Paralleluniversum für alternative Lebensentwürfe
Es ist wieder soweit: Das legendäre Glastonbury Festival steigt. Seine Wurzeln hat es in der Hippie-Ära. Über 170.000 Besucher pilgern jedes Jahr zum wichtigsten Musikfest Europas. Amy Zayed über einen Mythos, Bars aus Müll und einen Mann namens Michael Eavis.
Es ist in diesen Tagen mal wieder Regen angesagt fürs Glastonbury Festival. Sprich: Die Leute müssen sich auf Schlamm bis zu den Knien einstellen und auf nasse Klamotten. Und ganz nebenbei müssen sie aufpassen, dass ihre Zelte nicht wegschwimmen.
Und sie stehen überall herum: -zig Tausende. Bis zum Horizont ist der Blick mit den kleinen Iglu-Formen gefüllt. Sie reichen sogar bis an die Hauptbühne gleich bei den Verstärkern. Sonst grasen hier auf der zwei Mal zwei Kilometer großen Worthy Farm nur Kühe. Doch einmal im Jahr am letzten Juniwochenende herrscht hier alles andere als Farmidylle.
800 Acts auf 80 Bühnen
In Glastonbury entsteht für ein paar Tage so eine Art Paralleluniversum für Kunst und alternative Lebensentwürfe. Auf ungefähr 80 Bühnen treten fast 800 Acts auf. Doch die spielen nicht nur Rock und Pop Musik. Glastonbury ist Musik-, Zirkus-, Kunst-, Literatur- und Comedy-Festival in einem. Es ist vor allem diese Vielfalt, die die Leute anzieht.
Michael Eavis war Bauer, als er das Festival erfand. Seit über 40 Jahren ist er auch Festival-Chef und erinnert sich, wie alles angefangen hat.
"Ich war 1969 zum erstenmal auf einem Festival. Das war zur gleichen Zeit wie Wodstock. Ich wusste aber damals gar nichts von Woodstock. Ich wollte auch so was in meinem Hinterhof haben. Ich dachte: Sowas will ich auch haben, so ein Festival! Ich hatte vorher nur als Farmer gearbeitet, und hatte keine Lust mehr, immer nur Kühe zu melken und Dünger zu streuen. Aber dass es so groß wird, hab ich nicht geplant. "
Bis heute hat sich Glastonbury zum "Mekka der Europäischen Festivals" entwickelt, das der Familie Eavis nicht nur einen annehmbaren Lebensstandard sichert, sondern auch sehr viel Ruhm. Dieses Jahr geht die Palette der namhaften Headliner von Muse über Coldplay, Cindy Lauper, Adele und Paul Carack, bis zu Chvrches und "Damon Albarn and the Syrian Orchestra".
Auf dem Festival werden neue Talente entdeckt
Musikalisch hat sich das Festival dabei immer wieder als Inkubator für neue Talente erwiesen. Glastonbury ist dafür bekannt, neue Talente zu fördern, oder solche, die in Großbritannien noch nicht wirklich Fuß gefasst haben. 2010 hatte etwa die R&B Künstlerin Nneka ihren ersten Glastonbury-Auftritt und fühlte sich dadurch unglaublich geehrt.
"Ich hatte gestern mal ein bisschen recherchiert, und herausgefunden, dass Glastonbury eines der größten Festivals Europas ist. Ich fand das großartig! Ich dachte: Wow! Als ich da oben auf der Bühne stand war ich geflasht. Die Leute kannten meine Musik kaum, und trotzdem haben sie mitgesungen und mitgetanzt. Hier herrscht tatsächlich dieses Gefühl vor, diese Botschaft der Liebe, die durch die Musik auf die Leute überspringt."
Für Eavis sind aber nicht nur die Bands wichtig. Er möchte, dass Glastonbury auch ein Ort der Inspiration für jede Form von Kunst ist. Überall stellen Künstler ihre Installationen auf dem Gelände aus und verwandeln das Weideland so in eine riesige Galerie. Ganz am südlichen äußeren Ende des Geländes gibt es dann das verwunschene "Trash city". Eine Stadt mit Bars aus Plastik, Schrott und Müll. Steve Lamacq ist Journalist, Radiomoderator und Dauergast des Festivals.
"Es ist so, als hätte man eine Müllhalde aus der Zukunft genommen, und daraus eine Stadt mit schrägen Skulpturen gebaut. Und überall stehen diese Leute rum mit selbstgebastelten Kostümen, und die aus Müll gebauten Bars. Das Ganze erinnert wirklich an eine Stadt nach dem Weltuntergang. Diese Sachen machen das Festival erst aus. Viele kommen nur wegen der Bands, aber es gibt auch andere interessante Seiten von Glastonbury."
Eavis will in dieser Welt etwas bewegen
Was auch immer es ist, das die vielen Tausend Besucher jedes Jahr nach Glastonbury pilgern lässt: Es muss einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Vor allem geht es Eavis aber bis heute noch um den Grundgedanken, etwas in dieser Welt zu bewegen, etwas, was nicht stimmt, anzusprechen.
Mit "The Sisterhood", ein Bereich, zu dem ausschließlich Frauen Zutritt haben, will er dieses Jahr ein Zeichen setzen. Mit solchen Aktionen beeindruckt Eavis die Leute noch immer.
Doch am meisten freut sich Eavis dann, wenn er auch im Alltag der Menschen etwas verändern kann.
"Wir haben uns schon immer politisch eingesetzt, haben sogar zweimal gegen den den Irakkrieg demonstriert. Aber was mich wirklich berührt ist, wenn mir Leute schreiben, denen mein Festival etwas Besonderes gegeben hat. Eine Frau schrieb, sie würde nun im Londoner Gospelchor mitsingen, vorher war sie Putzfrau. Glastonbury hat mich zu etwas Besonderem gemacht."