Glaubensbekenntnis

Ein Vorbild für kultivierten Streit

Besucher des Kirchentags 2013 in Hamburg
Für den Umgang miteinander liefert Christen, wie etwa den Besuchern des Kirchentags 2013, die Barmer Theologische Erklärung bis heute Orientierung. © picture alliance / dpa
Von Knut Berner · 28.05.2014
Vor 80 Jahren wurde die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet. Die darin enthaltenen Thesen forderten die Christen, die dem Nationalsozialismus anhingen, zum Disput heraus. Für den Pfarrer Knut Berner besitzt das Bekenntnis bis heute Vorbildcharakter.
Was ist Wahrheit? Und was ist Irrtum? Über diese Fragen zu streiten, ist ein wenig aus der Mode gekommen. Nicht ganz zu Unrecht, denn es gilt in vielen Lebensbereichen, dass das Feststellen von Wahrheiten und Irrtümern eine Frage der Perspektive und Interpretation ist.
Zudem werden Leute unangenehm, wenn sie meinen, die Wahrheit gepachtet zu haben und wenn sie die Irrtümer nur bei anderen sehen. Außerdem geht es bei solchen Auseinandersetzungen nicht immer nur um die Sache, sondern oft um die beteiligten Personen, Emotionen und eine gemeinsame Geschichte.
Und es ist eine Kunst festzustellen, wann Streit überhaupt angebracht ist und wann es besser ist, ihn zu vermeiden.
Wichtigstes Dokument der Bekennenden Kirche
Die Barmer Theologische Erklärung aus dem Mai 1934 ist das wichtigste Dokument der Bekennenden Kirche. Es weist die Lehren der sogenannten Deutschen Christen, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten, als Irrtümer zurück. Was lässt sich daraus für eine heutige Streitkultur lernen?
Zunächst, dass die Barmer Erklärung in einer Notsituation geschrieben wurde. Ferner ist wichtig, dass in Form der Thesen zuerst immer etwas Positives ausgesagt wird, bevor die Kritik einsetzt. Die pure Negation wird vermieden. Und schließlich verwirft die Erklärung nicht Menschen, sondern die von ihnen vertretenen Lehren. Allein darüber streitet Barmen.
Denn 1934 wurde aufdringlich ersichtlich, dass theologische Lehren keine Gedankenspielereien sind, sondern sehr praktische Auswirkungen haben können: Die Antwort auf die Frage, wo Gott begegnet, ist da nicht mehr Privatsache, wo natürliche und staatliche Angelegenheiten religiös überhöht werden und Gott für rassistische und völkische Ansichten funktionalisiert wird.
Fragen, die nicht nur für Christen interessant sind
Die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche oder darauf, wer Anspruch auf unser ganzes Leben erheben kann, ist da nicht mehr akademisch und schon gar nicht nur für Christen interessant, wo es massive Übergriffe des Systems gegenüber Individuen gibt und Gleichschaltung aller angestrebt wird. Auch eine Gleichschaltung im Denken.
Deshalb stellt die Barmer Theologische Erklärung Wahrheit gegen Irrtum. Und es gibt Zeiten, das ist schon über das Denken der Menschen zu streiten, weil es nicht zu vertreten wäre, erst ihr Handeln abzuwarten.
Drei weitere Punkte markieren die Aktualität der Barmer Theologischen Erklärung: Erstens wird dort explizit und ausschließlich theologisch argumentiert, also streng bei der Sache geblieben, um die es geht.
Zweitens wurde der Text in wesentlichen Teilen von einer Person, nämlich Karl Barth verfasst und dann Ende Mai 1934 von einer großen Synode aus reformierten, lutherischen und unierten Christen verabschiedet. Heute sieht es oft anders aus: gemeinsame Erklärungen wirken schon im Ansatz verwässert.
Ein Aufruf zur Versöhnung
Drittens endet die Erklärung bei aller Schärfe mit einem Aufruf zur Versöhnung. Klar wird: Es gibt Gegner, mit denen man sich argumentativ auseinandersetzen muss. Es gibt Lehren, über die der Streit lohnt. Immer aber mit dem Ziel, das die Gegnerschaft enden möge. Und mit Selbstkritik, denn die Gegner, um die es ging, stammten aus derselben Kirche und lebten in demselben Staat, denen auch die Kritiker angehörten.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum© privat
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