Glaubenskampf in Polen

Der Streit um die künstliche Befruchtung

Im Biologischen Labor des Zentrums für Reproduktionsmedizin an der Universitätsfrauenklinik in Leipzig ist eine 200-fache Vergrößerungen der Befruchtung einer Eizelle zu sehen, aufgenommen am 17.03.2011.
Eine 200-fache Vergrößerungen der Befruchtung einer Eizelle im Labor © picture-alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster |
Seit Jahren tobt in Polen ein erbitterter Streit um die künstliche Befruchtung. Konservative und Kirchenvertreter stehen auf der einen, Linke und Liberale auf der anderen Seite. Weil sich beide Lager blockieren, fehlt bis heute jegliche juristische Regelung.
Die Straßenbahn Nummer 1 ruckelt die Wojska Polskiego hinunter, eine der Hauptstraßen von Stettin, dem polnischen Szczecin. Je weiter man sich vom Zentrum der pommerschen Metropole entfernt, desto nobler werden die Häuser. Jugendstil-Villen ziehen sich an der Straße entlang. Hinter einem schmiedeeisernen Zaun liegt - frisch renoviert - die Vitrolive-Klinik.
Leicht geschwungen, aus Holz, dominiert der noble Empfangstresen den Eingangsbereich. Zwei Mitarbeiterinnen warten dahinter lächelnd auf Patienten, Deckenstrahler verbreiten ein warmes Licht.
Schwester Anna kommt mit einem Stapel Patientenakten aus dem Ultraschallraum, eilt in flachen Schuhen und weißem Kittel an fünf wartenden Frauen vorbei. Die Hebamme nimmt die die alten, abgeschliffenen Holzstufen in den ersten Stock der Jugendstil-Villa.
Seit acht Uhr nehme ich den Patientinnen Blut ab, erzählt die 33-Jährige fröhlich. Heute stehen auch drei Frauen aus Deutschland auf der Liste. Um elf Uhr kommt dann ein Fahrer und bringt die Proben zur Untersuchung.
Im ersten Stock: das kleine Labor der Klinik. Anna legt die Patientenakten beiseite, ihre Kollegin Natalia nickt kurz zur Begrüßung, beugt sich dann wieder über ein Mikroskop. Konzentriert blickt sie durchs Okular, ihre rechte Hand ruht auf einem roten Knopf. Sie analysiert gerade eine Sperma-Probe.
Betreuung von der Befruchtung bis zur Geburt
Anna öffnet den Kühlschrank, hier lagern Hormonpräparate. Seit sieben Jahren arbeitet sie als Hebamme in der Kinderwunschklinik. Von der ersten Blutabnahme über die künstliche Befruchtung bis hin zur Geburt begleitet sie die Patientinnen. Eine Arbeit, die ihr Spaß macht, die aber längst nicht allen gefällt:
"Sie verstehen nicht, was wir hier machen. Und ihr Hauptargument ist, dass doch so viele Kinder die auf eine Adoption warten. Sie verstehen nicht, dass die Paare, die zu uns kommen, auch ein Stück von sich selbst haben möchten. Etwas Eigenes. Die Kritiker verstehen diese Gefühle einfach nicht. Darum sind sie auch so negativ eingestellt."
Eine "Versuchung des Teufels" nennt die katholische Kirche in Polen die künstliche Befruchtung. Selbsternannte Lebensschützer sprechen von tagtäglichem Embryonen-Mord in den Reproduktionskliniken. Und die oppositionelle, national-konservative PIS-Partei will die Methode verbieten.
Im Dachgeschoss der Klinik macht es sich Gründer Rafael Kurzawa auf einem beigefarbenen Ledersessel bequem:
"Das ist mein Zimmer – einfach. Aber es gibt Bücher über Reproduktionsmedizin auf Englisch. Ich studierte in Belgien, das sind sehr alte Bücher, die kommen immer mit mir."
Die Bücher haben ihn immer begleitet. Von Stettin nach Antwerpen, nach Brüssel. Und wieder zurück. Heute ist Rafael Kurzwawa Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe, Facharzt für Reproduktionsmedizin. Er lehrt an der Stettiner Universitätsklinik. Und leitet seit acht Jahren seine private Klinik für Reproduktionsmedizin:
"Und wir hatten auch Probleme an der Universität Reproduktionsmedizin zu entwickeln, das war nicht einfach."
Vor acht Jahren gaben die Gegner der Reproduktionsmedizin an der Universitätsklinik den Ton an. Kurzawa und drei seiner Kollegen entschieden sich deshalb ihre eigene Praxis zu gründen:
"Es war kein Risiko. Es war in Stettin keine solche Praxis, deswegen haben wir uns entschieden, das zu machen "
Das Geschäft mit dem Kinderwunsch läuft
Vom ersten Tag an läuft das Geschäft mit dem Kinderwunsch. Obwohl damals die gesamte Behandlung aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Mitte 2013 hat die liberal-konservative Regierungskoalition unter dem damaligen Premier Donald Tusk ein Programm aufgelegt, das 15.000 polnischen Paaren - verheiratet oder nicht - eine kostenlose Behandlung ermöglichen soll.
Außerdem kommt etwa ein Drittel von Kurzawas Patientinnen aus Deutschland. Viele nutzen hier die medizinischen Möglichkeiten, die in deutschen Praxen nicht erlaubt sind:
"Es geht hier auch um eine Insemination mit Samenspender. Es geht hier auch um Eizellenspender, was bei uns erlaubt wird. Natürlich kann man länger die Embryonen reifen, das ist auch möglich bei uns. Und wenn es um das Thema der Präimplantationsdiagnostik geht, das machen wir hier in Stettin nicht, das ist aber auch in Polen bis jetzt erlaubt."
Kurzawa verzichtet bewusst auf die Präimplantationsdiagnostik, die eine Auswahl der Embryos nach Geschlecht und genetischem Status ermöglicht. Eine Dienstleistung, die andere Kinderwunschzentren in Polen anbieten. Mittlerweile konkurrieren mehr als 50 Einrichtungen um die Patientinnen. Der rechtsfreie Raum verspricht Medizinern glänzende Geschäfte:
"Weil wir kein Gesetz in diesem Bereich haben, alle Kliniken in Polen können alles tun, das ist nicht gut. Wir wissen nicht, was die Kliniken in Polen machen. Und das muss reguliert werden. Ich bin sicher, dass wir das hier in Polen machen sollten."
In Krakau steigt Dr. Antoni Zieba die Stufen hinauf in den zweiten Stock eines Altbaus. Der 66-Jährige öffnet eine Bürotür und bleibt vor einem schlichten Empfangstresen aus Kirschholzfurnier stehen. Der Präsident von Pro-Life Krakau bittet eine Mitarbeiterin um ein paar deutschsprachige Info-Unterlagen für die Besucher.
Zieba wartet geduldig. Nestelt an seiner Krawatte, sucht in der Jacke seines dunklen Anzugs nach der großen, schwarzen Lesebrille. Bis zu seiner Pensionierung 2012 hat er an der Technischen Universität Krakau gelehrt. Und sich in seiner Freizeit für Pro-Life engagiert. Seit mehr als 30 Jahren bin ich "Lebensschützer", sagt er stolz.
1987 ist für den Ingenieur ein einschneidendes Jahr. Da wird das erste polnische Retortenbaby in Byalistok geboren:
"Mir war klar, dass dies kein Grund zur Freude ist. Denn mit In-Vitro betreten wir den 'Pfad des Todes' oder den 'Pfad zum Tod', weil man benötigt fünf bis neun Kinder, um ein Kind mit dieser Methode zur Welt zu bringen."
Die Gegner sprechen von Embryonenmord
"Kinder" – das sind für den gläubigen Katholiken Zieba schon die wenige Zellen zählenden Embryonen. Da manche dieser Embryonen bei der künstlichen Befruchtungschon kurz nach dem Transfer in die Gebärmutter sterben, ist die Methode für Zieba schlicht Mord.
Die Mitarbeiterin ist fündig geworden. Reicht Zieba eine DVD über den Tresen. Das winzige Gesichtchen eines Embryos ist auf der silbernen Scheibe zu sehen. Darüber steht: "Von Anfang an Mensch".
Zieba bittet jetzt in den Besprechungsraum, eine Etage tiefer. Ein antiquiert wirkendes Zimmer. An der Wand ticken zwei alte Uhren, daneben historische Stiche, ein Kreuz, ein Jesus-Bild und die Jungfrau Maria. In der Ecke ein alter Röhrenfernseher, auf dem Schrank der polnische Papst im Goldrahmen. Mehr als 60 Mal habe ich unseren Papst getroffen, sagt Antoni Zieba., legt ein Magazin auf den Tisch, und schlägt gezielt die letzten beiden Seiten auf.
Eine katholische Studentenzeitschrift, hier aus Krakau. Ganz hinten eine Doppelseite gestaltet von Pro-Life. Ob als redaktioneller Beitrag oder Anzeige wird nicht deutlich. "In-vitro: NIE!" Nein zu In-Vitro prangt in großen Lettern auf der Seite, darunter wieder Bilder von Embryonen.
"Wir haben auch begonnen Videoblogs zu machen und wir konzentrieren uns auf das Internet, weil es billig ist und man kann eine größere Zahl von Leuten erreichen. Vielleicht können wir so das positive Bild ausgleichen, das die Medien zeichnen."
Der Kampf sei nicht einfach, sagt Zieba ganz ruhig und sachlich. Einerseits sei da der Einfluss der Post-Kommunisten. Und andererseits die Deutschen, denen eine ganze Reihe von Zeitungen und auch eine große Radiostation im Land gehören. Medien, die eine In-vitro-Fertilisation befürworten. Eine Allianz der alten Feinde gewissermaßen, die ein unabhängiges, katholisches Polen verhindert - so sieht Zieba das. Im polnischen Sejm halten sich Befürworter und Gegner bislang knapp die Waage. Doch im nächsten Jahr sind Parlamentswahlen. Und da hofft Zieba auf einen Sieg des national-konservativen Lagers um Jaroslaw Kaczynski. Dessen Partei hat sich eindeutig gegen die künstliche Befruchtung ausgesprochen.
Zu Besuch bei einer katholischen Kleinfamilie
In einem Außenbezirk von Warschau macht es sich Isabela Blancart in einer Sitzecke im offenen Wohnbereich bequem. Schäferhund-Mischling Heidi döst in ihrem Korb. Ehemann Martin ist mit der zweieinhalbjährigen Kasia im Obergeschoss des großzügigen Einfamilienhauses verschwunden. Die Kleine muss umgezogen werden.
"Bist du unten, Mama? Kommst du hoch?", schallt es aus dem Obergeschoss. Isabela Blancart lehnt sich lächelnd zurück. "Als Kasia geboren wurde, war ich 45", erzählt Isa.
"Die Kleine ist also nicht nur ein Einzelkind, In-vitro gezeugt, außerdem war ich bei ihrer Geburt auch schon relativ alt."
In einem rosa Hello-Kitty-Shirt, roter Strumpfhose und rosa Sandalen stakst Kasia die Treppe herunter, ihren Vater im Schlepptau. Ihre großen, blauen Augen mit den langen, dunkeln Wimpern mustern neugierig die Besucher. Dann verschwindet die Kleine in einem bunten Spielzelt. Martin Blancart setzt sich zu seiner Frau aufs Sofa. Dass Kasia ein "Retorten"-Baby ist, daraus macht das Ehepaar kein Geheimnis:
"Wir haben beschlossen, dass sie von Anfang an lernt, dass es etwas Normales ist. Und dass wir nichts Schlechtes oder Falsches getan haben, weil wir ein Kind haben wollten – egal auf welchem Weg. Kasia ist ein Kind der Liebe."
Doch bis zu dieser Erkenntnis ist es für Isa und Martin ein langer Weg. Beide sind gläubige Katholiken. Sie heiraten Anfang der 1990er Jahre und müssen nach ein paar Ehejahren feststellen, dass es mit dem Kinderkriegen nicht klappt. Sie lassen sich untersuchen und behandeln. Machen alles - außer In-Vitro. Jahre gehen ins Land. Zermürbende Jahre, die ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen. Jahre, in denen die beiden versuchen, sich auf ihren anspruchsvollen Beruf zu konzentrieren. Und mit einem Leben ohne Kinder anzufreunden. Um dann zu merken: Es klappt nicht.
Moralische Bedenken vs. Kinderwunsch
Immer häufiger diskutieren sie über die Möglichkeit einer In-vitro-Fertilisation:
"Wir hatten beide diese moralischen Bedenken. Wir haben uns aber nicht wirklich informiert, wie die Methode funktioniert. Wir haben uns daran orientiert, was die Kirche sagt. So verging die Zeit. Wir wurden immer frustrierter. Wir wollten ein Kind, um eine richtige Familie zu sein. Damals wurde viel über In-Vitro in den Medien berichtet. Da haben wir entschieden: Okay, wir gehen jetzt in eine Klinik und gucken uns die Sache an."
Nach fast 20 Ehejahren suchen Isa und Martin schließlich eine große Warschauer Kinderwunsch-Klinik auf. Die ersten beiden In-Vitro-Versuche scheitern. Der dritte aber ist erfolgreich. Isa und Martin sprechen Freunden und ihrer Familie gegenüber offen über ihre Behandlung. Sie hoffen so, Akzeptanz zu schaffen und Vorurteile abzubauen. Isa nickt nachdenklich. Sie möchte auch, dass ihre Tochter weiß, wie sie entstanden ist. Einerseits. Andererseits sind da immer wieder diese Angriffe und Vorurteile, nicht nur gegenüber der Methode, sondern auch gegenüber den Kindern, die mit ihrer Hilfe gezeugt werden.
Das macht die zierliche, eher ruhige Frau richtig wütend:
"Es werden Bilder gezeigt, ich erinnere mich besonders an eines: Ein Glas mit vielen kleinen Embryonen und der Überschrift: 'Deine Brüder und Schwestern mussten sterben, damit du geboren werden konntest.' Das treibt wirklich meinen Blutdruck hoch. Und ich könnte Menschen, die so etwas schreiben, eine runterhauen. Wenn mein Kind einmal so etwas liest, dann muss es ja denken, es ist so eine Art Frankenstein-Monster."
In der Stettiner Reproduktionsklinik beugt sich Natalia über das Mikroskop, analysiert die Sperma-Qualität. Schwester Anna bereitet mit einer Zentrifuge Proben auf:
"Ich habe in der Kirche nie gebeichtet, was ich tue. Dafür gibt es keinen Grund. Aber wann immer ich einen Priester oder jemanden aus der Kirche sehe, erzähle ich ihnen, was ich mache. Ich habe mich nie verstellt, weil ich mich für meine Arbeit nicht schäme."
Reproduktionsmedizin als Wahlkampfthema
Anna holt die Probe aus der Zentrifuge. Stellt sie zur Seite. Ich freue mich über jedes Kind, sagt die Hebamme.
"Jetzt kommen noch mehr Patienten zu uns", sagt Anna.
Vor allem diejenigen, die es sich vorher nicht leisten konnten. Noch immer müssen sie allerdings die Medikamente selbst bezahlen, lediglich die Behandlungskosten werden übernommen. Rafal Kurzawa steht im Hintergrund. Und nickt. Im nächsten Jahr wird es noch einmal eine Unterstützung für 7500 Paare geben, sagt der Mediziner. Und dann wird in Polen gewählt. Das Thema künstliche Befruchtung wird 2015 dann erneut für erbitterte Auseinandersetzungen sorgen, befürchtet der Arzt:
"Natürlich das ist auch ein politisches Thema. Und viele Politiker nutzen künstliche Befruchtung um ein bisschen mehr Punkte zu gewinnen und sich auch im Parlament zu finden. Es ist ein sehr heißes Thema. Wenn sie sehr kurzfristig in den Medien gezeigt werden möchten, das ist immer das einfachste etwas über künstliche Befruchtung zu sagen."
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