Glaube, Humanismus, Atheismus
Der große Streit um das kleine Unterrichtsfach Religion in Berlin hat trotz aller Aufgeregtheiten und polemischer Entgleisungen ein Gutes: Er rückt die Diskussion über Werte in einer säkularisierten Gesellschaft in den Fokus.
Die Religion, zumal die christliche, hat schon lange ihr Sinnstiftungsmonopol verloren. Sie muss sich den öffentlichen Raum mit Areligiösen und Atheisten teilen. Selbst den kämpferischen unter ihnen wird man nicht pauschal eine inhumane Gesinnung unterstellen können. Umgekehrt ist es verfehlt, wenn von deren Seite permanent Zweifel an der Toleranz- und Dialogfähigkeit der monotheistischen Religionen geschürt werden und Gott als blutrünstiges Ungeheuer dargestellt wird. Es ist ja wahr: Keine Religion ist immun gegen das Gift des Fundamentalismus. Aber ebenso wahr ist: Die Aufklärung hat im Christentum zur Abkehr von Herrschaft und Gewalt, zur Akzeptanz von Demokratie und pluraler Gesellschaft geführt – diesen schmerzhaften Prozess hat zum Beispiel der Islam noch vor sich.
Für den Philosophen Jürgen Habermas sind religiöse Überzeugungen auch heute noch eine kognitive Herausforderung. In den Religionsgemeinschaften sei jenseits vom Dogmatismus etwas intakt geblieben, was andernorts verloren gegangen sei: Sensibilität für verfehltes Leben, für Misslingen von Lebensentwürfen, unbedingt zu achtende Würde jeder Person. Nächstenliebe und eine globale Brüderlichkeitsethik, die in der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen ihren Grund haben, formulieren für jeden ein bleibendes Existenzrecht. Jeder ist zu lieben, selbst wenn er als Sünder anzusehen wäre. Eine ganze Gesellschaft wurde für die Armut und für die Armen, die Benachteiligten sensibilisiert. Das wirkt bis in unsere Sozialpolitik weiter. Die Diakonie der Kirchen leistet deshalb entschiedenen Widerstand gegen ein reduktionistisches Menschenbild und Gesellschaftsverständnis, wie es sich unter dem Vorzeichen der Ökonomisierung artikuliert. Nicht der Markt, der Mensch ist das Maß.
Christlicher Glaube erschöpft sich jedoch nicht in "Werten". Christliche Theologie hat nicht für das Schmieröl des gesellschaftlichen Motors zu sorgen. Was sie mitzuteilen hat, muss in bestimmten Fällen eher wie Sand im Getriebe wirken – so sagt es Bischof Wolfgang Huber. Sie richtet sich nicht nach gesellschaftlichen Bedürfnissen. Christliche Wahrheit bezieht sich darauf, dass Gott sich in einem Menschen offenbart, der den Mächtigen ein Ärgernis ist. Der Glaube an einen personalen Gott setzt staatlichen Allmachtsphantasien Grenzen. Dieser Glaube gründet auf Freiwilligkeit. Und ohne freiheitliche Machtbegrenzung droht ein Gemeinwesen auseinander zu driften.
Selbst in der heiklen Problematik der Religionsfreiheit hat das Christentum Maßstäbe gesetzt, erinnert sei nur an das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche. Die Wahrheit des Glaubens, hat der Konzilstheologe Karl Rahner geschrieben, kann nicht rationalisiert werden, sie muss aber vor der Vernunft Bestand haben. Das ist eine Absage an religiöse Schwärmerei und zugleich eine Warnung vor einer platten Gottesleugnung mancher Atheisten.
Doch Vorsicht! Die Rede von einer Wiederkehr des Atheismus, im Berliner Religionsstreit immer wieder zu hören, ist unscharf – wie die Behauptung einer Wiederkehr der Religion. Noch immer ist nicht klar, welcher Atheismus, ein aggressiv-kämpferischer oder ein "frommer", eher agnostischer, humanistischer, der lediglich seinen Unglauben bekennt, wiederkehrt. Erst wenn diese Klärung abgeschlossen ist, kann redlicherweise darüber gestritten werden, was Religiösen und Atheisten gemeinsam ist. Erst dann kann herausgefunden werden, ob sich ein Konsens über Wertvorstellungen finden lässt. Und ob vielleicht so etwas wie eine gesellschaftliche Ökumene von Christen und Nichtglaubenden beziehungsweise Atheisten möglich ist.
Gernot Facius, Journalist und Medienwissenschaftler, geboren 1942 im Sudetenland, viele Jahre bei der Tageszeitung "Die Welt", zuletzt als stellvertretender Chefredakteur, u. a. verantwortlich für das Ressort "Religion und Gesellschaft" und die Meinungsseite, verheiratet, fünf Kinder, Lehrauftrag für Medienwissenschaft an der Universität Düsseldorf. Autor der Tageszeitung "Die Welt".
Für den Philosophen Jürgen Habermas sind religiöse Überzeugungen auch heute noch eine kognitive Herausforderung. In den Religionsgemeinschaften sei jenseits vom Dogmatismus etwas intakt geblieben, was andernorts verloren gegangen sei: Sensibilität für verfehltes Leben, für Misslingen von Lebensentwürfen, unbedingt zu achtende Würde jeder Person. Nächstenliebe und eine globale Brüderlichkeitsethik, die in der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen ihren Grund haben, formulieren für jeden ein bleibendes Existenzrecht. Jeder ist zu lieben, selbst wenn er als Sünder anzusehen wäre. Eine ganze Gesellschaft wurde für die Armut und für die Armen, die Benachteiligten sensibilisiert. Das wirkt bis in unsere Sozialpolitik weiter. Die Diakonie der Kirchen leistet deshalb entschiedenen Widerstand gegen ein reduktionistisches Menschenbild und Gesellschaftsverständnis, wie es sich unter dem Vorzeichen der Ökonomisierung artikuliert. Nicht der Markt, der Mensch ist das Maß.
Christlicher Glaube erschöpft sich jedoch nicht in "Werten". Christliche Theologie hat nicht für das Schmieröl des gesellschaftlichen Motors zu sorgen. Was sie mitzuteilen hat, muss in bestimmten Fällen eher wie Sand im Getriebe wirken – so sagt es Bischof Wolfgang Huber. Sie richtet sich nicht nach gesellschaftlichen Bedürfnissen. Christliche Wahrheit bezieht sich darauf, dass Gott sich in einem Menschen offenbart, der den Mächtigen ein Ärgernis ist. Der Glaube an einen personalen Gott setzt staatlichen Allmachtsphantasien Grenzen. Dieser Glaube gründet auf Freiwilligkeit. Und ohne freiheitliche Machtbegrenzung droht ein Gemeinwesen auseinander zu driften.
Selbst in der heiklen Problematik der Religionsfreiheit hat das Christentum Maßstäbe gesetzt, erinnert sei nur an das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche. Die Wahrheit des Glaubens, hat der Konzilstheologe Karl Rahner geschrieben, kann nicht rationalisiert werden, sie muss aber vor der Vernunft Bestand haben. Das ist eine Absage an religiöse Schwärmerei und zugleich eine Warnung vor einer platten Gottesleugnung mancher Atheisten.
Doch Vorsicht! Die Rede von einer Wiederkehr des Atheismus, im Berliner Religionsstreit immer wieder zu hören, ist unscharf – wie die Behauptung einer Wiederkehr der Religion. Noch immer ist nicht klar, welcher Atheismus, ein aggressiv-kämpferischer oder ein "frommer", eher agnostischer, humanistischer, der lediglich seinen Unglauben bekennt, wiederkehrt. Erst wenn diese Klärung abgeschlossen ist, kann redlicherweise darüber gestritten werden, was Religiösen und Atheisten gemeinsam ist. Erst dann kann herausgefunden werden, ob sich ein Konsens über Wertvorstellungen finden lässt. Und ob vielleicht so etwas wie eine gesellschaftliche Ökumene von Christen und Nichtglaubenden beziehungsweise Atheisten möglich ist.
Gernot Facius, Journalist und Medienwissenschaftler, geboren 1942 im Sudetenland, viele Jahre bei der Tageszeitung "Die Welt", zuletzt als stellvertretender Chefredakteur, u. a. verantwortlich für das Ressort "Religion und Gesellschaft" und die Meinungsseite, verheiratet, fünf Kinder, Lehrauftrag für Medienwissenschaft an der Universität Düsseldorf. Autor der Tageszeitung "Die Welt".