Energiekrise in der Glasindustrie

    Teure Flaschen

    Eine Mitarbeiterin entnimmt  in Grossbreitenbach (Thüringen) eine Flasche aus der Glasproduktion bei Wiegand-Glas zur Gewichtskontrolle.
    Der hohe Energiebedarf in der Glasproduktion wird für Unternehmen wie Wiegand-Glas in Thüringen in Zeit steigender Energiekosten zu einer hohen Belastung. © picture alliance / ZB
    Der Ukraine-Krieg treibt die Energiepreise weiter in die Höhe. Besonders betroffen ist die Glasindustrie. Dort wird zum Schmelzen viel Energie verbraucht. In Thüringen sitzen die größten Unternehmen der Branche. Sie hoffen auf staatliche Hilfe.
    Lärm und Hitze brüllen um die Wette neben der „Wanne“, dem Herzstück der Glasindustrie, einem gigantischen Kessel, in dem Altglas, Sand und Soda bei 1.600 Grad zu einer orange leuchtenden Flüssigkeit geschmolzen werden.
    Es seien mehr als 50 Grad auf dem Podest neben der Wanne, meint Werner Fehn. Er ist Betriebsratsvorsitzender bei Wiegand-Glas, einem Großproduzenten von Flaschen und Gläsern für Getränke und andere Lebensmittel.

    Leuchtende Glastropfen im Sekundentakt

    3,5 Milliarden im Jahr, das sind knapp zehn Millionen pro Tag. Jede vierte in Deutschland verkaufte Flasche für Bier, Wein, Saft oder was auch immer kommt von Wiegand in Oberfranken und Südthüringen.
    Im Sekundentakt fliegen orange leuchtende Glastropfen an uns vorbei. Aus jedem wird Sekunden später eine Flasche. Zuvor wurde das Altglas einen ganzen Tag bei 1600 Grad geschmolzen. Mit Energie aus Gas und Strom.
    400 Tonnen Glas pro Tag und Wanne. Wiegand hat elf Wannen. Die enorme Hitze und die Massen weisen auf das Problem hin, das die Glasindustrie hat: einen hohen Energiebedarf und enorme Energiekosten. Diese liefen momentan aus dem Ruder, beklagt der Geschäftsführer von Wiegand-Glas, Nikolaus Wiegand: "Wenn man jetzt das letzte Jahr oder die Zeit vor ungefähr zwölf Monaten mit dem heutigen Preis vergleicht, dann reden wir eigentlich inzwischen über eine Verzehnfachung.“

    Auch die langfristigen Preise gehen nach oben

    Das heißt: Eine Verzehnfachung des Gaspreises auf dem Spotmarkt, also ein Tagespreis für diejenigen, die kurzfristig kaufen. „Das ist heftig“, klagt Wiegand. „Der heutige Tag ist natürlich auch ganz besonders. Nun haben wir den Tag sechs oder sieben des Krieges in der Ukraine. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen, auch beim Erdgas.“
    Und die hohen Tagespreise ziehen auch die langfristigen Preise nach oben. Anderen Glasherstellern in der Region Oberfranken/Südthüringen geht es ebenso.

    Hilferuf per Video

    Deshalb haben sie sich zu einer ungewöhnlichen Allianz von Firmen, Mitarbeitenden, Industrie- und Handelskammer, Gewerkschaft und Lokalpolitik zusammengefunden und ein Video produziert, um aufmerksam zu machen. Der Titel des Videos: „Alarmstufe Rot“.

    Wir sind alle in einem Boot hier, und wir haben ein Problem. Es liegt derzeit ein krasses Marktversagen vor. Die Energiepreise sind nicht mehr tragbar. Wir können so nicht mehr wirtschaftlich produzieren. Jetzt sind 8000 von 23.000 Arbeitsplätzen bedroht. Uns brechen gesamte Wirtschaftszweige weg!

    Aus dem Video „Alarmstufe Rot“

    Auch Carletta Heinz ist in dem Video zu sehen und zu hören. Sie führt das Familienunternehmen Heinz Glas, dass Flakons und Flaschen für Kosmetik und Parfums herstellt und weltweit exportiert, in der 13. Generation.

    Preissteigerungen um bis zu 600 Prozent

    Sie rechnet vor: „Wenn man jetzt mal die Unternehmen, die auch in dem Video vorgekommen sind, zusammennimmt, dann haben wir alle gemeinsam pro Jahr in etwa so 40 bis 50 Millionen Euro für unsere Energie bezahlt. Wenn man jetzt das hochrechnet mit den Preisen aus dem Januar/Februar 2022 und annimmt, dass das jetzt über dieses Jahr so bleibt, dann wären es ungefähr 260 Millionen Euro.“ Das entspräche einer Preissteigerung um 500 bis 600 Prozent.
    Zudem belastet die Glasindustrie die Unsicherheit, ob immer Gas fließen wird. Gäbe es eine spontane Unterbrechung, würden die Glaswannen vermutlich zerstört werden. Um die zehn Millionen Euro kosten sie pro Stück.
    Nur ein kontrolliertes, geplantes Herunterfahren ist möglich, aber sehr aufwendig. Dennoch wollen sie erst mal weiter produzieren, sagt Wiegand-Glas-Geschäftsführer Nikloaus Wiegand.
    "Momentan ist es also auch nicht möglich, mit Gewinn zu operieren." Seine Firma sei mit diesem Problem an die Kunden herangetreten.

    Nicht alle Kunden haben Verständnis

    Mit unterschiedlichem Erfolg. Bei einigen Kunden stoße er auf Verständnis, andere seien hartgesotten. „Wenn man dann eben auch in bestehende Verträge hinein versucht, Dinge zu verändern, dann sagen Kunden: ‚Nee, da nehme ich mir einen Rechtsanwalt und ich verklage dich!' Und: 'Ich muss bei Lidl liefern und bei wem auch immer.'“
    Es sei aber momentan unmöglich, die gesamten, extrem gestiegenen Energiepreise auf die Kunden umzulegen. Carletta Heinz – die Parfumflakon-Herstellerin - sieht noch weniger Spielraum.
    „Es ist nicht tragbar für uns. Wir sind halt global tätig. Wir exportieren ungefähr 80 Prozent und haben da halt einen deutlichen Wettbewerbsnachteil.“ Außerdem sei der Markt unberechenbar geworden.

    Zeitweilige Preiskappung als Lösung?

    Deshalb hat Branchenkollege Wiegand Forderungen an die Politik:

    Der Markt funktioniert nicht mehr normal, er ist komplett irrational geworden. Und deswegen denke ich mal schon, dass man sich auch staatliche Eingriffe in diesen ‚Markt‘ sehr wohl überlegen muss. Das ist eine Subvention. Das geht dann sozusagen auf die Bilanz des Staates.

    Nikolaus Wiegand, Unternehmer

    Sein Vorschlag: Ein Maximalpreis für den Energiebedarf von besonders energieintensiven Unternehmen wie eben in der Glasherstellung.
    „Wir haben zum Beispiel den Vorschlag gemacht, ob man nicht Preis-Caps für Strom und für Erdgas zeitlich befristet und auch für alle nachvollziehbar einführen könnte. Das gibt es etwa in Frankreich.“
    Auch Carletta Heinz ist für solche Begrenzungen der Energiepreise nach oben:

    Es gibt auch andere Möglichkeiten über Steuern, über Sonderabschreibungen, über verschiedene Instrumente, die unserem Staat oder unserer Bundesregierung zur Verfügung stehen. Es gibt auch Möglichkeiten über die EU, aber es muss eben schnell passieren. Und das ist unsere Forderung: dass jetzt wirklich 'was passiert. Wir haben ja mit vielen Vertretern aus der Politik gesprochen. Unser Problem wurde auch verstanden. Es ist aber nie ein zweiter Schritt erfolgt.

    Carletta Heinz, Unternehmerin

    Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee ist sich des Problems bewusst und bestätigt einen Handlungsbedarf bei der Politik, vor allem im Bund und auf EU-Ebene. Aber gekappten Energiepreisen gegenüber ist er skeptisch. „Das ist nicht so einfach, denn wir haben primär marktgetriebene Entwicklungen“, erläutert er seine Zurückhaltung. „Und da sind die politischen Handlungsspielräume natürlich begrenzt."

    Signale aus dem Bundeswirtschaftministerium

    Aber es gebe Hoffnung, meint der Wirtschaftsminister. „Ich habe vorsichtige Andeutungen aus dem Bundeswirtschaftsministerium gehört, dass man – gerade, was jetzt auch die Russland-Ukraine-Krise, den Krieg, anbetrifft –, dass man da auch darüber nachdenken muss, ob man gezielt einzelne Unternehmen unterstützt, bei denen alles kumuliert.“
    Auch die Lokalpolitik macht sich Sorgen, denn von der langfristigen Energiesicherheit und vertretbaren Energiepreisen seien auch Standortentscheidungen abhängig.
    Wiegand beispielsweise hat in Schleusingen eine millionenteure neue Wanne gebaut, die vorerst nicht in Betrieb geht, weil der Betrieb unrentabel wäre. Der Bürgermeister André Hennneberg sorgt sich.
    „Es ist der größte Betrieb in der Stadt und einer der größten Arbeitgeber, auch ein großer Arbeitgeber in der Region, und natürlich auch Industrieschwergewicht im Landkreis. Aber es hängen halt ein Haufen Arbeitsplätze mit dran und nicht zuletzt ein großer Teil der Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Schleusingen.“

    Sorge um Standorte

    Auch Heinz wollte eine weitere Wanne bauen, zögert nun aber. Weniger im aktuellen Geschehen als in zukünftigen Investitionsentscheidungen sieht deshalb der Chef der Industrie- und Handelskammer Südthüringen, Ralf Pieterwas, Gefahren lauern:
    „Weil gerade im Glasbereich alle zehn Jahre neue Investitionen anstehen, sind die Unternehmen natürlich sehr sensibel, was den Standort angeht. Das sind selbst für solch robuste Unternehmen der Traditionsindustrie echte Herausforderungen, die zum Schluss zu anderen Standortentscheidungen führen können.“

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