Gute Gespräche mit Gottlosen
Der Vatikan veranstaltet weltweit Gesprächsrunden, zu denen Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler eingeladen sind. In dieser Woche trafen sich Kirchenleute mit Hunderten Gästen im Berliner Roten Rathaus.
Philipp Gessler: Kardinal Ravasi, der Titel "Vorhof der Völker" ist etwas sperrig, weil man zum einen denkt: Gehörten die Leute, die dann im Vorhof der Völker sind, etwa nicht richtig dazu zum Dialog? Und zum anderen kennen viele den Ausdruck oder den Ort Vorhof der Völker nicht. Warum glauben Sie trotzdem, dass dies ein guter Titel für eine solche Veranstaltung ist?
Gianfranco Kardinal Ravasi: Im Tempel von Jerusalem lag der Hof der Nichtjuden parallel zu dem der Juden, es existierten also zwei verschiedene voneinander getrennte Bereiche – Höfe - , in denen man sich treffen konnte. Wir wollten die zwei Welten, wie Apostel Paulus es ausdrückt, im "Cortile dei gentili", dem Vorhof der Völker, in einem gemeinsamen Hof vereinen, die Welt der Gläubigen und die der Ungläubigen in einem Gebiet zusammenbringen.
Philipp Gessler: Bei dem Titel dieser Veranstaltung hier in Berlin geht es um die Freiheitserfahrungen, die man machen kann. Wenn man manche katholische Theologen in der Kirche fragt, dann haben die keine großen Freiheitserfahrungen gemacht – wie zum Beispiel Hans Küng oder Leonardo Boff. Würden Sie trotzdem sagen, dass man in der Theologie, in der Kirche diese Freiheitserfahrungen tatsächlich machen kann? Und wo sind die Grenzen dieser Freiheitserfahrung als Theologe?
Ravasi: Bisher hat es viele Schwierigkeiten im Dialog gegeben, in der Zivilgesellschaft, in der Politik und auch Schwierigkeiten innerhalb der Kirche. Jetzt erleben wir eine Zeit, in der der Dialog einfacher geworden ist. In der Geschichte der Kirche ist das wie ein Pendel. Es gab Zeiten, in denen man versucht hat, die Grenzen angesichts äußerer Schwierigkeiten so klar wie möglich abzustecken, dagegen gab es aber auch Zeiten, in denen die Horizonte erweitert und geöffnet wurden, aus denen man mit einer größeren Freiheit hervorkam. Diese Perioden findet man in der ganzen Kirchengeschichte. Jetzt befinden wir uns in einer Zeit des Dialogs, was ich als sehr positiv erachte.
Philipp Gessler: Hat das etwas mit dem neuen Papst zu tun, dass der Dialog mit den Atheisten und Agnostikern leichter geworden ist?
Ravasi: Der Vorhof der Völker ist tatsächlich unter Benedikt XVI. entstanden. Er hatte die Voraussetzungen geschaffen für einen Dialog - auch mit den Ungläubigen und mit anderen Religionen, ausgehend von der Grundlage der menschlichen Natur, des menschlichen Gewissens und der Vernunft. Der Anteil Benedikts XVI. war für das Fundament des Dialogs also sehr wichtig. Jetzt, mit Papst Franziskus, ist es aber möglich, das Gebäude dieses Dialogs wesentlich weiter zu bauen, viele weitere Themen einfließen und vor allem weitreichendere Begegnungen stattfinden zu lassen.
Philipp Gessler: Glauben Sie, dass es bei dem "Vorhof der Völker" es die Möglichkeit gibt, Atheisten oder Agnostiker zu überzeugen, dass der Glaube doch vernünftig ist und man ihm folgen kann?
"Das Ziel ist nicht, den anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen"
Ravasi: Ich denke, dass die Bedeutung des Vorhofs der Völker eng mit zwei Hauptaspekten verbunden ist: Einmal sollen die Atheisten sehen, dass der religiöse Diskurs komplex ist und über eine eigene Würde verfügt. Auf der anderen Seite muss der Gläubige sich mit einer Weltsicht konfrontieren, die in sich vielleicht eine Vollständigkeit besitzt, auch ohne den Gedanken der Transzendenz und ohne Gott.
Das erste Ergebnis wäre also der gegenseitige Respekt dieser beiden verschiedenen, in sich geschlossenen Weltsichten. Der zweite Aspekt hängt mit der Tatsache zusammen, dass es nicht darum geht, dass ein Gläubiger ein theologisches System erklärt, ebenso wenig wie der Nicht-Gläubige kommt, um seine Überzeugung zu repräsentieren. Beide sollen mit ihrer eigenen Leidenschaft auftreten können, mit ihren persönlichen existenziellen Erfahrungen. Es geht schließlich um ein Zusammentreffen von Menschen, allein das ist schon ein positives Ergebnis für beide. Das Ziel ist nicht, den anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen.
Philipp Gessler: Ist denn die Tatsache, dass es einen Dialogforum gibt wie den Vorhof der Völker ein Zeichen dafür, dass tatsächlich die katholische Kirche das Gespräch, den Gesprächsfaden verloren hat mit den Intellektuellen, mit den Wissenschaftlern und mit den Künstlern?
Ravasi: In der Tat ist es im vergangenen Jahrhundert zumindest teilweise zu einer Art Zerwürfnis, einer Trennung zwischen Glaube und Wissenschaft, Glaube und Kunst, Glaube und Kultur, Glaube und Gesellschaft gekommen, im Vergleich zu den Jahrhunderten davor, in denen es einen Dialog oder besser eine enge Einheit von Glaube und Wissenschaft, Glaube und Kunst et cetera gab, eine fruchtbare Verbindung. Das muss man als erstes in Betracht ziehen.
Jetzt erfolgt die Begegnung sicherlich mit größerem gegenseitigem Respekt – die Wissenschaft, die Kunst und die Philosophie sind weniger misstrauisch bei Begegnungen mit Religion und Theologie, das geht durchaus tiefer und ist kein oberflächliches Phänomen. Der andere Aspekt ist, dass der Vorhof der Völker nicht allein ein Platz für den Dialog auf hohem intellektuellem Niveau sein soll, sondern, so wie wir das auch in verschiedenen anderen Städten Europas und in Amerika gemacht haben, auch der breiten Masse Raum für Dialog bieten soll. Wir haben zum Beispiel auch einen Hof der Kinder und einen Hof, in dem es um wirtschaftliche und soziale Probleme geht. Es gibt also den Wunsch die Verbindung zwischen dem Glauben und der Kultur des Volkes, der Gesellschaft neu zu knüpfen.