Sinne einer Show, sondern es wird dieses Experiment vorgeführt, vor Publikum, und diese Kämpfe werden danach dementsprechend kommentiert. Also den Leuten wird ganz klar aufgezeigt, woher stammt die Ausrüstung, woher stammen die Originalfunde, welche Quellen besitzen wir zu der Gladiatur, und im Gegensatz zum Museum erhalten dann die Besucher die Möglichkeit, selbst einmal in diese Ausrüstung hineinzuschlüpfen. Das ist ja gerade der Faktor, der vor allem bei Kindern und Jugendlichen dann entscheidend ist, also dieses haptische Element, um einfach mal selber einen Eindruck davon zu gewinnen, wie fühlt sich eigentlich so ein römischer Gladiator.
Meyer: Es soll einen Helm darunter geben, der fünf Kilo schwer ist, habe ich gehört.
Löffl: Ja, genau. Also das Maximalgewicht dieser Helme beträgt im Nachbau circa 5,2 Kilogramm, und das sind eben Dinge, die ein Hollywoodfilm nicht zeigt.
Meyer: Es gibt nun, Herr Löffl, Historikerkollegen von Ihnen, die meinen, der Erkenntniswert solcher Experimentalmethoden, der sei doch eher gering, auch wenn man an den Aufwand dabei denkt. Was haben Sie denn über die alten Gladiatoren gelernt mit Ihrer Versuchsanordnung, die Sie da öffentlich aufführen?
Löffl: Ich gebe den Kollegen vollkommen recht, dass der Erkenntniswert in der Tat gering ist. Man muss aber bedenken, dass man über die Gladiatur selbst sehr wenig weiß. Das heißt, jeder kleinste Erkenntnisgewinn ist hier schon wirklich als Gewinn zu erachten. Man sollte also hier nicht vom hohen Ross herab urteilen, sondern sich erst mal die Ergebnisse anschauen. Ein wesentliches Element im Rahmen dieser Ausbildung ist der Faktor Ernährung, und hier ist also bereits vor den Abschlusstests ersichtlich, dass das Ernährungsprogramm, das im Prinzip über das Knochenmaterial römischer Gladiatoren ableitbar ist, auch heute noch wesentlich zur körperlichen Ertüchtigung der Kombattanten beiträgt.
Meyer: Die kriegen im Wesentlichen Linsengerichte mit Knoblauch bei Ihnen?
Löffl: Genau, Hülsenfrüchte und Getreide – und das Interessante ist, wir haben ja hier Leute von komplett unterschiedlicher Ausgangsbasis. Also ich sag jetzt mal vom braven Lateinstudenten, der eher blass an die Bibliothek gewohnt ist, bis hin zum durchtrainierten Sportsprofi, und für alle ist es wirklich erstaunlich, dass in Kombination mit dieser Ernährung etwa niemals Muskelkater auftritt, also keine Erschöpfungserscheinungen, obwohl die Leute wirklich jetzt 23 Tage am Stück jeden Tag diesen enormen Anstrengungen ausgesetzt sind, obwohl sie also in Zelten schlafen, also relativ wenig Regeneration haben. Und das ist also für mich absolut erstaunlich. Ich war sehr skeptisch am Anfang, ob das mit dieser Ernährung funktioniert.
Also ich bin ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass nach vier, fünf Tagen spätestens das Murren losgeht und dass man dann den ersten in den Supermarkt schickt, um dann irgendwas Modernes einzukaufen. Aber das war nicht der Fall, im Gegenteil, also man hat sogar ein kleines Experiment im Experiment durchgeführt. Wir haben also den Leuten einen Tag lang Fleisch auf den Speiseplan gesetzt, und ich bin also wirklich da fest davon ausgegangen, dass ab jetzt immer Fleisch verlangt wird. Im Gegenteil, also die Leute haben sich diesem Fleisch verweigert, weil sie sich wie verkatert gefühlt haben. Und das heißt, dass im Prinzip diese Angaben aus der Antike, dass die keineswegs aus der Luft gegriffen waren, also dass diese Hülsenfrüchteernährung kombiniert mit Olivenöl und der Entzug von Alkohol, dass diese Kombination also hier eigentlich genau das Richtige ist.
Und das nächste ist natürlich, wenn man das als weiteres Ergebnis anführen kann, dass diese scheinbare Nacktheit der Gladiatoren – der Großteil dieser Männer hat ja mit blankem Oberkörper gekämpft –, dass das im Prinzip als scheinnackt zu bezeichnen ist, dass die Ausrüstung der jeweiligen Paarungen, dieser festgesetzten Kämpferpaarungen, dass die so ausgewogen war, dass eigentlich direkte Treffer auf den vorderen Oberkörper im Prinzip de facto ausscheiden, und dass die Treffer, die die Probanden hier landen mit ihren Holzschwertern, dass sie sich sehr, sehr eng mit den anthropologischen Befunden aus den beiden Gladiatorenfriedhöfen von York in Großbritannien und Ephesos in der heutigen Türkei decken.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Althistoriker Josef Löffl über experimentelle Gladiatorenkämpfe im Dienste der Wissenschaft. Sie haben gerade die Friedhöfe von Gladiatoren angesprochen …
Löffl: Ja!
Meyer: Begründung für solche experimentellen Methoden ist ja, dass die herkömmlichen Methoden nicht weiterhelfen …
Löffl: Genau.
Meyer: … also dass es zu wenige schriftliche Überlieferungen gibt oder dass Ausgrabungen eben nicht weiterhelfen. Aber wenn es solche Friedhöfe gibt und andere Quellen, warum kann man aus denen nicht ausreichend über Gladiatoren erfahren?
Löffl: Sie müssen sich das vorstellen wie ein endloses Puzzlespiel. Also ich habe schriftliche Quellen, ganz wenige, in dem Fall literarische Quellen, sehr viel epigrafische Quellen, also in dem Fall eben die Grabstätten der Gladiatoren, ich habe naturwissenschaftlich erzeugte Ergebnisse, also etwa die Untersuchungen dieser Knochen der Gladiatoren, ich habe einige wenige dingliche Befunde, was die Ausrüstung anbelangt, vor allem die Funde eben aus der Gladiatorenkaserne von Pompeji, und wenn ich jetzt alle diese Dinge am Schreibtisch miteinander vereine, dann entsteht eine Hypothese: Also so könnte es gewesen sein. Nur die Frage ist: Hält diese Hypothese einem Alltagstest stand?
Man könnte – Sie haben vollkommen recht – bereits die Sache zu Papier bringen, wenn man die einzelnen Quellengattungen auf dem Schreibtisch vor sich liegen hat, aber einige Dinge, etwa die Funktionsweise der Ausrüstung und deren Schwierigkeiten, also die Handicaps, die da integriert sind, die kann ich am Schreibtisch nicht ermessen. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich diese Sachen wirklich zur Anwendung bringe – im Nachbau natürlich. Und darum führt meines Erachtens bei manchen Dingen der Weg an diesem Praxistest nicht vorbei. Es ist – um das klar zu sagen – es löst also nicht die herkömmliche Methode des Historikers ab, nein, das Quellenstudium ist die Grundvoraussetzung, es ergänzt nur diesen Weg. Das heißt also nicht, dass die Leute quasi sich auf dem Sandplatz prügeln und dadurch keine lateinischen Texte mehr lesen müssen, sondern die Vorbereitung ist haargenau die gleiche, nur es wird eben noch ein Schritt hinzugefügt.
Meyer: Gladiatoren im Dienste der Wissenschaft. Der Althistoriker Josef Löffl schickt 20 Studenten als Gladiatoren in die Arena. Herr Löffl, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Löffl: Nichts zu danken!
Informationen der Universität Regensburg zu einem früheren Römer-Projekt von Josef Löffl, dem vierwöchigen Fußmarsch auf den Spuren der römischen Limesstraße entlang der Donau
Josef Löffl: Grüß Gott, Herr Meyer!
Meyer: Sie schicken also Studenten als Gladiatoren in die Arena. Damit wir uns das vorstellen können: Mit welchen Waffen gehen denn die Studenten da, die Gladiatoren aufeinander los?
Löffl: Ja, ebenso wie in der Antike ist natürlich hier eigentlich der Hauptaugenmerk darauf, dass die Männer unverletzt aus der Arena rausgehen. Das heißt, im Gegensatz zu den verbreiteten Hollywoodmythen wird hier sicher nicht mit scharfen Waffen agiert, sondern immer mit stumpfem Gerät. Das heißt bei uns in erster Linie natürlich mit stumpfen Holzwaffen, während in der Antike oftmals eben auch stumpfe Metallwaffen verbreitet waren. Es geht also hier nicht darum, die Bereitschaft von Studenten, ihre Freizeit zu opfern, also hier irgendwie auszunutzen und die hier lebensgefährlichen Praktiken auszusetzen, sondern das ist ein Kampfsport, der mit gewissem Training eigentlich ein sehr geringes Verletzungsrisiko aufweist. Und unter diesen Voraussetzungen kann man dann eben ein Experiment zu dieser Thematik durchführen. Also es geht hier nicht um die Ausbildung von irgendwelchen Schlägertrupps, die sich hier ordentlich eins über die Mütze ziehen, sondern um die Rekonstruktion eines antiken Kampfsports.
Meyer: Bei den römischen Gladiatoren – so geht jedenfalls die Legende – drohte dem Unterlegenen ja doch aber ziemlich oft der Tod. Was ist mit Ihren Unterlegenen bei Ihrem Kampfsport?
Löffl: Also da glaube ich, dass Sie da einem Hollywoodmythos erliegen, weil diese Männer sind über Jahre hinweg ausgebildet worden als Sportprofis, um mit ihnen Geld zu verdienen. In der Tat sind denn auch in der Arena einige Verbrecher verurteilt worden, ad gladium, das heißt, man hat ihnen schlichtweg ein scharfes Schwert in die Hand gedrückt und hat dann die Todesstrafe dadurch vollzogen, dass sie sich dann gegenseitig in der Arena abgestochen haben. Aber bei diesen professionellen Gladiatoren, die also Teil einer Gladiatorenschule waren, wurde darauf geachtet, dass diese Männer möglichst lange am Leben blieben. In der Tat steigt dann die Todesrate im Lauf der römischen Geschichte an, aber für die Zeit, mit der wir uns hier auseinandersetzen, das späte erste Jahrhundert nach Christus, ist eigentlich die Situation folgende, dass es eigentlich eine Ausnahme war, dass einer dieser Männer in der Arena sein Leben verloren hat.
Meyer: Das lässt mich jetzt auch für Ihre Studenten hoffen. Herr Löffl, es gibt ja auch bei Römerfestspielen und anderen Anlässen Gladiatorenschaukämpfe, und Sie lassen nun Ihre Studenten als Gladiatoren auch vor Publikum auftreten. Was unterscheidet denn diese Schaukämpfe, die Sie da im Dienste der Wissenschaft machen, von den anderen, die zu reinen Unterhaltungszwecken abgehalten werden?
Löffl: Also der Begriff Schaukampf trifft die Sachlage nicht, und zwar handelt es sich hier nicht um abgesprochene Kämpfe, also um Kämpfe, deren Ausgang quasi Teil einer festen Choreografie ist, sondern diese Kämpfe werden wirklich nur durch das Können der jeweiligen Kombattanten entschieden. Das heißt, es isst wirklich … also jeder Kampf ist ein Teil des Experiments, und die Gladiatur war eben ein Publikumsunterhaltungsmedium. Es ist also sehr interessant, einfach die Leute dann auch mit dem derzeitigen Stand der Forschung zu konfrontieren, also das Publikum, das ja im Prinzip alle sozialen Schichten hier durchzieht, um auch einen Aufschluss darüber zu kriegen, ob die Leute sich damit identifizieren können. Bei einigen erntet man da unglaubliche Blicke, sind das jetzt wirkliche Gladiatoren oder was wird einem da überhaupt gezeigt, und wir versuchen natürlich auch, eine Art von Unterricht zu betreiben, also Hollywoodmythen aufzuweisen, eben wie gesagt diese Tatsache, dass sich hier die Leute wahllos blutrünstigst abgestochen haben, und eben dann die historische Wirklichkeit.
Das heißt, die Leute werden nicht in der Arena reingeschickt im Sinne einer Show, sondern es wird dieses Experiment vorgeführt, vor Publikum, und diese Kämpfe werden danach dementsprechend kommentiert. Also den Leuten wird ganz klar aufgezeigt, woher stammt die Ausrüstung, woher stammen die Originalfunde, welche Quellen besitzen wir zu der Gladiatur, und im Gegensatz zum Museum erhalten dann die Besucher die Möglichkeit, selbst einmal in diese Ausrüstung hineinzuschlüpfen. Das ist ja gerade der Faktor, der vor allem bei Kindern und Jugendlichen dann entscheidend ist, also dieses haptische Element, um einfach mal selber einen Eindruck davon zu gewinnen, wie fühlt sich eigentlich so ein römischer Gladiator.
Meyer: Es soll einen Helm darunter geben, der fünf Kilo schwer ist, habe ich gehört.
Löffl: Ja, genau. Also das Maximalgewicht dieser Helme beträgt im Nachbau circa 5,2 Kilogramm, und das sind eben Dinge, die ein Hollywoodfilm nicht zeigt.
Meyer: Es gibt nun, Herr Löffl, Historikerkollegen von Ihnen, die meinen, der Erkenntniswert solcher Experimentalmethoden, der sei doch eher gering, auch wenn man an den Aufwand dabei denkt. Was haben Sie denn über die alten Gladiatoren gelernt mit Ihrer Versuchsanordnung, die Sie da öffentlich aufführen?
Löffl: Ich gebe den Kollegen vollkommen recht, dass der Erkenntniswert in der Tat gering ist. Man muss aber bedenken, dass man über die Gladiatur selbst sehr wenig weiß. Das heißt, jeder kleinste Erkenntnisgewinn ist hier schon wirklich als Gewinn zu erachten. Man sollte also hier nicht vom hohen Ross herab urteilen, sondern sich erst mal die Ergebnisse anschauen. Ein wesentliches Element im Rahmen dieser Ausbildung ist der Faktor Ernährung, und hier ist also bereits vor den Abschlusstests ersichtlich, dass das Ernährungsprogramm, das im Prinzip über das Knochenmaterial römischer Gladiatoren ableitbar ist, auch heute noch wesentlich zur körperlichen Ertüchtigung der Kombattanten beiträgt.
Meyer: Die kriegen im Wesentlichen Linsengerichte mit Knoblauch bei Ihnen?
Löffl: Genau, Hülsenfrüchte und Getreide – und das Interessante ist, wir haben ja hier Leute von komplett unterschiedlicher Ausgangsbasis. Also ich sag jetzt mal vom braven Lateinstudenten, der eher blass an die Bibliothek gewohnt ist, bis hin zum durchtrainierten Sportsprofi, und für alle ist es wirklich erstaunlich, dass in Kombination mit dieser Ernährung etwa niemals Muskelkater auftritt, also keine Erschöpfungserscheinungen, obwohl die Leute wirklich jetzt 23 Tage am Stück jeden Tag diesen enormen Anstrengungen ausgesetzt sind, obwohl sie also in Zelten schlafen, also relativ wenig Regeneration haben. Und das ist also für mich absolut erstaunlich. Ich war sehr skeptisch am Anfang, ob das mit dieser Ernährung funktioniert.
Also ich bin ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass nach vier, fünf Tagen spätestens das Murren losgeht und dass man dann den ersten in den Supermarkt schickt, um dann irgendwas Modernes einzukaufen. Aber das war nicht der Fall, im Gegenteil, also man hat sogar ein kleines Experiment im Experiment durchgeführt. Wir haben also den Leuten einen Tag lang Fleisch auf den Speiseplan gesetzt, und ich bin also wirklich da fest davon ausgegangen, dass ab jetzt immer Fleisch verlangt wird. Im Gegenteil, also die Leute haben sich diesem Fleisch verweigert, weil sie sich wie verkatert gefühlt haben. Und das heißt, dass im Prinzip diese Angaben aus der Antike, dass die keineswegs aus der Luft gegriffen waren, also dass diese Hülsenfrüchteernährung kombiniert mit Olivenöl und der Entzug von Alkohol, dass diese Kombination also hier eigentlich genau das Richtige ist.
Und das nächste ist natürlich, wenn man das als weiteres Ergebnis anführen kann, dass diese scheinbare Nacktheit der Gladiatoren – der Großteil dieser Männer hat ja mit blankem Oberkörper gekämpft –, dass das im Prinzip als scheinnackt zu bezeichnen ist, dass die Ausrüstung der jeweiligen Paarungen, dieser festgesetzten Kämpferpaarungen, dass die so ausgewogen war, dass eigentlich direkte Treffer auf den vorderen Oberkörper im Prinzip de facto ausscheiden, und dass die Treffer, die die Probanden hier landen mit ihren Holzschwertern, dass sie sich sehr, sehr eng mit den anthropologischen Befunden aus den beiden Gladiatorenfriedhöfen von York in Großbritannien und Ephesos in der heutigen Türkei decken.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Althistoriker Josef Löffl über experimentelle Gladiatorenkämpfe im Dienste der Wissenschaft. Sie haben gerade die Friedhöfe von Gladiatoren angesprochen …
Löffl: Ja!
Meyer: Begründung für solche experimentellen Methoden ist ja, dass die herkömmlichen Methoden nicht weiterhelfen …
Löffl: Genau.
Meyer: … also dass es zu wenige schriftliche Überlieferungen gibt oder dass Ausgrabungen eben nicht weiterhelfen. Aber wenn es solche Friedhöfe gibt und andere Quellen, warum kann man aus denen nicht ausreichend über Gladiatoren erfahren?
Löffl: Sie müssen sich das vorstellen wie ein endloses Puzzlespiel. Also ich habe schriftliche Quellen, ganz wenige, in dem Fall literarische Quellen, sehr viel epigrafische Quellen, also in dem Fall eben die Grabstätten der Gladiatoren, ich habe naturwissenschaftlich erzeugte Ergebnisse, also etwa die Untersuchungen dieser Knochen der Gladiatoren, ich habe einige wenige dingliche Befunde, was die Ausrüstung anbelangt, vor allem die Funde eben aus der Gladiatorenkaserne von Pompeji, und wenn ich jetzt alle diese Dinge am Schreibtisch miteinander vereine, dann entsteht eine Hypothese: Also so könnte es gewesen sein. Nur die Frage ist: Hält diese Hypothese einem Alltagstest stand?
Man könnte – Sie haben vollkommen recht – bereits die Sache zu Papier bringen, wenn man die einzelnen Quellengattungen auf dem Schreibtisch vor sich liegen hat, aber einige Dinge, etwa die Funktionsweise der Ausrüstung und deren Schwierigkeiten, also die Handicaps, die da integriert sind, die kann ich am Schreibtisch nicht ermessen. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich diese Sachen wirklich zur Anwendung bringe – im Nachbau natürlich. Und darum führt meines Erachtens bei manchen Dingen der Weg an diesem Praxistest nicht vorbei. Es ist – um das klar zu sagen – es löst also nicht die herkömmliche Methode des Historikers ab, nein, das Quellenstudium ist die Grundvoraussetzung, es ergänzt nur diesen Weg. Das heißt also nicht, dass die Leute quasi sich auf dem Sandplatz prügeln und dadurch keine lateinischen Texte mehr lesen müssen, sondern die Vorbereitung ist haargenau die gleiche, nur es wird eben noch ein Schritt hinzugefügt.
Meyer: Gladiatoren im Dienste der Wissenschaft. Der Althistoriker Josef Löffl schickt 20 Studenten als Gladiatoren in die Arena. Herr Löffl, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Löffl: Nichts zu danken!
Informationen der Universität Regensburg zu einem früheren Römer-Projekt von Josef Löffl, dem vierwöchigen Fußmarsch auf den Spuren der römischen Limesstraße entlang der Donau