Die Religion der Yeziden
Die islamistischen Terroristen der Gruppe IS haben im Irak große Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Sie verfolgen nicht-muslimische Minderheiten, wie etwa die Yeziden. Ein Einblick in die Geschichte der kurdischen Glaubensgemeinschaft.
Yeziden sind Kurden. Sie leben hauptsächlich in den heutigen kurdischen Siedlungsgebieten: im Nordirak, in Syrien und im Südosten der Türkei. Ihr religiöses Heiligtum ist die Stadt Lalisch im nordirakischen Kurdistan. Über ihre Zahl sind keine genauen Angaben möglich, weil sie in den jeweiligen Ländern nicht alsYeziden erfasst werden, sagt Chaukeddin Issa, der in Berlin lebt und über seine Religion forscht. Weltweit wird die Zahl der Jesiden auf 1,5 Millionen geschätzt, sagt Issa.
"Davon circa 800.000 bis 900.000 im Irakisch-Kurdistan, und der Rest verteilt auf die vorhin erwähnten Länder. Und auch außerhalb der Heimat, in der Diaspora. In Deutschland leben ca. 120.000Yeziden in verschiedenen Städten – hauptsächlich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen."
Yezidische Religion ist vor 5000 Jahren entstanden
Viele Yeziden mussten ihre Heimat verlassen und ins Ausland flüchten, weil sie aus religiösen Gründen verfolgt wurden. Besonders in der Türkei werden sie noch heute als "Teufelsanbeter" verleumdet und sind Repressalien durch muslimische Fanatiker ausgesetzt. Die yezidische Religion ist vor 5000 Jahren in Mesopotamien entstanden. Die meisten Kurden wurden zwar islamisiert, aber die Yeziden konnten ihre Urreligion davor schützen, sagt Issa.
"Es ist nicht vergleichbar mit einer Buchreligion, so wie mit dem Islam oder Judentum und Christentum, sondern diese Religion hat sich entwickelt. Deshalb ist es für Außenstehende ein bisschen verwirrend, weil manche dadurch behaupten, dass diese Religion Elemente aus verschiedenen Religionen haben. Das trifft aber nicht zu."
Das Yezidentum ist eine monotheistische, aber keine Offenbarungsreligion. Die Yeziden haben keinen Propheten und kein heiliges Buch. Sie glauben an einen allmächtigen Schöpfer, den sie mit den Namen Ezda oder Hoda rufen. Die wörtliche Übersetzung aus dem Kurdischen wäre: "Der, der mich, sich und die Zeit erschaffen hat."
Yeziden dürfen nicht vom Teufel sprechen
Nach der yezidischen Schöpfungsgeschichte schuf Gott die Welt und zog sich aus ihr zurück. Sein irdischer Vertreter ist der Engel Taus-i Melek. Taus stammt aus dem Griechischen und bedeutet Gott. Melek kommt aus dem Aramäischen und heißt Engel. Taus-i Melek ist also der Gott-Engel. Er steht im Zentrum der Religion. Einen Gegenpart zum allmächtigen Gott und eine Hölle gibt es nicht. Das ist der Grund, warum Yeziden das Wort "Teufel" – egal in welcher Sprache – nicht aussprechen dürfen.
"Wir glauben nicht, dass der liebe Gott wie ein Richter oben steht, und er hat nichts anderes zu tun, als die Menschen zu sortieren: du gehst ins Paradies und du gehst... Das gibt's bei uns nicht. Bei uns ist das Leben kreisförmig. Und deshalb bezeichnen die Yeziden den Tod nicht als Ende, sondern man sagt: Er hat nur sein Kleid gewechselt, das heißt, er kehrt ja ins Leben zurück – Seelenwanderung, mit einer völlig anderen Seele."
Weil Yeziden einen Widersacher zu Gott nicht anerkennen und den Namen des Bösen nicht aussprechen, sind sie bis heute Verleumdungen, Verfolgungen und Massakern ausgesetzt. Intolerante Muslime unterstellen Yeziden, sie würden den Namen Teufel nicht aussprechen, weil sie ihn verehren. Das nahmen islamische Fanatiker in der Geschichte vielfach zum Anlass, Yeziden zu ermorden. Die Yeziden haben ihre Religion deshalb stets im Geheimen praktiziert.
Der gesamte Glaube ist mündlich überliefert
Ein Gotteshaus haben sie nicht. Ihre Hauptgebete verrichten sie beim Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Sie drehen sich mit dem Gesicht zur Sonne, falten die Hände vor dem Körper und sprechen ihre Gebete – stets auf Kurdisch. Die Gebete sind mündlich überliefert wie der gesamte Glaube, sagt Religionsforscher Chaukeddin Issa.
"Viele Yeziden haben damals Angst gehabt, wenn sie schreiben, dann werden diese Bücher verbrannt, und dann werden die Leute verfolgt. Und momentan arbeiten meine Freunde und ich daran, dass wir diese Psalmen und Gebete niederschreiben und schriftlich veröffentlichen als ein heiliges Buch. Das war notwendig, denn wir hatten Angst, dass wir diese Psalmen und Gebete verlieren."
Um die yezidische Identität und die Religion vor dem Aussterben zu bewahren, hat ein religiöser Wegweiser die Gesellschaft vor elf Jahrhunderten straff strukturiert. Die Yeziden leben seitdem in einem pyramidisch aufgebauten Kastensystem. Das weltliche und religiöse Oberhaupt aller Yeziden ist ein Emir. Er thront an der Spitze der Pyramide. Ihm folgen in der Hierarchie zwei klerikale Kasten: die der Scheichs und Pirs. Sie sind die Wegweiser der untersten Kaste, des einfachen Volkes.
"Jede yezidische Familie hat einen Scheich und einen Pir. Zum Beispiel der Scheich ist zuständig für die Taufe des Kindes."
Yezide wird man nur durch Geburt. Die Yeziden betrachten Missionierung und Konvertierung als Gotteslästerung. Denn sie achten und respektieren alle Religionen als gleichwertig. Für Yeziden selbst gilt die strikte Einhaltung der Endogamie. Sie dürfen nur innerhalb ihrer eigenen Kaste heiraten. Wer außerhalb der eigenen Kaste oder gar des Jesidentums heiratet, gilt nicht mehr als Jesiden. Der Ausschluss aus der Gesellschaft ist die höchste Strafe. Damit wollen die Yeziden sich und ihre 5000 Jahre alte Religion vor dem Aussterben bewahren.